Ein "Ja" hätte eine ohnehin schon außerordentlich komplizierte Welt noch komplizierter gemacht, meint Le Soir. Ein Sieg der Nationalisten hätte die Büchse der Pandora geöffnet. In dem Referendum lag etwas Erfrischendes. Es hat den Bürger wieder mit der Politik zusammengebracht. Ob man mit dem Resultat einverstanden ist oder nicht: Das Volk hat sein Schicksal in die Hand genommen und entschieden. Die Schotten haben reiflich überlegt, diskutiert und sich informiert. Es war eine würdige Debatte oberhalb der Gürtellinie. Mit seinem Rücktritt hat der geschlagene Alex Salmond in der Niederlage Würde bewiesen und Platz gemacht für eine neue Generation, bemerkt Le Soir.
Mit dem "Nein" wird Schottlands Autonomie ausgebaut
Ähnlich sieht es auch La Libre Belgique. Trotz der großen Enttäuschung haben die Nationalisten ihre Niederlage fair eingestanden. Keine Diskussion, weil es nichts zu diskutieren gab. Mit 55 Prozent war der Sieg der "Better together"-Koalition größer als erwartet. Zweifellos hat ein Teil der Wähler befürchtet, dass die Zukunft eines unabhängigen Schottlands weniger strahlend sein würde als Alex Salmond versprach. Doch genauso viele werden wohl gedacht haben, dass ein "Nein" im Grunde genommen das beste Mittel ist, Schottlands Autonomie auszubauen. Schlussendlich haben die Nationalisten gewonnen, obwohl sie verloren haben, analysiert La Libre Belgique.
David Camerons Seufzer der Erleichterung wird in der Weltgeschichte wahrscheinlich seinesgleichen suchen, heißt es bei De Morgen. Es war zwar nicht das prophezeite Kopf-an-Kopf-Rennen, doch die Minderheit, die sich einen schottischen Nationalstaat wünscht, ist immer noch beeindruckend. Ein Satz, der in allen Reportagen auftauchte, war: "Mein Herz sagt Ja, aber mein Kopf sagt Nein". Jeder Nationalismus spielt mit Emotionen. Identität ist für viele ein stark emotional aufgeladener Begriff. Doch die Realität ist oft anders. In jedem Nationalstaat, in jeder Teilregion gibt es eingewanderte Minderheiten, die emotional viel weniger einer sogenannten Schicksalsgemeinschaft verbunden sind. Aber auch die Gruppe derjenigen, die schon seit Generationen dort lebt, ist ein Mosaik verschiedener politischer Auffassungen und Weltanschauungen. Doch trotz all dem: Der Nationalismus ist im Aufwind. In den letzten Jahrzehnten haben die Nationalstaaten immer mehr Kompetenzen an Europa abgegeben, weil es die Garantie für Frieden, Zusammenarbeit und Wohlstand verkörperte. Seit der Euro-Krise ist vielen das nationale Hemd aber wieder näher als die europäische Hose, meint De Morgen.
Wichtigste politische Entscheidung
Für Gazet van Antwerpen war es mehr als eine Wahl zwischen Kopf und Herz. Es war der Wunsch nach Selbstbestimmung gegen die Angst vor einem ungewissen Abenteuer. Es ging um tiefe Emotionen, Träume und Leidenschaft gegenüber den Abwägungen, was aufs Butterbrot kommt und wie viel das kosten wird. Jeder, ob jung oder alt, Städter oder Highlander, wusste, dass das die wichtigste politische Entscheidung war, die er oder sie treffen musste. Die Wahlbeteiligung von 85 Prozent spricht Bände. Schottland hat gesprochen, die Demokratie ist der große Gewinner. Das Referendum verändert Schottland für immer. Das neue Schottland hat heute begonnen, jetzt müssen die Wunden der Verlierer geheilt werden. Das ist die große Aufgabe für den britischen Premier David Cameron, so Gazet van Antwerpen
Het Laatste Nieuws zitiert den ehemaligen belgischen EU-Kommissar Karel De Gucht: Hätte Schottland für die Unabhängigkeit gestimmt, dann wäre das ein politisches Erdbeben gewesen, vergleichbar mit dem Zerfall der Sowjetunion. Schottland wäre zum trojanischen Pferd in der Europäischen Union geworden. Es hätte die Unregierbarkeit Europas eingeläutet. Wer wäre der nächste gewesen? Katalonien? Flandern? Wenn diese Regionen es schon so unerträglich finden, in ihrem eigenen Land mit zwei, drei oder zehn anderen Regionen auszukommen, wie würden sie sich dann in Europa mit 30 oder mehr Mitgliedsstaaten anstellen? Rational mag Karel De Gucht Recht haben, so die Zeitung. Jede Landesgrenze ist aber ein historischer Kompromiss, eine mehr oder weniger künstliche Konstruktion, die per Definition nicht für die Ewigkeit bestimmt ist. Sicher ist, dass mit dem Referendum in Belgien das Vorurteil verschwinden könnte, der Wunsch nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit sei grundsätzlich unheimlich, so Het Laatste Nieuws.
Euro 2020 ist wie eine Nachprüfung
Die Wirtschaftszeitung L'Echo kommentiert die Tatsache, dass Brüssel einer der Austragungsorte der Fußball-Europameisterschaft 2020 wird. 20 Jahre nachdem Belgien und die Niederlande gemeinsam die Europameisterschaft organisiert hatten, ist es wie eine Nachprüfung. Im Gegensatz zu unseren nördlichen Nachbarn wurde hier keine neue Infrastruktur aufgebaut. Man beließ es im Großen und Ganzen beim Aufräumen und einigen Umbauarbeiten. Zehn Jahre später reichte das schon nicht mehr, um wenigstens ein Champions League-Finale ausrichten zu dürfen. Moral von der Geschicht': Abstauben ist gut, vorausplanen ist besser. Jetzt erhält Brüssel von der UEFA eine zweite Chance. Nach dem Erfolg der Roten Teufel wird jetzt auch ein dem würdiges Stadion gebaut.
Bild: Leon Neal (afp)