"Schottland wählt". "Historischer Tag für Schottland". "Schottland springt ins Ungewisse". Fast alle belgischen Tageszeitungen gehen auf das heutige Referendum ein. In einer Volksabstimmung können die Schotten für oder gegen die Unabhängigkeit ihres Landes stimmen. Laut den letzten Meinungsumfragen will eine knappe Mehrheit im Vereinigten Königreich verbleiben. Die Zahl der Unentschlossenen liegt zwischen acht und 14 Prozent. Der Ausgang des Referendums ist daher sehr ungewiss.
Stimmen die Schotten für ihre Unabhängigkeit, dann bedeutet das ein anderes Europa, kommentiert De Standaard. Das heutige Datum fiele dann in dieselbe Kategorie wie der 9. November 1989, der Tag, als die Berliner Mauer fiel. Mit einem "Ja" der Schotten stünde Europa an einem Scheideweg. Bislang war das europäische Ideal das Streben nach Einheit. Mit einer Eigenständigkeit Schottlands würde Europa innerlich zerbröckeln. Das Ende der Geschichte kennt keiner, und niemand ist darauf vorbereitet. "Am Freitag könnten wir in einem anderen Europa aufwachen", so De Standaard.
Ein anderes Europa
Für Le Soir scheint es fast schon unvorstellbar, Großbritannien nach 300 Jahren auseinanderfallen zu sehen. Der Fall Schottland ist paradox. Diejenigen, die am hartnäckigsten die Einheit Großbritanniens verteidigen, sind diejenigen, die die Europäische Union am heftigsten in Frage stellen. Und die Schotten, die für die Unabhängigkeit sind, argumentieren proeuropäisch.
Falls die Schotten mit "Ja" stimmen, dann muss man sich fragen, was sie dazu gebracht hat, meint La Libre Belgique. Einer der Gründe ist ohne Zweifel der Wind des Nationalismus, der über Europa weht. Er trägt die Stimmen der Opfer der Globalisierung. Der schottische Nationalismus verspricht, aus Schottland ein reicheres Land zu machen. Der Anführer der Scottish National Party, Alex Salmond, möchte den Schotten eine bessere Regierung geben. Das findet Anklang bei den Enttäuschten. Die EU kann sich ein unabhängiges Schottland mit fünf Millionen Einwohnern leisten. Aber für das Vereinigte Königreich wäre das das Ende, und London wäre auf europäischer Ebene noch mehr isoliert.
Die Zeitung L'Avenir kommentiert: Während die einen sich annähern, sich zusammentun und verbünden, gibt es immer auch Kräfte der Trennung und des Zerfalls. Nach den Ex-Jugoslawen in den 1990er Jahren könnten die Schotten die nächsten Europäer sein, die diese Erfahrung machen. Es ist wahr, dass die Einwohner von Glasgow, Edinburgh und Aberdeen immer weniger die liberalen, konservativen und europafeindlichen Meinungen ihrer südlichen Nachbarn teilen. Sie haben das Gefühl, dass sie ihr Schicksal besser selbst in die Hand nehmen sollten, vor allen Dingen auf wirtschaftlicher Ebene. "Doch was entscheidet am Ende über "Yes" oder "No"? Sind es die finanziellen und politischen Gründe oder doch die Emotionen?", fragt L'Avenir.
EU-Aufnahme keine Formalität
Für die Wirtschaftszeitung L'Echo ist das Schlüsselelement das Öl. Ohne dieses würde sich die Frage gar nicht stellen. Viele Schotten sind sich sicher: Mit "ihrem Öl" wird ihr Traum von Unabhängigkeit auch wirtschaftlich möglich. Damit könnten sie der Sparpolitik aus London entkommen.
Die Aufnahme eines unabhängigen Schottlands in die Europäische Union wäre alles andere als eine Formalität, meint De Morgen. Einer der letzten unabhängig gewordenen Staaten, der Kosovo, ist noch immer nicht von allen europäischen Mitgliedsstaaten anerkannt. Das liegt nicht an den wirtschaftlichen oder demokratischen Gegebenheiten, sondern daran, dass einige befürchten, einen Präzedenzfall für ihre eigenen nationalen Minderheiten zu schaffen. Wenn die großen Mitgliedstaaten ein unabhängiges Schottland anerkennen, welches Argument haben sie dann noch den Katalanen, Basken oder Flamen entgegenzuhalten? In Europa gibt es 160 mögliche Nationalitäten. Die EU ist mit 27 Mitgliedsländern schon fürchterlich komplex. Die großen Mitgliedsstaaten sind nicht bereit, eine weitere Zersplitterung in Gang zu setzen. Das schottische Referendum ist deshalb ein echter Lackmustest für das Wesen von Europa.
Die am wenigsten schlechte Option
Het Nieuwsblad kommentiert die geplante Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke Doel 1 und 2. Offiziell ist lediglich beschlossen, dass die beiden ältesten Meiler Belgiens nur ein Jahr länger am Netz bleiben sollen. Die Zeitung meint, man könne schon jetzt sein Geld darauf verwetten, dass daraus noch zehn Jahre werden. In der Vergangenheit ist viel über den Atomausstieg palavert worden. Niemand hat aber daran gedacht, einen alternativen Energieplan aufzustellen. Für Electrabel sind das zweifellos gute Neuigkeiten. Die notwendigen Investitionen in die Sicherheit müssen zurückverdient werden. Electrabel wird sein Fell teuer verkaufen. Es bleibt die Frage, wie hart die Regierung mit einem Unternehmen verhandeln kann, das in diesem Winter sprichwörtlich den Finger am Lichtschalter hat, meint Het Nieuwsblad.
"Doel 1 und 2 länger am Netz zu lassen, ist eine Notlösung, die niemanden begeistert", kommentiert Gazet van Antwerpen. Aber hatte die neue Regierung überhaupt eine andere Option? Solange größere Strompannen vermieden werden können, scheint das die am wenigsten schlechte Lösung zu sein. Mit Windrädern und Solarzellen allein geht es nicht, meint Gazet van Antwerpen.
Archivbild: Lesley Martin (afp)