"Keine Geschenke für Belgien von Juncker". "Marianne Thyssen in der EU-Kommission auf dem zweiten Rang". "Kein Traumjob, doch Thyssen nicht enttäuscht". Fast alle Zeitungen beschäftigen sich mit der neuen belgischen EU-Kommissarin Marianne Thyssen. Präsident Jean-Claude Juncker hatte seine neue Kommission Mittwoch vorgestellt. Marianne Thyssen wird für "Beschäftigung und Soziales" zuständig sein.
Keine Blamage, aber auch nicht der erhoffte Top-Job
Es ist keine Blamage geworden, aber der erhoffte Top-Job ist es offenbar auch nicht, kommentiert De Morgen. Belgien hat wohl zu wenig Zeit in Lobbyarbeit gesteckt. Im Vergleich zu den vielen Altpremiers und Vizepremiers in der neuen Kommission hat Thyssen auch zu wenig Führungserfahrung. Ob sie eine wichtige Rolle spielen wird, hängt vom Freiraum ab, den sich die EU-Kommission in diesem Ressort gönnt.
Wenn man es realistisch betrachtet, dann gibt es genug Gründe für Skepsis, so De Morgen. Die Kompetenzen der EU-Kommission im sozialen Bereich liegen noch bei den Mitgliedsstaaten, und die sind nicht geneigt, der EU-Kommission mehr Einmischung zu erlauben.
De Standaard kommentiert: Es könnte sein, dass Belgien zu lange getrödelt hat. Dass die Koalitionspartner mehr mit ihren eigenen Personalien beschäftigt waren, anstatt sich um den EU-Kommissar auch inhaltlich zu kümmern. Es gibt aber auch Argumente, die in die andere Richtung weisen. Damit der Binnenmarkt besser funktioniert, und das zum Vorteil aller, muss auch der soziale Zusammenhang gestärkt werden. Ansonsten verliert das Konstrukt EU seine Legitimität.
Thyssen, das soziale Gesicht Europas
"Ist dieses Ressort einen Premierminister-Posten wert?", fragt Gazet Van Antwerpen. Ist das der europäische Top-Job, den CD&V-Parteichef Wouter Beke im Kopf hatte, als er den Posten des Premiers für Kris Peeters opferte? Daran darf gezweifelt werden, analysiert die Zeitung.
Gazet Van Antwerpen ist trotzdem überzeugt, dass Thyssen alles daran setzen wird, Europa ein sozialeres Gesicht zu geben. Zum Beispiel kann sie gleich damit beginnen, die Praxis des Sozialdumpings zu beenden. Gerade der belgische Bau- und Transportsektor leidet darunter, wenn Arbeitnehmer hier arbeiten, aber zu geringeren Kosten in ihrem Heimatland sozialversichert sind.
Het Laatste Nieuws fragt: Wird man in fünf Jahren ihr soziales Gesicht von Europa in den Straßen von Lissabon, Kopenhagen und Warschau auch erkennen? Falls nicht, dann war Thyssen für Juncker die perfekte Quotenfrau.
Le Soir kommentiert die Zusammensetzung der Kommission allgemein. Im Prinzip ist es die Vorstellung einer Liste mit Kompetenzen und ein Organisationsschema. Aber es wurde mehr als das. Die vorherige Kommission und ihr Chef Barroso wirkten in den letzten fünf Jahren oft wie im Blindflug. Junckers Vorstellung hingegen ist wie eine Vision und ein klares politisches Projekt.
Die Zusammensetzung der Kommission basiert nicht auf der europäischen Bürokratie, sondern verfolgt politische Ziele. Zuerst die Belebung der Wirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Juncker zeigt, dass Bürokratie an sich nicht schlecht ist, solange sie den Bürger in den Mittelpunkt stellt und nicht sich selbst. Le Soir befürchtet aber, dass die neue Hierarchie mit den Vize-Präsidentenposten zu Konflikten führen wird. Das Risiko besteht, dass die gewöhnlichen Kommissare Zwietracht säen.
Letzte Chance für Europa
Die Wirtschaftszeitung L'Echo meint: Weil die Mitgliedsstaaten das System "ein Land, ein Kommissar" nicht reformieren wollten, hat Juncker jetzt sieben Vize-Präsidenten um sich geschart. Diese Hierarchie - übrigens ein alter Wunsch der Benelux-Staaten - sollte erlauben, die Zusammenarbeit zu verbessern. L'Echo befürchtet aber, dass die Superkommissare in Versuchung geraten könnten, in den Gewässern ihrer Untergebenen zu fischen.
Mit dem Satz "Das ist die letzte Chance für Europa" weist Juncker auf ein Problem hin, analysiert La Libre Belgique. Gibt es keine überzeugenden Resultate, dann werden die populistischen und extremistischen Parteien alles zusammenfegen, sowohl in den Mitgliedsstaaten als auch auf europäischer Ebene.
De Morgen sieht einige besorgniserregende Personalentscheidungen. Thyssens Chef wird der Finne Katainen, ein sturer Konservativer, der aus Prinzip denkt, dass die Mitgliedsstaaten selbst alles besser machen können. Dem britischen Bankenlobbyisten Jonathan Hill die Kontrolle über die Finanzmärkte zu geben, ist einfach peinlich.
Polizei-Checkliste
"Sogar mit Rauchen aufhören ist verdächtigt". Het Laatste Nieuws veröffentlicht eine Checkliste der föderalen Polizei. Anhand dieser Checkliste sollen Lehrer feststellen können, ob ihre muslimischen Schüler radikalisiert worden sind. In Kortrijk hat die föderale Polizei eine erste Schulung gegeben. Zu den 21 Signalen gehören neben dem Rauchstopp auch Intoleranz gegenüber Frauen, Krafttraining und das Schreiben von Abschiedsbriefen.
vk - Bild: Nicolas Maeterlinck (belga)