"Rendezvous mit der Geschichte", titelt De Standaard und druckt auf Seite eins die Köpfe der MR-Politiker Didier Reynders und Charles Michel ab. Beide haben laut De Standaard zurzeit die größten Chancen, neuer Premierminister zu werden. Es wäre der erste liberale frankophone Premierminister seit 1937.
L'Avenir kommentiert dazu: Die Chance scheint verlockend. Aber bei der MR weiß man nur zu gut: Wenn man Chef eines Landes wie Belgien wird, gleichzeitig die einzige frankophone Partei in der Regierung ist und sich mit den Forderungen drei flämischer Parteien herumschlagen muss, dann kommt das einem Selbstmord gleich. Hinter den Kulissen hinterfragt die MR deshalb den Willen der flämischen Parteien, eine Koalition zustande zu bringen. Es könnte nämlich gut sein, dass die CD&V einen geheimen Plan verfolgt, nämlich alles scheitern zu lassen, um dann doch eine traditionelle Dreier-Koalition zu schmieden, wieder mit den frankophonen Sozialisten der PS, so L'Avenir.
Ab ins kalte Wasser!
An so etwas glaubt Gazet Van Antwerpen nicht: Nichts wird einfach werden bei den Koalitionsverhandlungen, die jetzt richtig losgehen werden, nachdem die Personalie für die EU-Kommission geklärt ist. Für die vier Koalitionspartner heißt es: gemeinsam ins kalte Wasser springen. Wahrscheinlich wird es dazu kommen, dass Wahlversprechen aufgegeben werden müssen. So etwas fürchten Politiker wie der Teufel das Weihwasser. Aber wahrscheinlich werden sie es trotzdem tun, denn die Lust auf eine Regierung ohne die PS ist immer noch sehr groß. Das wird Grund genug sein für alle vier Parteien, den Rettungsreifen anzulegen und gemeinsam ins kalte Wasser der Regierungsverantwortung zu springen, glaubt Gazet Van Antwerpen.
Das GrenzEcho lenkt beim gleichen Thema die Aufmerksamkeit auf den N- VA-Chef und führt aus: Was Bart De Wever nun in diesen Wochen am Verhandlungstisch im Schilde führt, darüber kann man nur spekulieren. Ob nun ein Liberaler oder ein Christdemokrat das Kommando über die designierte Mitte-Rechts-Regierung übernimmt, er oder sie ist nur ein Leichtgewicht im Schatten der stärksten Partei, die N- VA, die - auch wenn sie offiziell nicht das Ruder in den Händen hält - die Fäden im Hintergrund zieht und von dort aus versucht, ihre rechte Politik durchzudrücken. Und genau hier liegt das Interesse von De Wever, meint das GrenzEcho.
Mutiges Plädoyer
De Morgen schreibt zu dem Brief des Antwerpener Bischofs Johan Bonny, in dem er den Vatikan dazu aufruft, seine Haltung unter anderem bezüglich der Sexualmoral zu ändern: Das ist ein mutiges Plädoyer. Im besten Falle wird es dazu führen, daß eine Debatte beginnt zwischen konservativen und fortschrittlichen Kirchenleuten. Für die Konservativen wird es nach den Euthanasie-Gesetzen und der Homo-Ehe der so und so vielte Beweis dafür sein, dass das kleine Land an der Nordsee völlig die Orientierung verloren hat. Dabei sind Bonny und unser Land Pioniere einer Moral, die geprägt ist von Respekt und Erbarmen. Im Gegensatz zu den irrealen, unhaltbaren und äußerst strengen Vorschriften einer Kirche, die weder viele weltliche noch viele geistliche Katholiken einhalten können, so De Morgen.
Het Laatste Nieuws schreibt: Historisch, gewagt, einzigartig. Mit diesen Worten haben Theologen und Kirchenrechtler den Brief des Bischofs von Antwerpen gewürdigt. Die Wirkung allerdings bleibt fraglich. Ein sofortiges Einlenken der Kirche ist kaum zu erwarten. Trotzdem hat der Brief den Verdienst, innerhalb Belgiens einen Gegenpol zur Meinung von Monseigneur Léonard zu bilden. Eine erfrischende Botschaft im Gegensatz zu dem unmenschlichen Diskurs des Erzbischofs von Mecheln-Brüssel, findet Het Laatste Nieuws.
Punktgewinn für Putin
Zur gestern beschlossenen Waffenruhe in der Ostukraine schreibt La Libre Belgique: Punktgewinn für Putin. Während die NATO über Krieg beraten hat, arbeitete der Kreml am Frieden. Aber: Die Waffenruhe verfestigt die aktuelle Lage in der Ostukraine. Damit zeichnet Russland ganz in Ruhe die Umrisse einer neuen Ordnung, in der sie die russische Bevölkerung in den Nachbarstaaten an das Mutterland anbindet. Aus diesem Grund kann man die Unruhe der Balkanstaaten verstehen, die sich auf ein Prinzip stützen, das den europäischen Kontinent stabilisiert hat - nämlich die Unverletzbarkeit bestehender Staatsgrenzen, so La Libre Belgique.
L'Echo fragt sich: Wie lange wird diese Waffenruhe dauern? Nur Putin und die ukrainischen Politiker kennen die Antwort. Allerdings sollte die Zeit jetzt genutzt werden, um den Abschuss des malaysischen Flugzeugs aufzuklären. Zur Erinnerung: 298 Menschen verloren damals ihr Leben, darunter 193 Niederländer. Ihre Angehörigen warten immer noch auf Aufklärung, schreibt L'Echo.
Le Soir stellt fest: Waffenstillstand hin oder her, Putin hat der NATO wieder eine neue Aufgabe gegeben. Und diese Aufgabe ist eine alte: Wie im Kalten Krieg Europa vor Moskau zu schützen. Für uns in Belgien heißt das: Die Atombomben in Kleine Brogel, die dort inoffiziell liegen, werden weiter dort bleiben. Denn Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung - wie Barack Obama es eigentlich mit Russland geplant hatte, sind in dem heutigen Kontext nicht zu erwarte, glaubt Le Soir.
Foto: Nicolas Maeterlinck (belga)