"Geeint für den Frieden", titelt La Libre Belgique. "Frieden im Mittelpunkt aller Redebeiträge", so die Schlagzeile von L'Avenir. "Feierliches Gedenken", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins.
An der Seite der Belgier hat gestern buchstäblich die halbe Welt an den Beginn des Ersten Weltkrieges vor genau 100 Jahren erinnert. An der zentralen Gedenkfeier am Mémorial interallié in Cointe bei Lüttich nahmen Vertreter aus 83 Ländern teil. Weitere Stationen waren Löwen und der britische Soldatenfriedhof Saint-Symphorien bei Mons.
Geeint für den Frieden ...
Ausnahmslos alle Redner verwiesen auf die historische Verantwortung der Europäer, die ihre Lehren, insbesondere aus dem Ersten Weltkrieg, ziehen müssten. "Europa darf nicht friedensmüde werden", warnt De Standaard auf Seite eins. Le Soir beschwört die "Lektionen der Geschichte". Beide Blätter bringen quasi dieselben Zitate: Der Herzog von Cambridge, Prinz William, erinnerte an den Ukraine-Konflikt, der französische Präsident François Hollande verwies auf Gaza und König Philippe beschwor die europäische Integration als Garant für den Frieden.
Ähnliche Töne vom deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck: "Das Recht des Stärkeren hat in Europa Platz gemacht für die Stärke des Rechts", sagte Gauck in Cointe. "Der Große Krieg von vor 100 Jahren findet einen sehr aktuellen Nachhall", fasst es Le Soir zusammen.
... mit einem gemeinsamen Feind
Alle Staatsgäste haben vor allem einen gemeinsamen Feind ausgemacht, analysiert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Und dieser gemeinsame Feind, das ist der Nationalismus. "Nationalismus hatte das deutsche Volk blind gemacht", sagte der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck. Heute teilen wir zwar alle dieselben Werte, doch flammen Nationalismus und Rassismus überall in Europa wieder auf. Genau dieses Gedankengut hat uns im 20. Jahrhundert gleich zwei Mal in den Abgrund gerissen. Die Demokraten müssen mehr denn je wachsam sein.
Viele Zeitungen beschäftigen sich insbesondere mit der Rede von Joachim Gauck. "Deutscher Präsident entschuldigt sich für den Ersten Weltkrieg", titelt etwa Het Belang van Limburg. Das Blatt zitiert aus der Ansprache von Gauck am Mémorial interallié in Cointe: "Der deutsche Überfall auf Belgien war in keiner Weise zu rechtfertigen". Das Deutschland von 1914 sei geleitet gewesen von Überlegenheitsgefühlen und extremem nationalen Egoismus, so Gauck sinngemäß.
Doch genau in dem Augenblick, in dem Gauck diese Worte aussprach, passierte in Gaza genau das, was er anklagte, notiert Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel: Israel bombardierte ein palästinensisches Haus. Ein achtjähriges Mädchen kam ums Leben. Am Sonntag kamen bei einem Angriff auf eine UN-Schule im Gazastreifen zehn Menschen ums Leben. Europa schaut auch tatenlos zu, wenn in der Ukraine das internationale Recht mit Füßen getreten wird. Fazit, meint Het Laatste Nieuws: Wir sind die Weltmeister im Gedenken, zu mehr reicht es aber nicht.
Historische Verantwortung?
Le Soir schlägt in dieselbe Kerbe: "Heutzutage ist Neutralität keine Option mehr", erklärte der französische Präsident Hollande bei der Gedenkfeier in Lüttich. In der Praxis zeigt sich aber ein durchwachsenes Bild. Vielleicht mag Europa noch im Ukraine-Konflikt Stellung bezogen haben, in Bezug auf die Kämpfe im Gazastreifen herrscht aber allgemeines Schweigen. Die heutigen politischen Verantwortlichen sind zu schwach, um ihren starken Worten Taten folgen zu lassen.
Vor allem die Konflikte in der Ukraine und in Gaza befeuern das schlechte Gewissen der Europäer, konstatiert auch De Standaard. Wie sollen wir den Russen klarmachen, dass sie nicht straflos ein Land annektieren können und dass sie nicht zulassen können, dass man ein Flugzeug mit unseren Landsleuten an Bord vom Himmel holt? Ganz zu schweigen vom Konflikt im Gazastreifen, wo sich die Europäer so neutral verhalten, dass es fast schon Krämpfe verursacht. Wir werden unserer historischen Verantwortung nicht gerecht.
Auch De Morgen kritisiert in scharfen Worten die gegenwärtige Haltung der Europäer. Ein britischer Journalist meinte schon, dass das "poor little Belgium" von 1914 heute das "poor little Gaza" ist. Das Russland von Wladimir Putin wird mit Sanktionen belegt, in punkto Gaza zeigen wir uns allenfalls "geschockt".
Erster Weltkrieg nach wie vor aktuell
Auch Het Nieuwsblad wünscht sich von der belgischen Regierung ein etwas resoluteres Auftreten. Vor allem muss der Druck auf Israel erhöht werden. Wobei: Dieser Konflikt polarisiert ungemein. Dabei vergisst man viel zu häufig, dass die Schuldigen auf beiden Seiten sitzen. Die Hamas benutzt ihr eigenes Volk als Schutzschild und spielt damit den Falken in Israel in die Karten. Und doch wird man am Ende immer gleich einem der beiden Lager zugeordnet. Das macht die Vermittlung in dem Konflikt auch so schwer.
Gestern läuteten die Glocken nicht nur für die Opfer des Ersten Weltkrieges, bemerkt auch Het Belang van Limburg. Täglich fordern auch heute noch Kriege weitere Opfer. Konflikte, die zum Teil ihre Wurzeln im Ersten Weltkrieg haben: In Palästina, Syrien und im Irak zogen die Siegermächte von 1918 willkürliche Grenzen, die bis heute buchstäblich für Zündstoff sorgen. Der "Große Krieg" ist immer noch nicht von der internationalen Agenda verschwunden; und Frieden und Freiheit sind niemals in Stein gemeißelte Rechte.
Nicht zu vergessen: William und Kate
Einige Zeitungen hatten vor allem Augen für ganz bestimmte Ehrengäste: "Die britischen Royals waren die Stars der Gedenkfeiern", schreibt Het Laatste Nieuws. "Prinzessin Kate erobert die belgischen Herzen", titelt Gazet van Antwerpen. La Dernière Heure formuliert es ähnlich: "Belgien verfällt dem Charme von William und Kate", schreibt das Blatt.
Der Herzog von Cambridge, Prinz William, und seine Frau Kate, hatten gestern die britische Krone vertreten. Später stieß auch Williams Bruder Harry hinzu. Am Abend zeigten sie sich auf dem Balkon des Rathauses von Mons vor 7.000 begeisterten Menschen. Genau dieses Foto prangt auch heute auf einigen Titelseiten.
De Morgen macht heute auf ganz besondere Art und Weise auf. Es ist eine schwarze Titelseite, auf der in weißer Schrift Namen stehen. Es sind die Namen der Menschen, die am 5. August 1914 in Belgien Opfer des Ersten Weltkrieges wurden. Insgesamt wurden an diesem Tag 727 Opfer gezählt. Diese Initiative geht eigentlich auf das "Flanders Fields Museum" in Ypern zurück, das von jetzt an täglich an die Menschen erinnern wird, die vor exakt 100 Jahren ihr Leben verloren haben.
Bild: Dirk Waem/BELGA