"Die MR wagt den Wandel", titelt L'Echo. "Unterwegs nach Schweden", schreiben De Standaard und L'Avenir. "Mitte-Rechts überall an der Macht", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Überraschende Wende am Dienstag bei den Regierungsverhandlungen: "Die flämischen Liberalen sind jetzt plötzlich doch dabei", bemerkt Het Laatste Nieuws. Damit ist der Weg frei, sowohl für eine neue flämische Regionalregierung, als auch für Koalitionsverhandlungen auf föderaler Ebene. N- VA, CD&V und OpenVLD wollen heute ihr Regierungsprogramm und das neue Kabinett für Flandern vorstellen. Neuer Ministerpräsident soll dem Vernehmen nach Geert Bourgeois von der N-VA werden. Die drei Parteien werden außerdem zusammen mit der MR als einziger französischsprachiger Partei Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Die frischgebackenen Regierungsbildner Kris Peeters und Charles Michel erklärten am Dienstag beim Verlassen des königlichen Palastes, sie wollten noch einen Versuch unternehmen, die frankophone CDH zu einer Regierungsteilnahme zu überreden. Eine offizielle Abfuhr durch die Parteiführung liegt zwar noch nicht vor, aber in Le Soir erklärt ein nicht namentlich genanntes CDH-Mitglied: "Sollen die doch ihren Mist alleine machen."
"Kamikaze" oder lieber "schwedisch"?
Einzige mögliche Option ist dadurch jetzt die Kamikaze-Koalition, glaubt Gazet van Antwerpen. De Morgen meint: Wem "Kamikaze" zu unheilträchtig klingt, kann auch gerne "schwedische Koalition" dazu sagen. Das klingt zwar besser, ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sich um eine explosive Mischung und um ein äußerst riskantes Unterfangen handelt. Formell gesehen verfügt das angestrebte Bündnis zwar über eine deutliche Mehrheit in der Kammer. Allerdings sieht die politische Realität anders aus: In der französischen Sprachgruppe hat die Koalition nur 20 von 63 Sitzen. Die Legitimität auf frankophoner Seite ist also alles andere als selbstverständlich, hält die Zeitung fest.
Le Soir bemerkt: Der große Gewinner ist Bart De Wever. Sein N- VA-Modell hat die PS-Variante gerade K.O. geschlagen. Di Rupo ans Messer geliefert haben aber nicht die flämischen Nationalisten, sondern ausgerechnet eine französischsprachige Partei. Aufgehängt wird also nicht der Bösewicht De Wever, sondern MR-Chef Michel, den man in PS- und CDH-Kreisen als Verräter und Lügner bezeichnet.
L'Avenir konstatiert: Jetzt wird die Welt wieder in Gut und Böse eingeteilt. De Morgen wirft ein: Die PS hat sich selber in die Opposition katapultiert. Mit ihrer Panik-Aktion, sofort nach der Wahl neue Regierungen im Süden des Landes zu bilden, hat sie die Konkurrenz zu einem Zweckbündnis getrieben.
Vor der Wahl ist nicht nach der Wahl...
Le Soir stellt sich grundsätzlich die Frage: Warum versprechen Parteien etwas vor einer Wahl, das sie ohnehin nicht einhalten können. Die frankophonen Liberalen hatten ja zuvor erklärt, nicht mit der N-VA koalieren zu wollen. Die MR ist aber nicht die einzige Partei, die ihre Versprechen nicht einhält. Der neue wallonische Ministerpräsident Paul Magnette hatte hoch und heilig versprochen, Bürgermeister von Charleroi zu bleiben. Die PS wollte zuerst föderal nach Lösungen suchen, bevor es an die Regierungsbildung in den Teilstaaten geht. Auch dieser Vorsatz wurde gebrochen.
Zur Kamikaze-Koalition meint Le Soir: Belgien hat wirtschaftliche und soziale Reformen bitter nötig. Die MR wird jetzt beweisen müssen, dass das in der angestrebten Konstellation möglich ist, ohne soziales Blutbad und ohne das Land zu spalten.
La Libre Belgique findet: Nach dem wiederholten "Nein" der CDH hat MR-Chef Michel sich seiner Verantwortung gestellt und die einzig übrig gebliebene Option gewagt. Der Versuch, die Kamikaze-Koalition auf die Beine zu stellen, ist genauso legitim, wie jede andere mehrheitsfähige Variante.
De Wever schlägt Di Rupo K.O.
Het Nieuwsblad findet: N- VA-Präsident De Wever hat sein Ziel erreicht. Eine Föderalregierung ohne die PS ist in der Mache - eine Premiere seit 1988. Dafür hat der Nationalistenchef aber sehr viel Wasser in seinen Wein schütten und auf weite Teile seines Programms und seiner separatistischen Vorstellungen verzichten müssen.
De Standaard fügt hinzu: Jetzt wird sich zeigen müssen, ob Regieren ohne die mächtige sozialistische Partei tatsächlich einer Staatsreform gleichkommt, wie MR-Politiker Didier Reynders schon 2007 erklärt hatte. Der Beweis dafür wird erst erbracht werden, wenn die neue Regierung es zugleich schafft, den Haushalt zu sanieren und für neues Wirtschaftswachstum zu sorgen. Die Zeit der Wahlkampfsprüche und Karikaturen ist vorbei. Jetzt beginnt die wahre Arbeit.
So sieht es auch L'Echo: Die Schwedische Koalition steht vor einer Herkulesaufgabe. Bis zum Ende der Legislaturperiode müssen 17 Milliarden Euro eingespart werden. Trotzdem hält die Zeitung die Entscheidung Michels, die PS in die Opposition zu verbannen, für einen mutigen und ehrgeizigen Schritt. Erstens, weil eine Partei nicht ewig an der Macht sein sollte. Und zweitens, weil uns jetzt keine Große Koalition mehr bevorsteht, sondern ein Kabinett mit einem klaren und kohärenten Programm.
Die angestrebte Koalition aus N- VA, CD&V, OpenVLD und MR trägt übrigens nicht nur die Beinamen "Kamikaze" und "schwedisch". Het Laatste Nieuws hat sie zur "Ikea-Koalition" umgetauft.
Bild: Benoit Doppagne (belga)