"Mit Dezibels verscheucht", so die Schlagzeile von Le Soir. Het Belang van Limburg schreibt genau das Gegenteil: "Dezibels verjagen Roma nicht".
Der Bürgermeister von Landen, Gino Debroux, wollte erreichen, dass eine Gruppe von Roma ein Gelände räumt. Weil er zunächst auf einen Polizeieinsatz verzichten wollte, engagierte er einen lokalen DJ. Der sollte also einfach nur Musik in voller Lautstärke drehen, um die Roma dazu zu bringen, das Grundstück zu verlassen.
"Bürgermeister Dezibel"
Die Reaktionen fielen höchst unterschiedlich aus: "Ausgelacht und geschmäht", titelt Het Laatste Nieuws. Die Zeitung nennt Gino Debroux den "Bürgermeister Dezibel". Und während die Kinder der Roma-Gruppe auf die Musik tanzten, hagelte es Kritik von Menschenrechtsgruppen.
Sogar der S.PA-Chef Bruno Tobback geriet wegen der Aktion des Parteikollegen Gino Debroux in Bedrängnis: "Ins Wanken gebracht durch das Genie von Landen", titelt De Morgen. Namhafte S.PA-Mitglieder werfen ihrem Präsidenten vor, zu zögerlich reagiert zu haben. "Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen hat der Stuhl von Bruno Tobback gewackelt", schreibt De Morgen.
Bürgermeister Debroux kann die Aufregung indes so gar nicht nachvollziehen: "Es ist doch alles ohne Gewalt abgelaufen, wo liegt denn das Problem?", zitiert ihn Het Nieuwsblad.
Über den Erfolg der Aktion kann man indes diskutieren. Einige Zeitungen haben mit den Roma gesprochen. Einer von ihnen lachte sich krumm, wie Het Belang van Limburg berichtet. Der Bürgermeister sei wohl noch nie auf einer Roma-Hochzeit gewesen; da wird nämlich drei Tage mit Musik durchgefeiert.
Nur auf den ersten Blick komisch
Einige Leitartikler finden das Ganze allerdings nicht lustig. Wenn das Wort "Fremdschämen" noch nicht erfunden worden wäre, dann würde es jetzt aber höchste Zeit, bemerkt Het Nieuwsblad. Wie kann man denn auf die Idee kommen, Leute mit lauter Musik vertreiben zu wollen. Dass das keine Art und Weise ist, mit Menschen umzugehen, das sieht doch ein Blinder. Nein, stopp! Nicht der Bürgermeister von Landen.
De Standaard fühlt sich an die französischen Komiker Louis de Funès und Fernandel erinnert. Ein Bürgermeister, der einen DJ einsetzt, um eine Gruppe von Wohnwagenbewohnern aus der Gemeinde zu verjagen: der absolute Brüller. Hier war es letztlich die Gemeinde, die für die Geräuschbelästigung sorgte. Aber mal Scherz beiseite: Himmelschreiend ist hier der Mangel an Respekt für eine Bevölkerungsgruppe, die Respekt verdient.
"Dummkopf", "Dorftrottel"
Het Laatste Nieuws ist richtig wütend. Seit gestern steht der Name Debroux für den Idioten, der Bürgermeister von Landen ist. Dumme Bürgermeister gibt es viele und das in jeder Partei. Aber der Herr Debroux scheint da doch ein Ausnahmetalent zu sein. Das sind Methoden wie im amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo.
Und S.PA-Chef Bruno Tobback meint lapidar, dass das "keine gute Idee" ist. Was nennt Tobback denn dann eine "schlechte" Idee? Vielleicht Waterboarding? Hier geht es schlicht und einfach um die Achtung der Menschenrechte.
Auch De Morgen schießt aus allen Rohren. Auf den ersten Blick könnte man ja noch über die Aktion lachen. Zumal sich sogar ein Nachbar beschwert hatte, der Nachtdienst gehabt hatte und wegen der Musik nicht schlafen konnte. Eigentlich hätte man das mit einer Geldbuße ahnden müssen, nur dass der Übeltäter kein Geringerer als der Bürgermeister war. Hier geht es aber um mehr. Hier geht es um einen Bürgermeister, der erschreckend autoritär und diskriminierend ist, der in Denksphären aus längst vergangenen Zeiten steckt. Eine Partei sollte einen solchen Dorftrottel eigentlich vor die Türe setzen. "Hätte ich eine Mitgliedskarte der S.PA", sagt der Leitartikler, "ich würde sie noch heute zurückschicken".
Traditionell gestörtes Verhältnis
Vor allem die frankophonen Zeitungen packen eher das Grundproblem an. Der Umgang mit dem "fahrenden Volk" ist seit jeher von Missverständnissen und mitunter gar Verachtung geprägt, bemerkt Le Soir. In Belgien fehlt es schlicht und einfach an Stellplätzen. Im Fall Landen sind womöglich beide Seiten nicht ganz unschuldig an dem Konflikt. Der Bürgermeister hätte sich seine Aktion dennoch zwei Mal überlegen sollen.
L'Avenir schlägt in dieselbe Kerbe. Mal auf dem Teppich bleiben, meint das Blatt. Die Geschichte von Landen ist wenig glorreich aber auch nicht wirklich dramatisch. Dennoch sollten wir einmal über unser Verhältnis zum fahrenden Volk nachdenken. Sie sind nun mal anders, leben nicht so wie wir. Und das macht uns offensichtlich Angst.
Land in Sicht
"Einigung in der Wallonischen Region in Sicht für den 21. Juli", schreibt La Libre Belgique. Anscheinend wollen PS und CDH heute den Sack zumachen und die Verhandlungen über eine neue Regionalregierung abschließen.
In Flandern ist offenbar auch Land in Sicht: "De Wever und Beke sind durch", schreibt Het Nieuwsblad. Beide Parteien, CD&V und N-VA, haben vereinbart, zusammen in Flandern und auch föderal zu regieren, föderal will man sich offensichtlich auf eine Kamikaze-Koalition aus N-VA, CD&V, MR und OpenVLD einlassen.
Das hat aber seinen Preis, bemerkt Gazet van Antwerpen. Noch besteht die OpenVLD darauf, wenn, dann auf allen Ebenen an der Regierung beteiligt zu werden. Sprich: Wenn föderal, dann auch regional. Nur verhandeln ja auf flämischer Ebene nach wie vor alleine N-VA und CD&V miteinander. Einen regionalen Verzicht würde sich die OpenVLD wohl bezahlen lassen.
Bild: Peter Decroubele (vrt)