"Juncker drängt Europa nach links", titelt Le Soir. "Juncker will als Kommissionspräsident 300 Milliarden Euro locker machen", so die Schlagzeile von L'Echo.
Jean-Claude Juncker ist jetzt offiziell der neue EU-Kommissionspräsident. 422 EU-Parlamentarier stimmten für den ehemaligen luxemburgischen Premier. Zuvor hatte er im EU-Parlament sein Programm vorgestellt, um für seine Wahl zu werben. Er versprach dabei ein spürbar sozialeres Europa; zugleich stellte er Investitionen mit einem Gesamtvolumen von 300 Milliarden Euro in Aussicht. Und doch konnte er offenbar nicht wirklich begeistern: Juncker stützt sich auf eine Koalition aus Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen. Fast 60 von ihnen verweigerten dem Luxemburger aber ihre Zustimmung. "Juncker mit dem Rücken zur Wand", schreibt denn auch L'Avenir auf Seite eins.
Junckers "Soziales Europa"
Jean-Claude Juncker wird wohl durch Taten überzeugen müssen, meint L'Avenir in seinem Kommentar. Wenn auch viele ihn nicht für die beste Wahl halten, man sollte ihm zumindest eine Chance geben. In seiner Rede vor den EU-Parlamentariern hat er zudem eine Lanze gebrochen für ein sozialeres Europa. Das ist prinzipiell schon mal der richtige Weg.
Juncker will offensichtlich die Wahrheit da suchen, wo sie sich meistens befindet, nämlich in der Mitte, notiert Le Soir. Er stützt sich auf eine Hyper-Koalition aus Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen. In den meisten Ländern wäre das der Inbegriff für Stillstand. Auf EU-Ebene ist eine solche Allianz aber gleichbedeutend mit einer Synthese, Synthese aus Haushaltsdisziplin und Konjunkturbelebung.
Die Leitartikler sind sich einig, dass die Herausforderungen für Jean-Claude Juncker enorm sind. Die EU des Jahres 2014 ist das Produkt der Regierungen der Mitgliedsstaaten, die so wenig Macht wie möglich abgeben wollten, bemerkt L'Echo. Es ist eine hybride Konstruktion, nicht Fleisch, nicht Fisch, die in entscheidenden Politikbereichen nichts zu sagen hat, wie Industrie-, Energie-, Einwanderungs- und Verteidigungspolitik. Juncker steht einer Kommission vor, die auf dem Papier über enorme Macht verfügt, in der Praxis aber an Einfluss eingebüßt hat.
Starke Equipe für Juncker
Die EU ist zerstritten und gespalten, analysiert auch De Standaard. Der Grundgedanke, nämlich, dass wir in dieser globalisierten Welt nur gemeinsam überleben können, dieses Bewusstsein ist verloren gegangen. Die Glaubwürdigkeit Europas ist im Keller. Da ist die Frage erlaubt, ob ein Mann wie Jean-Claude Juncker mit seinem ironischen Charakter und seinem burgundischen Lebenswandel der richtige Mann ist, um für eine Schubumkehr zu sorgen. Jetzt ist es erst mal wichtig, dass er sich mit starken Kommissaren umringt.
La Libre Belgique sieht das ähnlich. Jetzt muss Juncker die Möglichkeit bekommen, zu zeigen, dass er der richtige Mann auf dem richtigen Stuhl ist. Allerdings ist er im Wesentlichen davon abhängig, welche Kommissare ihm die Mitgliedsstaaten aufs Auge drücken wollen. Und angesichts der bisher bekannten Kandidaten könnte man fast schon verzweifeln. Für das Amt der EU-Außenbeauftragten sind etwa zwei internationale Leichtgewichte im Gespräch. Und daran ist Juncker eindeutig unschuldig.
De Morgen spricht dennoch von einer historischen Zeitenwende. Jean-Claude Juncker ist als Kommissionspräsident demokratisch legitimiert. Zudem verspricht er einen Kurswechsel mit unter anderem Investitionen von 300 Milliarden Euro. Allein an dieser Summe zeigt sich, wie wichtig die europäische Ebene für unser aller Alltag geworden ist. Und wir starren trotzdem lieber auf unseren Nabel und fokussieren allzu sehr auf die flämische Regierungsbildung.
Kamikaze-Koalition wahrscheinlicher
Apropos Regierungsbildung. "Eine Kamikaze-Koalition wird immer wahrscheinlicher", schreibt unter anderem De Morgen. Anlass für diese Schlagzeile ist eine interne Umfrage, die die frankophonen Liberalen, MR, bei ihren Mitgliedern durchgeführt haben. "7 von 10 MR-Wählern wollen eine Kamikaze-Koalition", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Also: Die liberale Basis würde eine Koalition befürworten, die auf frankophoner Seite allein aus der MR besteht.
Und auch andere Indizien sprechen dafür, dass eine solche Allianz immer wahrscheinlicher wird: "Flämische Regierungsbildung – die OpenVLD hat einen Fuß in der Tür", titelt etwa Het Belang van Limburg. Im Moment verhandeln ja N? VA und CD&V über die Bildung einer flämischen Regierung; beide Parteien wissen aber, dass sie die OpenVLD mitnehmen müssen, falls die flämischen Liberalen auf der föderalen Ebene mit einsteigen sollten.
Grund für die Verzögerung auf flämischer Seite ist aber auch Misstrauen, glaubt Het Laatste Nieuws. Die CD&V will von der N? VA Garantien, dass die Partei von Bart De Wever nicht auf föderaler Ebene plötzlich mauert. Die CD&V will vermeiden, dass sie sich am Ende zwischen zwei Stühlen wiederfindet. Mit einer Föderalregierung ohne die N? VA, die dann aus der flämischen Regierung heraus einen knallharten Konfrontationskurs fährt.
Eigenbrötlerische DG?
Einige Zeitungen haben sich mit dem neuen DG-Ministerpräsidenten Oliver Paasch beschäftigt. Paasch hatte gestern die nationale Presse eingeladen, um sich vorzustellen und dabei auch Missverständnisse auszuräumen. "Ich stehe zu Belgien", sagt Paasch sinngemäß in De Standaard.
L'Echo wundert sich allerdings darüber, dass in der DG eine Regierung gebildet wurde, die noch nicht über ein Programm verfügt. "Unser Koalitionsabkommen ist für September", reagiert Paasch in Het Belang van Limburg. Die Zeitung stellt fest: "Die DG macht ihrem Ruf als Eigenbrötlerin alle Ehre".
Brussels Airlines, SNCB, STIB
Viele Zeitungen schließlich berichten über die neuerliche Offensive der Fluggesellschaft Brussels Airlines. "Schlacht um Zaventem – Brussels Airlines attackiert Ryanair", schreibt Het Nieuwsblad. "Brussels Airlines verkauft Tickets zu Ryanair-Preisen", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. L'Echo hebt vor allem die neue Preisformel hervor: "69 Euro hin und zurück".
"Streik kostet die SNCB 1,3 Millionen Euro", schreibt Het Nieuwsblad. Hier geht es allein um den Streik vom 30. Juni. Berechnet wurde lediglich die Zahl der nicht verkauften Tickets. "Was will Bahnchef Jo Cornu mit einer solchen Rechnung erreichen?", fragt sich das Blatt in seinem Leitartikel. Ist das ein Angriff auf das Streikrecht? Naja, es ist wohl zumindest ein Seitenhieb, um den Gewerkschaften noch mal klarzumachen, dass ein Streik kein Kinkerlitzchen ist, dass man mit dieser Waffe vernünftig umgehen sollte. Ob diese Botschaft allerdings insbesondere bei der sozialistischen CGSP ankommt, das steht auf einem anderen Blatt.
Gute Nachricht schließlich für die Nahverkehrsnutzer in Brüssel: "Gratis-Internet in den Metro-Stationen", titelt L'Echo. So steht es zumindest im Brüsseler Regierungsabkommen.
Bild: Benoit Doppagne (belga)