"Am Samstag wird das Land stillstehen", titelt La Dernière Heure. "Ganz Belgien auf Kriegsfuß", so die Schlagzeile von L'Avenir. Der Fußball-Thriller gegen die USA hat jedenfalls für Rekordeinschaltquoten gesorgt. In Flandern saßen im Durchschnitt über 2,3 Millionen Menschen vor dem Fernseher. Im frankophonen Landesteil waren es über 1,6 Millionen.
Die öffentlich-rechtlichen Sender RTBF und VRT verzeichneten damit jeweils einen Marktanteil von 85 Prozent. Hinzu kamen noch einmal rund 800.000 Menschen, die das Spiel beim Public Viewing gesehen haben. "Rekord pulverisiert", schreiben denn auch La Dernière Heure und Het Belang Van Limburg.
"Belgiuuuuummm"
Jetzt richten sich alle Blicke auf diesen Samstag. Das Viertelfinalspiel gegen Argentinien beginnt um 18 Uhr. Dann ist das Land im Ausnahmezustand: Einige Supermärkte werden früher schließen. Der Zeitplan der Rockfestivals vom Wochenende wird angepasst. Paare, die am Samstag ihre Hochzeit feiern, sind verzweifelt auf der Suche nach Großbildschirmen, damit ihre Gäste das Spiel sehen können. Einige Priester haben die Samstagabendmesse annulliert.
Die Begeisterung nimmt auch zuweilen seltsame Züge an, wie die Zeitungen La Dernière Heure und Het Laatste Nieuws berichten. Ein Tierheim im flämischen Westerlo hat vor einigen Tagen eine Bananenkiste voller ausgesetzter Kätzchen bekommen. Die Samtpfoten wurden auf die Namen der Roten Teufel getauft: Die rote Katze heißt natürlich Kevin De Bruyne, die schwarze Romelu Lukaku.
Und auch aus dem Ausland gibt es eine Menge Lob für die Roten Teufel. Unter anderem Het Nieuwsblad bringt eine Übersicht der Titelseiten ausländischer Zeitungen und auch eine Reihe von Twitter-Mitteilungen von internationalen Prominenten. Sogar die amerikanische Sängerin Rihanna ist voll des Lobes; ihre Botschaft endet mit einem "Belgiuuuuummm".
Dieses Belgiuuuuummm ist auch der Titel des Kommentars der ansonsten sehr flämischen Gazet Van Antwerpen. Wir haben die internationale Aufmerksamkeit genossen, meint das Blatt. Die Begeisterung ist jetzt schon größer als 1986. Die WM reimt sich für Belgien mit einem gewaltigen Fest. Selbst der bekennende Fußballhasser Bart De Wever ist begeistert darüber, welchen positiven Einfluss das Ganze auf seine Einwohner hat.
Die Marke "Belgien"
Die Roten Teufel sorgen nicht nur für Glücksgefühle, sondern sind auch ein Segen für unser Bruttoinlandsprodukt, glaubt Het Laatste Nieuws. Die Leistungen der Roten Teufel sind von Millionen Menschen in der Welt verfolgt worden. Das hat auch positive Auswirkungen auf das Image der Marke "Belgien".
Und endlich sind wir nicht mehr nur das Land von Bier, Schokolade und Tim und Struppi. Schizophren sind wir trotzdem: "Tous ensemble" auf der Tribüne, jeder für sich, wenn's um Politik geht. La Libre Belgique sieht das ähnlich: Die Roten Teufel haben Belgien auf der Weltkarte platziert.
Jetzt weiß man auch in Amerika, dass Brüssel kein Land ist, sondern dass darum herum noch zehn Millionen Menschen leben. Und auch in Belgien ist es schön anzusehen, wenn Menschen von Arlon bis Ostende und von Mouscron bis Sankt-Vith alle mit einer Stimme hinter der Nationalmannschaft stehen. Selbst Menschen, die mit Fußball nichts am Hut haben, müssen doch zugeben, dass das gut tut, teuflisch gut.
Doch eine Nation?
Nun sollte man nicht den Fehler machen, aus der Begeisterung um die Roten Teufel politische Schlussfolgerungen zu ziehen, warnt De Morgen. Selbst wenn wir noch Argentinien und die Holländer schlagen würden, hätte das keinerlei Einfluss auf die Regierungsbildung. Und doch gibt es eine gesellschaftliche Botschaft. Die Mannschaft ist das Spiegelbild des Landes: mehrsprachig und mehrfarbig, von Ebenholz bis schneeweiß. Das sollte uns allen Vorbild und Lehre sein.
L'Avenir ist ebenfalls der Ansicht, dass man zumindest einige Schlüsse aus dem Hype ziehen kann. Streng genommen kann man Belgien mit seinen drei Gemeinschaften im politischen Sinne des Wortes nicht als "Nation" bezeichnen. Und doch scheint es da so ein undefinierbares Zusammengehörigkeitsgefühl zu geben. Offenbar teilen Flamen, Frankophone und Deutschsprachige gemeinsamen Stolz und gemeinsame Hoffnung. Und das ist eigentlich das Charakteristikum einer Nation.
"Schwedische Koalition"?
Innenpolitisch richten sich die Blicke auf Informator Charles Michel. Der muss Freitag dem König über seine Sondierungsmission Bericht erstatten. Die meisten Zeitungen gehen davon aus, dass König Philippe die Mission verlängern wird. Offenbar arbeitet Michel an einer Mitte-Rechts-Koalition, die auf frankophoner Seite allein aus seiner Partei, der liberalen MR, bestehen würde.
Beobachter haben diese Formel "Kamikaze-Koalition" genannt. Weil das nicht unbedingt positiv klingt, suchen MR und N-VA anscheinend händeringend nach einer neuen Bezeichnung, wie Het Nieuwsblad berichtet. Het Laatste Nieuws schlägt die "schwedische Koalition" vor: gelb für die N-VA, blau für die Liberalen, das Kreuz für die CD&V.
Königliche Feuerprobe
Heute ist es auch genau ein Jahr her, dass König Albert der Zweite seinen Thronverzicht angekündigt hat. Das war der richtige Zeitpunkt, meint Le Soir rückblickend in seinem Leitartikel. Das Timing war perfekt. König Philippe hatte noch ein ganzes Jahr Zeit, um sich in der komplexen belgischen Innenpolitik zurecht zu finden. Und bislang hat Philippe auch einen makellosen Parcours hingelegt. Es ist aber noch zu früh, ihm ein erstes königliches Zeugnis auszustellen. Die Feuerprobe hat nämlich gerade erst begonnen.
rop - Bild: Jasper Jacobs (belga)