"Der König setzt die MR wieder in die Spur", titelt La Libre Belgique. "Hat Michel eigentlich Erfolgschancen?", fragt sich L'Echo auf Seite eins. "Michel muss jetzt erstmal das Misstrauen abarbeiten", so die Schlagzeile von Het Belang Van Limburg.
König Philippe hat gestern den MR-Vorsitzenden Charles Michel zum neuen Informator ernannt. Michel soll die möglichen Koalitionen ausloten. Die Sondierungsmission soll es ihm aber auch erlauben, wieder Kontakt aufzunehmen mit PS und CDH. Die Liberalen haben es nach wie vor nicht verdaut, dass die Sozialisten und Zentrumshumanisten in der Wallonie und in Brüssel die Regierung bilden wollen.
De Wever misstraut Michel
Nach langem Schweigen hat sich gestern Abend aber auch Bart De Wever zu Wort gemeldet. "De Wever hat ein Problem mit seinem Nachfolger", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "De Wever befürchtet jetzt eine schnelle Dreier-Koalition", bringt Gazet Van Antwerpen die Skepsis des N- VA-Chefs auf den Punkt. Besagte Dreier-Koalition aus Sozialisten, Christdemokraten und Liberalen, das liefe ja auf eine Regierung ohne die N- VA hinaus. In der Tat hatten MR-Spitzenvertreter noch am Donnerstag erklärt, dass sie eigentlich von Anfang an eine klassische Dreier-Koalition bevorzugt hätten.
Da gibt es allerdings ein Problem: "4 von 5 Flamen wollen keine Dreier-Koalition", titelt Het Laatste Nieuws. Das jedenfalls geht aus einer Umfrage hervor, die die Zeitung exklusiv veröffentlicht. Demnach wünschen sich die Flamen eine Mitte-Rechts-Koalition mit Kris Peeters als Premier. Zwei von drei Flamen können zudem nicht verstehen, dass CDH-Chef Benoît Lutgen Nein gesagt und damit eine Mitte-Rechts-Koalition verhindert hat.
Doch noch Mitte-Rechts?
Für welche Option wird sich Michel entscheiden? Viele Zeitungen sind der Ansicht, dass Michel zunächst weiter auf Mitte-Rechts setzen wird. "Charles Michel versucht eine Rechtskurve", glaubt etwa Le Soir. Der Punkt ist nämlich: Die PS ist wohl nicht umsonst zunächst noch an der Seitenlinie geblieben, das dürfte wohl ein untrügerisches Zeichen dafür sein, dass die Zeit für eine Dreier-Konstellation nicht reif ist, analysiert De Standaard.
Im Grunde hat Charles Michel ein Rendezvous mit sich selber, sind sich viele Zeitungen einig. Im Raum steht nämlich auch noch die so genannte Kamikaze-Koalition, in der die MR der einzige frankophone Partner wäre. Für De Standaard könnte Michel dennoch diese Richtung einschlagen, weil die CDH offensichtlich einer Mitte-Rechts-Koalition ein für alle Mal eine Absage erteilt hat. Damit wäre eigentlich auch wieder die Open Vld im Spiel, die statt der CDH den Mehrheitsbeschaffer geben müsste.
Kamikaze-Mission in Scherbenhaufen
Einfach ist allerdings nichts, stellt Het Belang Van Limburg in seinem Leitartikel fest. Gegen jede der möglichen Optionen gibt es mindestens ein Veto. Hinzu kommen das ramponierte Vertrauen und die gekränkte Eitelkeiten. Angesichts dieses Scherbenhaufens hat König Philippe mit Sicherheit die richtige Entscheidung getroffen. Erste Aufgabe von Charles Michel muss es sein, den Vertrauensbruch zwischen der MR und dem linken Duo PS und CDH zu kitten.
Le Soir hält das Ganze nichtsdestotrotz für ein Himmelfahrtskommando. Wenn es denn Mitte-Rechts sein soll, dann bleibt nach der Absage der CDH ja nur noch die Kamikaze-Koalition. Dann müsste uns die MR allerdings mal erklären, wie ihre Aussagen im Wahlkampf gemeint waren, als man einer möglichen Koalition mit der N-VA am Ende immer deutlicher eine Absage erteilt. Langsam aber sicher geht es hier auch um die Person Charles Michel. Wer genau hinschaut, der stellt nämlich fest, dass sich ein anderer im Moment sehr bedeckt hält und sich auch mit niemandem verkracht hat: Didier Reynders nämlich. Charles Michels Optionen lauten also wie folgt: Kamikaze oder Selbstmord.
Bart De Wever jedenfalls kann sich aber beruhigt zurücklehnen, glaubt Gazet Van Antwerpen. Die Gefahr, dass eine Regierung ohne die N- VA gebildet wird, ist eher gering. Man stelle sich vor: Eine belgische Regierung unter Kris Peeters müsste zusammen mit einem N-VA-Ministerpräsidenten in Flandern die Sechste Staatsreform umsetzen. Ohne die N-VA in der föderalen Regierung stünden die beiden Machtebenen wahrscheinlich fünf Jahre lang in einem Dauerkonflikt. Nein, die N- VA muss in die nächste Föderalregierung. Und eins ist auch klar: Diesmal hat sich De Wever staatsmännisch verhalten. Gibt es eine neue Dauerkrise, dann kann man ihn dafür nicht verantwortlich machen.
Es ist zum Verzweifeln, seufzt derweil Het Nieuwsblad. Die Rue de la Loi ist inzwischen übersät mit Scherben und bevölkert mit gekränkten Egos. Die Politik in ihrer Gesamtheit hat den Tunnelblick, ist in Taktikspielchen verheddert. Dabei braucht das Land schnellstens eine Regierung, die die sozialwirtschaftlichen Herausforderungen angeht. Davon sind wir aber leider noch weit entfernt.
Juncker - ein kleiner größer Schritt
Charles Michel muss sich die Titelseiten aber heute mit Jean-Claude Juncker teilen. Juncker wurde gestern von den EU-Staats-und Regierungschefs offiziell als neuer EU-Kommissionspräsident nominiert. "Juncker macht den Schampus auf, Cameron muss einstecken", titelt La Libre Belgique. Am Ende stimmten 26 Länder für den ehemaligen Luxemburgischen Premier. Zwei Länder waren dagegen, das waren Ungarn und eben auch Großbritannien. Der britische Premier Cameron hielt Juncker für eine Fehlbesetzung.
De Standaard sieht das offenbar ähnlich: "Europa wollte einen schwungvollen Anführer und bekommt ... Jean-Claude Juncker", schreibt das Blatt. Klingt eher ironisch als begeistert. Juncker mag bestimmt nicht die Idealbesetzung sein, meint De Standaard. Und doch ist seine Bezeichnung zum EU-Kommissionspräsidenten ein Meilenstein. Endlich ist Schluss mit der Hinterzimmerpolitik. Und eine Rückkehr in diese Zeit ist unmöglich.
La Libre Belgique und L'Echo sehen das ähnlich: Es ist ein Schritt hin zu mehr Demokratie in der EU. Zwar ein kleiner Schritt, aber nichtsdestotrotz ein sehr wichtiger.
"Abgeraucht"
"Bye bye Belga", so schließlich die Schlagzeile von Het Belang Van Limburg. Nach fast einem Jahrhundert wird die belgische Traditionszigarettenmarke Belga eingestellt. Eine Reihe von Zeitungen stimmt in den Abgesang auf die legendäre rote Packung ein. Belga war 1923 lanciert worden, gehört aber inzwischen dem Konzern British American Tobacco. Und wegen schleppender Verkäufe wird der Name jetzt verschwinden. Künftig werden die Zigaretten unter dem Label "Lucky strike" verkauft.
Bild: Benoit Doppagne/BELGA