"Zwölf Jahre haben wir gewartet", titelt L'Avenir. "Schreibt Geschichte!", fordert La Dernière Heure auf Seite eins. "Macht's, ihr Roten Teufel!", feuern Gazet van Antwerpen und Het Belang van Limburg die Nationalmannschaft an.
Alle Zeitungen fiebern dem heutigen Abend entgegen. Um 18:00 Uhr steigt das erste Gruppenspiel der Belgier gegen Algerien. "Jetzt hängt's an uns", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. Le Soir spricht von der "Stunde der Wahrheit".
Belgien wird (vielleicht) Weltmeister
La Libre Belgique bringt eine etwas überraschende Schlagzeile: "Die Belgier werden Weltmeister… Oder doch nicht…" Ein Statistikexperte hat die Chancen der Roten Teufel beziffert. Demnach gehören die Belgier zu den acht Favoriten des Turniers. Allerdings sind ihre Chancen auf den Titel dann doch eher gering, sie liegen bei zwei Prozent, um genau zu sein. Top-Favorit ist Brasilien mit 43 Prozent vor Argentinien mit 14 und Deutschland mit elf Prozent. Aber immerhin: Die Aussichten, dass Belgien die Vorrunde übersteht und ins Achtelfinale einzieht, schätzt der Experte auf 77,7 Prozent.
Apropos Statistiken: Auch Het Laatste Nieuws bringt auf seiner Titelseite einige aufschlussreiche Zahlen. Demnach sehen 95 Prozent der Fans die Roten Teufel mindestens ins Achtelfinale kommen, mehr als ein Fünftel der Belgier hört heute früher auf zu arbeiten, und zwei Millionen Bierchen stehen kühl, damit die Fans nicht verdursten.
Favorisierter Underdog
"Heute ist jeder Belgier", titelt De Morgen. Zu sehen sind Menschen mit Migrationshintergrund, die heute Abend mit ihrem Gastland mitfiebern werden. Das WM-Fieber ist jedenfalls spürbar. Le Soir spricht von einer nie dagewesenen Begeisterung für die Roten Teufel. Einige Zeitungen bemühen sogar Psychologen oder Soziologen, um das Land auf die Couch zu legen. De Morgen diagnostiziert den Belgiern einen Gewissenskonflikt: Eigentlich ist Optimismus in diesen Tagen fast schon eine moralische Pflicht. Allerdings tut sich der Belgier schwer damit. Wir gefallen uns offensichtlich eher in der Rolle des Underdogs.
"Erwarten Sie das Unmögliche!", greift Le Soir in seinem Kommentar das Motto der Roten Teufel auf. Genau dieses Gefühl beseelt derzeit das ganze Land, das zwölf Jahre darauf warten musste, bevor es wieder an einer WM teilnehmen darf. Geschafft haben das Spieler mit unterschiedlichsten Wurzeln: Kompany, Lukaku, Witsel, Hazard und Courtois. Hier mischen sich quasi alle Hautfarben, bezeichnenderweise hebt das aber gar niemand mehr hervor. Und das ist auch gut so. Jetzt muss diese Goldene Generation nur noch beweisen, dass sie dieses Adjektiv verdient.
Die wichtigste Nebensache der Welt
Für die Fans der Roten Teufel geht die WM im Grunde jetzt erst richtig los, bemerkt La Libre Belgique. Bislang waren sie allenfalls mit angezogener Handbremse unterwegs. Spätestens jetzt wird die Weltpolitik ausgeblendet. Trotz Weltmeisterschaft geht aber das Blutvergießen im Irak, in Kenia und in der Ukraine weiter. Das soll uns nicht den Spaß verderben, vergessen sollte man das aber auch nicht.
Fußball ist und bleibt eben nur die die "wichtigste Nebensache der Welt", notiert auch Gazet van Antwerpen. Klar: Im Augenblick hat das Belgien-Gefühl Konjunktur. Das heißt aber im Grunde nichts. Im Umkehrschluss wird es nämlich auch nicht weniger Belgier geben, wenn die Roten Teufel verlieren sollten. König Philippe hat ebenfalls verstanden, dass sein heutiges Gespräch mit Bart De Wever wichtiger ist als seine Präsenz im Stadion. Und so gehört es sich auch.
De Wever beim König
Bart De Wever wird ja heute dem König erneut über den Fortgang seiner Sondierungsmission Bericht erstatten. Die meisten Zeitungen gehen davon aus, dass sein Auftrag noch einmal verlängert wird. "So lange er, wenn auch nur zentimeterweise, vorankommt, setzt er seine Bemühungen fort", glaubt Het Laatste Nieuws. "Bart De Wever will der CDH eine Note schicken, um sie zu überzeugen", titelt L'Echo. Vor allem die Zentrumshumanisten verlangen ja Garantien, wollen wissen, worauf sie sich gegebenenfalls einlassen.
Historischer Rentenplan
Auf dem Tisch der nächsten Regierung dürfte in jedem Fall eine neue Rentenreform liegen, glauben viele Zeitungen. Hintergrund ist der Abschlussbericht einer Expertenkommission, die sich mit der Frage beschäftigt hat, wie man das Pensionssystem langfristig absichern kann. "Historischer Rentenplan belohnt längeres Arbeiten", fasst De Standaard das Fazit zusammen.
Demnach soll ein Punktesystem eingeführt werden, das es erlaubt, die berufliche Laufbahn auch unter Berücksichtigung von Unterbrechungen zu beziffern. In der Praxis dürfte das aber bedeuten, dass wir bis 67 arbeiten müssen. "Die Ideen, die für Unmut sorgen", titelt Le Soir. Es ist nämlich so, dass die sozialistischen Parteien und Gewerkschaften die Pläne sogleich vom Tisch gefegt haben.
Die Ideen sind revolutionär, urteilt De Morgen. Jetzt soll nämlich das Individuum im Vordergrund stehen. Jeder bekommt buchstäblich die Pension, die er verdient. Und jeder soll sehen können, welche Konsequenzen seine persönlichen Entscheidungen haben.
PS reif für die Opposition?
Auch L'Echo ist voll des Lobes. Erstens: Der Plan ist längst überfällig. Und zweitens: Durch das Punktesystem wird dafür gesorgt, dass nicht die heutige Generation für den "Opa-Boom" alleine aufkommen muss. Jetzt muss die Politik nur noch dranbleiben.
Genau da ist aber das Problem: Die Sozialisten wollen ja von den Plänen schon nichts wissen. Einen Bericht abzuschießen ist definitiv einfacher, als selbst einen Vorschlag zu formulieren, kritisiert Het Nieuwsblad. Die Ideen gleich in den Mülleimer werfen zu wollen, ist angesichts der vorhersehbaren Entwicklungen dumm und arrogant.
De Standaard sieht das ähnlich: Indem die PS die Rentenpläne quasi von vornherein torpediert, liefert sie eigentlich nur den Beweis dafür, dass sie sich für die Opposition entschieden hat.
Bild: Bruno Fahy (belga)