"Das Delhaize-Drama", titelt Gazet Van Antwerpen. "Einer von sechs Jobs bei Delhaize bedroht", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Wut über knallharte Sanierung bei Delhaize", schreibt De Standaard auf Seite eins. Der angekündigte Umstrukturierungsplan bei der Supermarktkette Delhaize hat eingeschlagen wie eine Bombe.
Gazet Van Antwerpen fasst auf seiner Titelseite die Eckdaten zusammen. Und das in Form eines Kassenzettels. Darauf steht: "Zunehmende Konkurrenz durch Lidl, Aldi und Albert Heijn - Der Verbraucher kauft preisbewusster - Hohe Personalkosten - Nicht rentable Geschäfte - Macht zusammen: 2.500 Arbeitnehmer". Unten auf dem Kassenzettel steht dann noch: "Danke und auf Wiedersehen".
Das Fallbeil
"Delhaize bricht mit dem Paternalismus der Vergangenheit und betätigt das Fallbeil", so die Schlagzeile von L'Echo. Bislang war das belgische Traditionsunternehmen nämlich eher für seine sozialverträgliche Politik bekannt. Jetzt allerdings sind nicht mehr die Nachkommen der Gründerfamilie am Ruder, sondern knallharte, gefühllose Manager, wie es sogar die sonst eher Unternehmer freundliche Wirtschaftszeitung formuliert.
Le Soir und La Libre Belgique versuchen ihrerseits, die "Ursachen für das Erdbeben" zu ergründen. Auf der einen Seite hat Delhaize tatsächlich mit unverhältnismäßig hohen Lohnkosten zu kämpfen; deswegen macht dem Unternehmen auch die wachsende und immer aggressivere Konkurrenz zu schaffen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die flagranten Managementfehler, die das Unternehmen in seine unglückliche Lage gebracht haben, sind sich die Zeitungen einig.
Die Direktion jedenfalls behauptet steif und fest, dass sie keine andere Wahl gehabt habe: Die Personalkosten mussten gedrückt werden.
(Fehl-)Entwicklungen
Das Delhaize-Drama ist zugleich das Resultat einer Ansammlung von Irrtümern und das sichtbare Zeichen einer Revolution, fasst La Libre Belgique in ihrem Leitartikel zusammen. Der belgische Markt ist knallhart umkämpft. Die Harddiscounter sind im Aufwind. Und Delhaize hat den Fehler gemacht, sich auf einen Preiskrieg einzulassen. Damit hat man Teile seines Images eines Premium-Supermarktes aufgegeben.
Die Tatsache, dass es keine großen belgischen Aktionäre mehr gibt, sondern im Wesentlichen nur noch internationalen Streubesitz, hat zudem dazu geführt, dass Belgien in den Augen der neuen, anonymen Geschäftsführer ein Markt wie jeder andere geworden ist.
Auch L'Echo ist der Ansicht, dass die entscheidenden Pfeiler innerhalb des Unternehmens aus dem Gleichgewicht geraten sind. Es gibt die Aktionäre, es gibt die Geschäftsführung; und dann eben auch die Mitarbeiter. In einer idealen Welt harmonieren diese drei Faktoren. Das Problem bei Delhaize: Aktien sind verstreut, ein Viertel des Kapitals ist in Händen von angelsächsischen Investmentfonds. Und die wollen nur Geld sehen.
Zeitgleich ist Delhaize auf seinem Heimatmarkt von der Wirklichkeit überholt worden. Die Folge war, dass sich die Manager an der Spitze des Unternehmens quasi die Klinke in die Hand gegeben haben. Und jetzt die Flucht nach vorn mit einem knallharten Sanierungsplan, das ultimative Zeichen dafür, dass bei Delhaize nichts mehr rund läuft.
Das Delhaize-Management am Pranger
In der Tat hat es an der Spitze des Einzelhandelsunternehmens in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Wechseln gegeben. Begonnen hatte alles mit dem Abgang des Hauptgeschäftsführers Pierre-Olivier Beckers, dem letzten Nachkommen der Gründerfamilie. Allein Beckers hatte eine Abschiedsprämie von 7,6 Millionen Euro erhalten. "Das Personal ist zu teuer, aber die Chefs sacken 19 Millionen ein", so die fast schon anklagende Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Die klassischen Argumente greifen diesmal jedenfalls nicht, konstatiert auch Gazet Van Antwerpen. Normalerweise werden ja immer die hohen Lohnkosten in Belgien ins Feld geführt. Im Fall Delhaize trifft das aber nicht zu. Hier befindet sich die Konkurrenz nicht im Ausland, sondern in Belgien. Da gibt es tatsächlich nur eine Schlussfolgerung: Das Management hat Fehler gemacht und dafür müssen jetzt die Kassiererinnen und Metzger die Zeche zahlen.
Dabei wirft auch die Strategie der jetzigen Geschäftsführung Fragen auf, wie unter anderem La Dernière Heure hervorhebt. Eigentlich ist es doch so: Wenn ein Unternehmen einen Umstrukturierungsplan vorlegt, dann ist der beziffert. Wenn man aber den Delhaize-Geschäftsführer Denis Knoops fragt, was denn der Abbau von 2.500 Stellen letztlich für Ergebnisse abwerfen soll, dann hat er darauf keine Antwort parat. Das ist schon sehr bedenklich.
De Morgen erkennt zwar auch Managementfehler. Man kann zum Beispiel nicht gleichzeitig ein Premiumhändler sein wollen und mit der Konkurrenz einen Preiskrieg führen. Doch sollte sich auch der Verbraucher an die Nase fassen. Vor 40 Jahren gaben wir noch ein Viertel unseres Gelds für Lebensmittel aus, jetzt sind es nur noch zwölf Prozent.
Politische Lehren aus dem Drama?
Bei alldem stellt sich die Frage, welche Lehren die Politik daraus ziehen soll. De Standaard kann jedenfalls nur feststellen, dass Delhaize unter anderem zum Opfer der Altersstruktur seines Personals geworden ist. Je älter die Mitarbeiter, desto teurer sind sie. Auf der anderen Seite soll aber jeder möglichst lange im Arbeitsleben bleiben. Diese Gleichung muss die nächste Regierung lösen.
Und das wird noch eine harte Nuss, orakelt Le Soir. Welches Modell hätte da wohl die besseren Antworten? Das PS-Modell oder doch das N-VA-Modell? Sowohl die rechten als auch die linken Parteien sollten jedenfalls aufhören, Parolen in die Welt zu tröten, und stattdessen praxistaugliche Lösungen anbieten.
Het Laatste Nieuws sieht das ähnlich: Für die N-VA zum Beispiel wäre Delhaize schon so eine Art erster Praxis-Check. Die Partei will Frühpensionen abschaffen, will Arbeitslosen nach kurzer Zeit die Unterstützung streichen. Will man das den Kassiererinnen von Delhaize jetzt zumuten? Verdienen die vielleicht zu viel? Dem selbsternannten Aufräumer De Wever kann man da nur sagen: Viel Spaß dabei!
Anstoß!
Bei alldem rückt ein eher freudiges Ereignis heute etwas in den Hintergrund: Der Auftakt der Fußball-WM. "Anstoß", freut sich Het Nieuwsblad. "Heute beginnt das Fest", schreiben Het Belang van Limburg und L'Avenir. "Bringt uns zum Träumen", fordert La Dernière Heure auf Seite eins.
Doch ist ja bekanntlich nicht alles rosig im Gastgeberland Brasilien: Es gibt auch viele Proteste. Für L'Echo ist es denn auch die "WM der Gegensätze", die heute an den Start geht.