"N- VA und CD&V formen zusammen die flämische Regierung", titelt nüchtern Het Belang van Limburg. "Schnelle Landung am D-Day", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen.
N- VA und CD&V haben am Freitag die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen flämischen Regierung angekündigt. Wenngleich sie es nicht zugeben wollen, ist das wohl eine Reaktion auf das Vorpreschen der PS auf frankophoner Seite tags zuvor, sind sich die Zeitungen weitgehend einig. Die PS hatte ja am Donnerstag eine Koalition mit der CDH in der Wallonie und eine Regierung mit CDH und FDF in Brüssel angekündigt. Die frankophonen Sozialisten wollten offensichtlich die Entwicklungen auf föderaler Ebene nicht abwarten. Die Flamen sahen sich also dazu genötigt, nachzuziehen.
"Konföderale Revolution"?
"Die Flamen machen im Gegenzug das Gegenteil der Frankophonen", stellt allerdings La Libre Belgique auf ihrer Titelseite fest. Denn es ist so: Während sich die Frankophonen für eine Mitte-Links-Koalition um die Achse PS-CDH entschieden haben, kommt in Flandern eine Mitte-Rechts-Regierung aus CD&V und N- VA. Damit wird im Übrigen die Bildung einer föderalen Regierung zu einem noch kniffligeren Puzzle.
"Die Revolution hat stattgefunden", verkündet De Standaard in seinem Leitartikel. Durch das Vorpreschen der PS wurde in der Praxis der Beweis erbracht, dass der politische Schwerpunkt sich verschoben hat, vom Föderalstaat weg, hin zu den Teilstaaten. Das entspricht der Kopernikanischen Revolution, die insbesondere der scheidende flämische Ministerpräsident Kris Peeters immer gepredigt hat. Der Konföderalismus von De Wever ist auch nicht mehr weit. In der belgischen Politik gilt offensichtlich das Motto: "Erwarte das Unerwartete".
Belgien ist in den letzten zwei Tagen ein Stück weit konföderaler geworden, kann auch Le Soir nur feststellen. Konföderalismus, das bezeichnet ja einen Verbund faktisch unabhängiger Staaten, die gemeinsam nur das Nötigste verwalten. Dem einen oder anderen mag der Begriff Angst einjagen. Darauf kann man nur erwidern: "Konföderalismus, na und?" Hier geht es letztlich nur um Worte. Hauptsache, das Ganze funktioniert. Allerdings muss genau dafür noch der Beweis erbracht werden.
Das muss er wohl sein, der "erwachsene" Föderalismus, den man uns seit Jahren verspricht, meint La Libre Belgique. "Erwachsen" in dem Sinne, dass homogene Mehrheiten auf allen Ebenen nicht zwingend notwendig sind und die Teilstaaten im Wesentlichen ihr eigenes Süppchen kochen. Problematisch ist im vorliegenden Fall allerdings, dass keiner daran gedacht hat, dass nach den Regionen auch noch auf föderaler Ebene eine Regierung gebildet werden muss. Die Gemengelage ist in den letzten 48 Stunden plötzlich dermaßen komplex geworden, dass man da fast schon einen Klempner nach dem Vorbild eines Jean-Luc Dehaene braucht. Die Frage ist nur, ob es in diesem Land noch Minenräumer mit einer solchen Kragenweite gibt.
Jahrmarkt der gekränkten Eitelkeiten
"Zerrissener denn je", so denn auch die resignierte Schlagzeile auf Seite eins von De Morgen. In Windeseile hat sich die föderale Regierungsbildung wieder zu einem Gordischen Knoten entwickelt. 13 Tage nach der Wahl fängt der Zähler wieder an zu ticken. Beim letzten Mal zeigte er am Ende 541 Tage an.
Es ist schon bemerkenswert, wie schnell die Gemeinschaftspolitik wieder an die Oberfläche kommt, konstatiert De Morgen in seinem Leitartikel. Während des Wahlkampfes war die Thematik weitgehend abwesend. Grund für die neue Zuspitzung ist die Rückkehr des allgemeinen Misstrauens: Die CD&V fühlt sich von der PS betrogen. Die PS wiederum glaubt, dass die flämischen Christdemokraten sie hintergangen und heimlich mit der N- VA paktiert haben. Die OpenVLD ist rasend auf N-VA und CD&V, die MR mindestens genauso wütend auf PS und CDH. Hier geht es um gekränkte Eitelkeiten, verletzte Egos, gebrochene Versprechen. Und plötzlich steckt das Land wieder mitten in der Krise. Vor allem in den letzten beiden Tagen ging es dermaßen absurd schnell, dass man fast Angst haben muss, dass wir am Pfingstmontag in einem anderen Land aufwachen werden.
L'Avenir schätzt die Lage ähnlich gefährlich ein. Der Überraschungscoup der PS hat die komplette politische Landschaft durcheinander gewirbelt. Plötzlich spekulieren schon eigentlich gemäßigte Beobachter über die Möglichkeit einer sogenannten "konföderalen Regierung". Sprich: Die Teilstaaten würden jeweils ihre Vertreter in eine Föderalregierung entsenden. Im vorliegenden Fall also N-VA, CD&V, PS und CDH. Das ist eins zu eins der Plan von Bart De Wever. Kein Zweifel: Das wird noch lustig.
Remake von 2010?
Auch Het Belang van Limburg fühlt sich an die Dauerkrise von 2010 erinnert. Plötzlich kann niemand mehr ausschließen, dass wir wieder eine Runde von 541 Tagen drehen. Da ruhen viele Hoffnungen auf Frans Van Daele, dem Kabinettschef des Königs. Van Daele gilt als Meisterstratege. Vielleicht kann er ein Remake von 2010 verhindern.
Die Situation ist so verfahren, dass man in jedem Fall Zeit brauchen wird, bis die Wunden zumindest oberflächlich verheilt sind, so die Diagnose von Het Laatste Nieuws. Zur Bildung einer föderalen Regierung sind die Liberalen quasi unumgänglich. Entweder innerhalb einer Mitte-Rechts-Koalition oder in einer klassischen Drei-Parteien-Allianz: In beiden Konstellationen sind die Liberalen nötig. Nur wurden die gerade ziemlich brutal vor die Türe gesetzt. Um die "blaue Wut" zu besänftigen, wird es Zeit brauchen.
… oder ist doch eine Mitte-Rechts-Regierung in der Mache?
Andere Zeitungen sind da weniger pessimistisch. "De Wever mit Vollgas Richtung Mitte-Rechts", titelt De Standaard. De Wever ist ja immer noch Informator. Er muss ja die möglichen Koalitionsformeln auf föderaler Ebene ausloten.
Konsequenterweise strebt er auch föderal weiter Mitte-Rechts an: "Rechte Regierung auch auf föderaler Ebene in der Mache", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. De Wever setzt anscheinend auf frankophoner Seite in erster Linie auf die liberale MR. Und da scheint die Zeitung mehr zu wissen: Anscheinend sei die MR sogar bereit, notfalls als einzige frankophone Partei ins föderale Boot zu steigen. Das allerdings wäre schon eine ziemlich seltsame Situation. De Morgen hat für diese Formel schon einen Namen: "Kamikaze-Koalition", zumindest aus Sicht der MR. Selbstmörderisch deshalb, weil die MR im frankophonen Lager als Verräterin durchgehen würde, weil sie als Einzige der N- VA die Hand gereicht hat.
L'Echo glaubt denn auch an ein anderes Szenario: "Die N- VA spricht mit der CDH auf der föderalen Ebene, schreibt das Blatt. Anscheinend haben beide Parteien auch schon über Programmpunkte gesprochen. Damit wäre die CDH allerdings in einer seltsamen Lage. Also sollte die CDH föderal mit einsteigen, dann wäre sie föderal in einer Mitte-Rechts-Regierung und regional mitte-links unterwegs... Prinzipiell jedenfalls hat CDH-Präsident Benoît Lutgen ein solches zweigleisiges Vorgehen nie ausgeschlossen. Und von Seiten der PS heißt es dazu nur lapidar: "Wenn die CDH einen solchen Spagat hinbekommt, soll sie nur."
Großes Kino
Wir werden hier Zeuge eines tollen Spektakels, findet L'Echo in seinem Kommentar. Großes Kino! Dabei ist die Handlung des Streifens bis zu einem gewissen Maß vorhersehbar. Konkret: Alles weist auf eine Mitte-Rechts-Koalition aus N- VA, Christdemokraten und Liberalen. Für so manchen ist die Aussicht, die Sozialisten nach über 20 Jahren auf föderaler Ebene in die Opposition zu verfrachten, zu verlockend.
Es riecht nach einer Neuauflage von einer Regierung à la Martens-Gol. Stück zu Ende, Vorhang runter.
Archivbild: Eric Lalmand (belga)