"Die MR ausgebootet", titeln L'Avenir und La Dernière Heure. "Die Sozialisten setzen sich hochmütig über die Liberalen hinweg", so die Schlagzeile von L'Echo.
Die frankophonen Sozialisten haben am Donnerstag völlig überraschend einen Gang höher geschaltet: Die PS kündigte die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen an zur Bildung neuer Regionalregierungen in Brüssel und in der Wallonie. Privilegierter Partner ist die CDH. In Brüssel kommt die FDF hinzu, damit die Koalition eine Mehrheit hat.
Für die Liberalen ist das ein Schlag ins Gesicht. Die MR ist auf regionaler Ebene seit zehn Jahren in der Opposition. Jetzt kommen weitere fünf Jahre hinzu. MR-Chef Charles Michel sprach von einer "schallenden Ohrfeige für den Wähler". Schließlich sei seine Partei die einzige, die sich zu den Gewinnern der Wahl zählen könne.
Das ist nicht falsch, analysiert La Dernière Heure. In der Tat: PS und CDH haben beide Stimmen eingebüßt. Der Punkt ist: Die PS ist weiterhin stärkste politische Kraft in der Wallonie und in Brüssel. Insofern wird der Wählerwille nicht missachtet.
"Stein im Schuh"
Der Plan der Sozialisten hat allenfalls einen Makel: "In Brüssel hat sich eine flämische Front gegen die FDF gebildet", bringt es Le Soir auf Seite eins auf den Punkt. Eine Brüsseler Regionalregierung besteht ja per se auch aus flämischen Parteien. Allen voran die CD&V und die OpenVLD weigern sich aber, sich mit der sehr frankophonen FDF an den Verhandlungstisch zu setzen.
Das ist der Stein im Schuh der PS, warnt L'Avenir in seinem Kommentar. Sollten die Flamen bei ihrer Blockadehaltung bleiben, dann könnte die Koalition aus PS, CDH und FDF doch noch auf eine Mine fahren. Und dann würde der Kampf um Koalitionen wahrscheinlich umso härter wieder losbrechen.
Naive Flamen?
Auch in Flandern sorgt der Coup der PS für erhebliches Aufsehen. "Kalt erwischt", titelt Het Laatste Nieuws in Blockbuchstaben. "Die PS kontert De Wever aus", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen.
In der Tat: Die PS hat im südlichen Landesteil Fakten geschaffen. Beobachter sind sich einig: Damit fliegt der ursprüngliche Plan von N- VA-Chef Bart De Wever in Scherben. De Wever schwebt eine Mitte-Rechts-Koalition vor, also mit den Liberalen und Zentrumsparteien. Jetzt, da die CDH in der Wallonie und in Brüssel mit der PS koalieren will, erscheint diese Option unmöglich. "Over and out für den Informator De Wever", analysiert De Standaard. Zwar wäre es theoretisch möglich, dass die CDH auf föderaler Ebene einer Mitte-Rechts-Regierung beitritt. Daran glaubt aber niemand.
Die Flamen sind da wohl etwas naiv gewesen, bekennt Het Laatste Nieuws. "Bien joué, Elio", lobt das Blatt den "Meisterstrategen" Di Rupo: gut gespielt. Die PS war nicht nur schneller als die Flamen, sondern auch schlauer. Jetzt sind die Sozialisten auf föderaler Ebene quasi unumgänglich. Eine Mitte-Rechts-Koalition mit der CDH ist unwahrscheinlich. Noch unwahrscheinlicher ist, dass sich die MR als einzige frankophone Partei mit der N- VA ins Boot setzt.
… oder frankophones Vabanquespiel?
Auf frankophoner Seite überwiegt jedoch die Skepsis angesichts des überraschenden PS-Schachzuges. Die PS hat eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg, zumindest noch nicht, analysiert etwa Le Soir. Die Sozialisten haben sich viele Feinde gemacht. Das gilt für die MR, aber vor allem für die flämischen Parteien. Im Norden des Landes kann man den Eindruck bekommen, die PS versuche, die komplette politische Landschaft nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Die Rache dürfte postwendend folgen.
La Libre Belgique ist deutlich schärfer: Belgien ist in die Ära des Konföderalismus eingetreten, donnert das Blatt. Die PS schafft im Alleingang Fakten. Den Sozialisten ist es egal, wenn auf den verschiedenen Machtebenen unterschiedliche Mehrheiten die Regierungen bilden. Dabei fußt der belgische Föderalismus doch eigentlich auf der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ebenen.
"PS blockiert Regierungsbildung"
"Chacun pour soi", schreibt denn auch De Morgen auf Französisch auf Seite eins. Jeder für sich. Die PS spielt De Wever in die Karten, analysiert das Blatt. Zwar geht seine Wunschkoalition in Rauch auf, zugleich bestätigt die PS aber De Wevers Grundthese, wonach es zwei Demokratien in Belgien gäbe.
Für De Standaard steckt jetzt vor allem die CD&V in der Klemme. Die Christdemokraten sind der Königsmacher in Flandern. Jetzt, wo die PS vorgeprescht ist, wird die CD&V schnell entscheiden müssen, wie sie sich der N- VA gegenüber positioniert. Die Gretchenfrage: Ist es empfehlenswert, die N- VA etwa in Flandern mit in die Koalition zu nehmen, sie zugleich aber auf föderaler Ebene ins Abseits zu stellen? Die Regierungsbildung ist seit Donnerstag bestimmt nicht einfacher geworden.
Het Nieuwsblad ist da schärfer: "Die PS blockiert die föderale Regierungsbildung", konstatiert das Blatt. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, führt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel aus. Jeder weiß, dass die schnelle Bildung regionaler Mehrheiten den Prozess auf föderaler Ebene erheblich stören kann. Die PS hat eine Etappe übersprungen. Den Informator Bart De Wever auf diese Art und Weise kurzzuschließen, das kommt einem ausgestreckten Mittelfinger gleich. PS und CDH übernehmen damit eine gigantische Verantwortung für das, was da noch kommen mag.
Abgekartetes Spiel?
Allein L'Echo hat eine andere Theorie: Ist es nicht denkbar, dass die PS von Anfang an gar nicht vorhatte, der Föderalregierung beizutreten? Die Sozialisten wissen, dass in der nächsten Legislaturperiode schmerzhafte Entscheidungen anstehen. Die PS kann da ihrer Basis gegenüber nur verlieren. Die These: Die PS macht jetzt schon mal regional den Sack zu. Später wird man dann föderal freiwillig in die Opposition gehen und damit auch noch als Retter des Landes durchgehen.
Ob das nun so stimmt oder nicht: Die PS spielt jedenfalls ein zugleich perfides und geschicktes Spielchen.
Bild: Laurie Dieffembacq (belga)