"Das Schachspiel hat begonnen", titelt Le Soir. "Alle machen Tempo", so die Schlagzeile von De Morgen.
Der König hat bereits am Montagnachmittag eine Reihe von Parteipräsidenten zu einer ersten Konsultationsrunde empfangen. Zunächst war N- VA-Chef Bart De Wever an der Reihe. "Der König gönnt De Wever keine Pause", stellt Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite fest. Het Laatste Nieuws sieht es genau umgekehrt: "Bart gibt Vollgas", schreibt das Blatt.
Eiltempo
Die demonstrativ an den Tag gelegte Eile hat ihre Gründe, sind sich die Zeitungen einig. Jeder hatte Angst, von der Wirklichkeit überholt zu werden. Angefangen bei König Philippe. "So schnell nach der Wahl hat der Palast noch nie den Reigen der Konsultationen eröffnet", ist sich La Libre Belgique sicher. Der König wollte wohl Bart De Wever zuvorkommen.
Der N- VA-Chef hatte ja im Vorfeld angekündigt, dass er zunächst eine flämische Regierung bilden wolle. Die Ereignisse sorgen jetzt dafür, dass er zweigleisig fahren muss. De Wever will jedenfalls heute erste Gespräche zur Bildung einer neuen flämischen Regierung aufnehmen. "De Wever und der König nehmen volle Fahrt auf", konstatiert Gazet Van Antwerpen auf ihrer Titelseite.
Der König könnte schon heute einen Spitzenpolitiker mit einer Sondierungsmission betrauen. "Der König wird die N- VA an die Front schicken", orakelt L'Echo. Het Belang Van Limburg denkt in dieselbe Richtung: "Wird De Wever informateur?", fragt sich das Blatt auf Seite eins.
Verspäteter Wahlsieger
Da gibt es aber noch mindestens einen weiteren Player, der ebenfalls alles tut, um nicht ins Abseits zu geraten: Im frankophonen Landesteil hat die PS des scheidenden Premierministers Elio Di Rupo deutlich besser abgeschnitten, als es die unvollständigen Ergebnisse am Wahlabend erahnen ließen.
Zu eben dieser Feststellung kommt auch Le Soir in seinem Leitartikel. Der Wahlabend dürfte das Nervenkostüm der Sozialisten auf eine harte Probe gestellt haben, analysiert das Blatt. Inzwischen ist aber deutlich: Die frankophonen Sozialisten sind auf allen Ebenen weiterhin unangefochten an der Spitze.
Neben der N- VA auf flämischer Seite ist also die PS im frankophonen Lager der Gewinner der Wahl. Wie geht man jetzt mit diesem unverhofften Sieg um?, das ist die Frage. Die PS könnte sich wieder mehr nach links wenden. Sie könnte aber auch eine verantwortungsbewusste Führungsrolle einnehmen: Mit Mut und Vision an einer neuen Wallonie arbeiten.
Die Geister von 2010
"De Wever trifft auf seinem Weg einmal mehr auf die PS", kann jedenfalls De Standaard nur auf seiner Titelseite feststellen. Ebenso wenig wie die N- VA kann man jedenfalls auch nicht die PS von vornherein ausschließen.
In seinem Leitartikel sieht De Standaard bereits wieder die Geister von 2010 herumspucken. Wieder stehen sich die N- VA und die PS als die unbestrittenen Sieger in ihrer jeweiligen Sprachgruppe gegenüber. In diesem Spiel halten die flämischen Christdemokraten CD&V die Schlüssel in Händen. Und eins ist sicher: Diesen Schlüssel wird die CD&V erst dann aus der Hand geben, wenn sie sicher ist, dass De Wever wirklich Partner finden wird für eine mögliche Koalition.
Fast alles ist möglich…
Der entscheidende Punkt ist: Diesmal gibt es gleich eine ganze Reihe von möglichen Konstellationen. Eine Koalition ohne die N- VA ist ebenso möglich wie eine Regierung ohne die Sozialisten.
Fast alles ist möglich, rechnet Het Belang Van Limburg vor. Mit oder ohne die N- VA, mit oder ohne die Sozialisten, Mitte-Rechts oder Mitte-Links. Und die Zentrumsparteien CD&V und CDH werden am Ende wohl entscheiden, wohin das Pendel ausschlägt.
Für De Morgen befindet sich die CD&V wieder einmal da, wo sie sich am wohlsten fühlt, nämlich: mitten im Bett, mit der freien Partnerauswahl. Das verändert das Pokerspiel grundlegend. Theoretisch wäre auch eine Mitte-Rechts-Koalition nach dem Vorbild der Martens-Gol-Regierung möglich.
Die Frage ist dann allerdings, ob die frankophone Schwesterpartei CDH gegebenenfalls bereit wäre, sich aus dem Windschatten der PS zu lösen. In jedem Fall ist die CD&V der Königsmacher.
… und das ändert alles
Das ändert alles, analysiert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Die N- VA verfügt nicht über das ultimative Druckmittel. Die CD&V hat bereits De Wevers Strategie zunichte gemacht. Die Christdemokraten wollen nicht gleich mit der Bildung einer flämischen Regierung beginnen und erst die Entwicklungen auf der föderalen Ebene abwarten. Es sind die anderen Parteien, die die Strippen in der Hand haben.
Das Signal des Wählers muss respektiert werden, fordert ihrerseits Gazet Van Antwerpen. Der Wahlsieg der N- VA konnte eindeutiger nicht sein. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für politische Spielchen.
Het Laatste Nieuws ist seinerseits stinksauer über eine Aussage des Brüsseler PS-Bürgermeisters Yvan Mayeur. Der hatte großspurig erklärt, man werde De Wever jetzt als Informator eine Ehrenrunde drehen lassen und warten, bis er sich eine blutige Nase holt, um dann flugs die bisherige Dreierkoalition wieder auf die Schienen zu setzen. Zynischer geht kaum, urteilt das Blatt.
Selbst die Flamen, die De Wever nicht gewählt haben, können bei so viel PS-Arroganz an die Decke gehen. Mit Demokratie hat das jedenfalls nichts zu tun. Und doch sollte De Wever mal darüber nachdenken: Er muss mit den Karten spielen, die ihm die Wähler hingelegt haben. Die Märtyrer-Nummer allein wird nicht reichen.
Natürlich ist die Versuchung groß, mit derselben Equipe weiter zu machen, räumt auch L'Echo ein. Trotz des Wahlsiegs der N- VA ist es ja nicht so, als wäre die amtierende Koalition abgewählt worden. Dennoch sollte man nicht die N- VA vor vorne herein ins Abseits stellen wollen. Sollte man nicht auch Bart De Wever einmal in die Situation bringen, sich an der Macht und - damit verbunden - an der Suche nach Kompromissen zu reiben und aufzureiben? Diese Frage wird uns in den nächsten Tagen wohl beschäftigen.
Foto: Eric Lalmand (belga)