Dehaene war am Donnerstag im Alter von 73 Jahren überraschend während eines Urlaubes in Frankreich gestorben. Zwischen 1992 und 1999 war der flämische Christdemokrat Premierminister von Belgien und hatte das Land mit seiner Persönlichkeit nachhaltig geprägt.
Auf den Titelseiten vieler Zeitungen ist heute deshalb nur ein großes Bild zu sehen: der Kopf von Dehaene. De Standaard, Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen drucken dazu lediglich den Namen und die Lebensdaten: "Jean-Luc Dehaene, 1940 bis 2014".
De Morgen zitiert auf seiner Titelseite Dehaene mit einer eigenen Aussage aus dem Jahr 2008: "Früher soll ich gesagt haben, dass ich lieber plötzlich sterben will. Heute sage ich das nicht mehr".
"Lausbub bis zum 73. Lebensjahr", so die Schlagzeile bei Het Laatste Nieuws. Die Zeitung spielt dabei mit der flämischen Sprache. Denn die Überschrift könnte man auch lesen wie "Lausbub, 73 Jahre, Auf Wiedersehen."
"Belgien hat seinen Klempner verloren"
La Libre Belgique bringt ganzseitig einen verschmitzt lächelnden Dehaene, und ebenso einfallsreich ist die Titelzeile der Zeitung, eine Anspielung auf einen der wohl bekanntesten Aussprüche von Dehaene: "Kein Kommentar. 1940 bis 2014"
"Belgien hat seinen Klempner verloren", titelt L'Avenir. In ihrem Kommentar würdigt die Zeitung einen Mann der Synthese: "Als Dehaene Premierminister wurde, war Belgien noch nicht geheilt von den bösen Geistern der Streitigkeiten zwischen den Gemeinschaften. Doch dann kam Dehaene. Der Klempner machte sich ans Werk." Er hat den föderalen Drang seiner flämischen Landsleute befriedigt, gleichzeitig aber die Einheit des Landes gewahrt. Genau so muss ein Premierminister handeln: Die Unversöhnlichen muss er versöhnen, Wasser mit Feuer verbinden. Er hat es geschafft, die stockende Maschine Belgien wieder zum Laufen zu bringen. Belgien, wo das Geld einfach so wegfloss, wo Staatsreformen das ganze Land in Frage stellten, wo Soldaten in Ruanda starben, es die Augusta-Hubschrauber-Affäre gab, einen Dutroux, der kleine Mädchen tötete… Nur das Genie des Klempner Dehaene konnte damit zurechtkommen. Dadurch, dass er sich früh genug aus der Politik auf höchstem Niveau zurückgezogen hat, konnte er sich noch zu Lebzeiten ein Denkmal setzen, so L'Avenir.
"Plötzlich ist er weg"
La Libre Belgique schreibt: Sein unglaubliches Talent zum Kompromiss hat es ihm ermöglicht, das Land in einer ganz schwierigen Zeit zu regieren. Die ganzen 1990er Jahre hindurch zwang er die Belgier zu einer rigorosen Sparpolitik, damit das Land die Kriterien von Maastricht erfüllen konnte. Einen Schatten auf seine Erfolge wirft hingegen die Dutroux-Affäre. Er hat sie schlecht gemanagt, wie er selbst später zugegeben hat. Bei alldem hat er seine Würde gewahrt: Als er 1999 bei den Wahlen verloren hat, zog er sich mit Anstand aus der belgischen Föderalpolitik zurück. "Belgien verliert einen großen Mann, eine politische, intellektuelle und moralische Instanz", schlussfolgert La Libre Belgique.
Het Laatste Nieuws schreibt: Damit hat keiner gerechnet. Fitter, schlagfertiger, besser vielleicht als in seiner Zeit als Premierminister. Diesen Eindruck hat Jean-Luc Dehaene bis zum Schluss gemacht. Dabei war er ein kranker Mann. Gerade erst hatte er einen Eingriff gegen sein Krebsleiden hinter sich. Doch sich in Selbstmitleid suhlen war nicht seine Sache. Pläne für die Zukunft hatte er. Urlaub in Frankreich, danach zum Finale der Champions League nach Lissabon. Daraus wird jetzt nichts. Plötzlich ist er weg. Neun Tage, bevor die Belgier über die Zukunft ihres Landes entscheiden, verlieren sie unerwartet ein Stück ihrer Vergangenheit, meint Het Laatste Nieuws.
Pfadfinder und Politiker des vorigen Jahrhunderts
De Standaard führt aus: "Nach Wilfried Martens, Jan Hoe und Gerard Mortier ist am Donnerstag auch unerwartet Jean-Luc Dehaene von uns gegangen. Der Verlust von so vielen herausragenden Persönlichkeiten in so kurzer Zeit lässt unsere Gesellschaft spürbar verarmt zurück." Der Charakter und das Wesen des Politikers Dehaene sind gut zu vergleichen mit den Eigenschaften eines Pfadfinders. Er sprach offen aus, was er dachte, investierte nicht in lästige Feindschaften, suchte mit allen Mitteln nach Lösungen. Kein Bild fasst wohl besser zusammen, wer Dehaene war, als die Begründung für seinen Wahlsieg 1995. Er war der erfahrene Führer, dem sich die Belgier gerne noch einmal anvertrauen wollten. Und diesen Pfadfinder-Geist hat sich Dehaene bis zum Schluss bewahrt, glaubt De Standaard.
De Morgen schreibt: Jean-Luc Dehaene hat sich zuletzt gerne selbst als einen "Politiker aus dem vorigen Jahrhundert" bezeichnet. Und das war er tatsächlich. Aber einer von den besten Politikern dieses Jahrhunderts. "Ein besonders großer Politiker ist plötzlich von uns gegangen", so De Morgen.