"Die ganze Welt schaut besorgt auf die Ukraine", titelt Het Nieuwsblad. "Putin besetzt die Krim", so die Schlagzeile von De Standaard. "Die Ukraine am Rande eines Krieges", schreiben Gazet van Antwerpen und Het Belang van Limburg auf Seite eins.
Russische Streitkräfte haben am Wochenende die Krim-Halbinsel unter ihre Kontrolle gebracht. An allen strategischen Punkten haben Soldaten Stellung bezogen. "Damit hat sich die Ukraine definitiv zu einer geopolitischen Krise ausgewachsen", schreibt De Standaard.
Kriegserklärung
Der ukrainische Übergangspremier hat jedenfalls das Wort "Kriegserklärung" Moskaus in den Mund genommen. Die Antwort aus Kiew steht denn auch auf Seite eins von Le Soir: "Generalmobilmachung, um einen Krieg abzuwenden", so die Schlagzeile.
"Niemand kann Putin stoppen", titelt aber resigniert De Morgen. "Selbst Obama nicht", fügt Het Laatste Nieuws hinzu.
Die NATO jedenfalls hat es tunlichst vermieden, Hilfe für die Ukraine in Aussicht zu stellen oder gar mit einer militärischen Reaktion zu drohen. "In einen Krieg in der Ukraine würde die ganze Welt mit hinein gezogen", warnt Het Nieuwsblad.
Russland jedenfalls rechtfertigt den Militäreinsatz auf der Krim damit, dass man angeblich die russischstämmige Bevölkerung vor Übergriffen schützen will. Diese Taktik ist ein alter Hut, analysiert La Dernière Heure. Schon die russischen Zaren bemühten diese Ausrede im 18. Jahrhundert in Polen. Das zieht sich seither durch die Geschichte. Zuletzt musste dieser Vorwand 2008 herhalten, als Russland in Georgien intervenierte. Zugleich macht Moskau damit klar, dass Russland es nicht duldet, wenn selbst unabhängige Staaten aus der einstigen sowjetischen Einflusszone die Nähe zum Westen suchen.
Angst
Was da am Wochenende in der Ukraine passiert ist, übertrifft unsere schlimmsten Erwartungen, meint De Morgen in einem sichtlich besorgten Leitartikel. Putin schockte die Welt, indem er die militärische Karte zog. Und es ist keine Mini-Invasion, sondern ein totaler Militäreinsatz. Die Entwicklung an der russisch-ukrainischen Grenze ist nicht mehr besorgniserregend, sondern angsteinflößend. Mit der Besetzung der Krim droht Putin der bisherigen Weltordnung ein Ende zu setzen. Es sieht so aus, als wolle Putin jetzt bewusst die rote Linie überschreiten, schlussfolgert De Morgen.
Viele Zeitungen betrachten das Säbelrasseln im Osten der Ukraine viel mehr als eine Art Bluff-Poker. Auch die Russen wollen keinen Krieg in der Ukraine, sagt ein Experte in De Standaard. Sie wollen nur ihre Einflusssphäre erhalten. Allerdings ist das ein gefährliches Spiel.
Wir sind allzu abhängig voneinander, stellt Het Nieuwsblad fest. Europa ist auf russisches Gas angewiesen. Im Gegenzug braucht Russland aber auch Absatzmärkte für seine Bodenschätze. Diese wechselseitige Abhängigkeit macht Krieg zwar nicht unmöglich, aber zumindest weniger wahrscheinlich. Doch stecken die USA und die EU schon jetzt in einem Dilemma: Nicht zu reagieren ist nämlich auch keine Option.
Die russische Aggression darf sich nicht lohnen, glaubt auch Gazet van Antwerpen. Dabei muss aber ein Krieg in Zentraleuropa um jeden Preis verhindert werden. Viel hängt jetzt von der Reaktion der neuen Führung in Kiew ab. Die Ukrainer müssen es vermeiden, dem Kreml Gründe zu liefern, um einen Gang höher zu schalten.
Was ist uns die Ukraine wert?
Schon jetzt muss man zugeben, dass einige von Putin vorgeschobene Vorwände zumindest einen Kern von Wahrheit besitzen. Der vertriebene Präsident Janukowitsch etwa mag zwar ein Kleptokrat sein, er kam aber 2010 über Wahlen an die Macht, die vom Westen als gerecht und legitim erachtet wurden. Das allerdings rechtfertigt in keiner Weise das jetzige Vorgehen Moskaus. Sollte der Konflikt in den nächsten Tagen vollends entgleisen, dann steht der Westen unvermeidlich vor einer Gretchenfrage: Was ist uns die Ukraine wert?
Ähnlich sieht das Le Soir: Gewisse Grundsätze sind nicht verhandelbar. Die Europäer müssen ihr Handeln an einer Grundfrage ausrichten: Sind wir dazu bereit, Konzessionen in Bezug auf die Ukraine einzugehen, auf die Gefahr hin, dass die bald auch auf andere Länder angewandt werden könnten? Können Prinzipien wie Souveränität oder demokratische Integrität einfach so ausgehebelt werden? Akzeptieren wir für andere Zugeständnisse, mit denen wir vielleicht irgendwann selber konfrontiert werden könnten?
Das Gesicht wahren
Die Vorgehensweise des Kreml ist letztlich nur der Beweis für die eigene Schwäche, urteilt La Libre Belgique. Die Zeiten des Kalten Krieges sind definitiv vorbei. Selbst Putin muss einsehen, dass es bei einer militärischen Eskalation keinen Gewinner gibt. Die Welt ist viel zu vernetzt, die gegenseitigen Abhängigkeiten zu groß. Russland wäre gut beraten, seine Pawlow'schen Reflexe, sprich: sein überholtes Block-Denken, abzustellen. Nur durch Dialog kann Russland aus dieser Geschichte erhobenen Hauptes herauskommen.
Russland will in der Welt ein Wörtchen mitreden? Da hat Moskau auch kein Interesse daran, auf der Weltbühne isoliert zu werden, glaubt L'Avenir. Die Drohung, Russland aus der G8-Gruppe herauszuwerfen, mag da die Richtung weisen. Russland hat vor allem auf wirtschaftlicher Ebene durchaus etwas zu verlieren. Wichtig ist jetzt aber, dass man an einer Lösung arbeitet, die es Putin erlaubt, das Gesicht zu wahren. Daran muss man beizeiten auch die neue Führung in Kiew nochmal erinnern.
Bild: Viktor Drachev/AFP