"Bürgerkrieg", titelt heute La Libre Belgique. "Das Blutbad", so die Schlagzeile von Le Soir. "Die Ukraine gleitet ins Grauen ab", schreiben L'Echo und L'Avenir auf Seite eins.
Ausnahmslos alle Zeitungen blicken heute mit Entsetzen auf die Ukraine und bringen lange Fotostrecken, drastische Bilder vom Maidan-Platz in Kiew. "So etwas hat Europa seit Sarajewo nicht mehr gesehen", notiert L'Avenir. "Es war der Tag der Scharfschützen", schreiben De Standaard und Het Nieuwsblad in Blockbuchstaben auf Seite eins. Für Het Nieuwsblad besteht kein Zweifel: "Es ist Präsident Janukowitsch, der sein Volk abknallen lässt."
"Überall liegen Leichen herum"
Die Titelseite von De Morgen ist so etwas wie eine Collage des Grauens: Fotos von Toten und Schwerverletzten, von Trauernden, von verzweifelten Menschen. Mittendrin sieht man ein Spruchband: STOP IT.
"In den Straßen werden die Toten gezählt", titelt Het Laatste Nieuws. Überall liegen Leichen herum, so das Blatt. Seit der neuen Eskalation am Dienstag sind bereits 77 Menschen ums Leben gekommen, hunderte wurden verletzt.
Einige Zeitungen heben den Fall der 21-jährigen Olga hervor. Die junge Frau war auf dem Maidan-Platz, um Verletzte zu versorgen. Sie wurde offenbar von einem Scharfschützen am Hals getroffen. "Ich sterbe", twitterte die junge Frau - die Botschaft ging um die Welt.
Was macht Europa?
Wie kann man die Spirale der Gewalt stoppen?, fragen sich viele Leitartikler. Untätig zu bleiben, ist seit gestern keine Option mehr, wettert Het Laatste Nieuws in seinem Kommentar. In Kiew werden wehrlose Bürger abgeknallt! Die Ukraine wird geführt von einem Mörder. Europa hat nun seinen eigenen Assad.
Und wir stehen unbeteiligt an der Seite. Schickt Guy Verhofstadt in kugelsicherer Weste auf den Maidan-Platz. Irgendjemand muss doch Janukowitsch als das bezeichnen, was er ist: eben ein Mörder.
Was macht Europa?, fragt sich auch Het Belang van Limburg. Wir haben doch schon viel zu lange den ukrainischen Präsidenten gewähren lassen. Die Gesetze gegen die Versammlungsfreiheit, die Einschränkung des Internets - all das wurde doch nicht erst gestern beschlossen. Janukowitsch hat Europa damit den Mittelfinger gezeigt. Und wir haben wohl keine andere Wahl, als auf diplomatische Lösungen zu setzen.
Größte Herausforderung seit 1989
Angesichts der Brutalität in Kiew muss man allerdings einräumen, dass die EU doch ziemlich machtlos ist, konstatiert L'Avenir. Die "gezielten Sanktionen", die gestern von den Außenministern beschlossen wurden, erscheinen doch ziemlich harmlos. Gestern war nämlich so ein Wendepunkt der Geschichte, ein Tag, an dem ein neuer Geschichtsabschnitt beginnt. Es ist die Vorstufe zu einem Bürgerkrieg.
Und für Europa ist der geopolitische Einsatz enorm hoch, glaubt De Standaard. Seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 stand für Europa nicht mehr so viel auf dem Spiel. Seinerzeit hat die wankende Sowjetunion Länder wie Polen, Tschechien, die Slowakei oder auch die baltischen Staaten aus seiner Einflusssphäre ziehen lassen. Im Fall der Ukraine ist das sicher unter einem russischen Präsidenten Putin absolut ausgeschlossen.
Es gibt keinen anderen Ausweg, als den direkten Dialog mit Moskau. Mit großen Worten und Drohgebärden erreichen wir nichts anderes als noch mehr Elend in der Ukraine, schreibt De Standaard.
Es geht nur mit Russland
Auch Het Nieuwsblad plädiert für eine Annäherung zwischen Europa und Russland. Nur im Zusammenspiel zwischen Brüssel und Moskau können beide eine Lösung für ihr gemeinsames Nachbarland finden. Das allerdings wird eine Gradwanderung: Weder Russland noch Europa können eigentlich von ihrer Linie abrücken.
Le Soir warnt seinerseits vor irgendeiner Form von Diktat. Wer glaubt, den Ukrainern von außen eine Lösung vorschreiben zu können, der irrt sich gewaltig. Das gilt sowohl für Russland als auch für Europa. Das Einzige, was die Außenwelt tun kann, ist, den Bürgern in der Ukraine dabei zu helfen, eine innere Ordnung zu finden: Wir dürfen allenfalls Treibstoff in den Motor schütten.
Aus dem Kommentar von La Libre Belgique spricht derweil eine gewisse Ernüchterung. Leider nutzen sich Bilder, und seien sie auch noch so prägnant, sehr schnell ab. Gerade beim Anblick von allzu viel Blut wenden wir uns instinktiv ab. Je mehr Blut, desto weniger Aufmerksamkeit.
Vor diesem Hintergrund sollten die Demonstranten vom Maidan-Platz das einzig Richtige tun: die Waffen strecken. Tot bringen sie nämlich niemanden etwas. Stattdessen können sie dann mit aller Legitimität und friedlich für ihre Forderung nach schnellen Neuwahlen eintreten. Janukowitsch hätte dann jedenfalls keinen Vorwand mehr, Gewalt anzuwenden.
Di Rupo for president?
La Libre Belgique und La Dernière Heure bringen heute erste Ergebnisse ihres traditionellen Politbarometers. Zunächst geht es um die Frage, wen die Belgier nach der Wahl vom 25. Mai gerne als Premierminister sähen. Resultat: 31 Prozent der Belgier sprechen sich für Elio Di Rupo aus. In der Wallonie sind es mehr als vier von zehn Befragten; in Flandern immerhin auch 21 Prozent. Auf Platz 2 steht Bart De Wever. Er genießt das Vertrauen von einem Viertel aller Flamen, aber nur von vier Prozent der Wallonen.
Bild: Bulent Kilic (afp)