"Die Staatsreform für Anfänger", titelt La Libre Belgique. Im Parlament wird heute aller Voraussicht nach die Sechste Staatsreform besiegelt. Quasi im Eilverfahren müssen Kammer und Senat die Gesetzestexte verabschieden, die eine grundlegende Neuordnung des Staatsgefüges zur Folge haben werden. "Das neue Belgien wird heute Abend aus der Taufe gehoben", so die Schlagzeile von Le Soir. La Libre Belgique und La Dernière Heure dröseln die Staatsreform auf: fünf wichtige Kapitel.
Herzstück der heutigen Parlamentssitzungen ist die Übertragung neuer Zuständigkeiten vom Föderalstaat an die Gemeinschaften und Regionen.
Glorreicher Abschluss gefolgt von Stillstand?
Wer hätte das vor noch zwei Jahren gedacht?, notiert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Die politische Klasse war gerade erst aus einer 541 Tage währenden existentiellen Krise heraus gestolpert. Auf dem Programm der neuen Regierung: ein unpopuläres Sparprogramm und eine Staatsreform, die eher an Quantenphysik erinnerte. Kaum jemand hätte damals wirklich geglaubt, dass die Mehrheit hält und dass sie ihr Programm tatsächlich ohne große Misstöne umsetzen kann. Mit der Einheit ist es jetzt aber wohl vorbei. Ab Januar sind die Parteien im Wahlkampf-Modus. Und dann sind alle Tiefschläge erlaubt. Leider.
Auch Het Belang van Limburg sagt unruhige Zeiten voraus. Rien ne va plus, nichts geht mehr, stellt das Blatt fest. Die Mehrheitsparteien schenken sich nichts mehr. Jüngste Beispiele: der Knatsch um die Finanzmarktreform, das Getöse um die mögliche Erneuerung der Kampfjet-Flotte und der Widerstand der Open VLD gegen den Alkohol-Plan. Die Koalition ist dabei, sich ihre eigene Bilanz zu verhageln. Und man riskiert, dass am Ende genau dieses ungeordnete Bild hängen bleibt. Damit spielt man allein der N-VA in die Karten.
Alkohol und E-Zigarette: falsche Signale
Apropos Alkohol-Plan: Le Soir kann zwei Entwicklungen der letzten Tage nur bedauern. Erstens: eben besagtes Scheitern eines gemeinsamen Aktionsplanes zur Bekämpfung von Alkohol-Missbrauch. Und zweitens: der am Ende doch eher wohlwollende Umgang der EU mit der Elektronischen Zigarette. Hier wurde gleich zwei Mal das falsche Signal gegeben. Alkohol-Missbrauch sorgt nicht nur für zahllose Dramen, er kostet die Gesellschaft in Belgien auch insgesamt sechs Milliarden Euro. Die Zigarette tötet ihrerseits die Hälfte ihrer Konsumenten. Und die E-Zigarette hilft wohl nicht unbedingt beim Aufhören, sondern ermöglicht es den Süchtigen lediglich, auch da zu rauchen, wo es nicht mehr erlaubt ist.
"Betrugsbekämpfung rettet den Staat"
Viele Zeitungen beschäftigen sich heute mit dem neuen Buch von John Crombez, dem Staatssekretär für Betrugsbekämpfung. Dessen Feststellung ist durchaus spektakulär: Nach seinen Schätzungen gehen dem Staat jährlich 30 Milliarden Euro durch Steuerbetrug verloren.
Das entspricht einem Drittel der gesamten Steuereinnahmen, stellt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel fest. Deswegen schlussfolgert Crombez auch, dass über die Betrugsbekämpfung der Staat quasi gerettet werden kann. Man könnte die Steuern senken, dabei aber zugleich die Soziale Sicherheit erhalten und sogar die Staatsschuld auf ein gesundes Niveau drücken. Hier nimmt Crombez den Mund aber ein bisschen zu voll; zwar hat er schon für spürbar frischen Wind in seinem Departement gesorgt. Sein Nachfolger wird aber noch mindestens drei Gänge höher schalten müssen.
Es bedarf hier eines grundlegenden Mentalitätswandels, glaubt De Standaard. Der Krieg gegen Steuerbetrug braucht Unterstützer, Bundesgenossen. Es muss aufhören, dass viele Bürger den Staat als ihren Feind betrachten. Wir brauchen Steuerpflichtige, die einsehen, dass sie sich selbst in den Fuß schießen, wenn sie Steuerbetrug tolerieren. Jedes System wird korrupt, wenn deutlich wird, dass die Regeln nicht für alle gelten.
Viel zu vielen Menschen ist nämlich immer noch nicht klar, worum es hier geht, glaubt auch De Morgen. Wir vergessen, dass wir für unsere Steuern ja auch sehr viel zurückbekommen: Infrastruktur, Unterricht, Gesundheitsfürsorge. Die Dänen machen es uns doch vor: Sie bezahlen zwar die höchsten Steuern der Welt, sind aber auch das glücklichste Volk der Welt.
Ärzten auf die Finger schauen
John Crombez will nichtsdestotrotz im Kampf gegen Steuerhinterziehung noch einmal eine Schippe drauflegen. "Bezahlterminal bei allen Ärzten und Anwälten", so die Schlagzeile unter anderem von Het Laatste Nieuws. Das würde also bedeuten, dass alle Honorare zumindest prinzipiell auch per Bankkarte bezahlt werden können. Und das heißt dann auch, dass die Einkünfte nachvollziehbar werden. Bislang ist das nur ein Vorschlag von Crombez. Laut Het Laatste Nieuws haben die Ärzte aber schon wenig begeistert reagiert.
"Die Tarife der Ärzte sollen transparenter werden", titelt Le Soir. Gesundheitsministerin Laurette Onkelinx will da offensichtlich mal Ordnung schaffen. Jede Behandlung muss demnach eine detaillierte Rechnung nach sich ziehen. Das soll es den Krankenkassen ermöglichen, nachzuvollziehen, wer Honorarzuschläge kassiert und in welcher Höhe, und eben: ob der betreffende Arzt das überhaupt darf. Es gibt ja Mediziner, die nur den Tarif verlangen dürfen, der über die sogenannte Konvention ausgehandelt wurde.
Absurde Ordnungsstrafen?
"Kommunale Ordnungsstrafen werden in der Hälfte aller Gemeinden teurer", titelt Het Nieuwsblad. Deswegen hat anscheinend Innenministerin Milquet reagiert: Sie hat einen Brief an die Gemeinden geschickt, um, wie es heißt, "die Absurditäten" einzudämmen. De Standaard spricht von einem "Handbuch für kommunale Ordnungsstrafen".
Bei den kommunalen Ordnungsstrafen müssen die Gemeinden mehr denn je Fingerspitzengefühl an den Tag legen, fordert Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Es gibt inzwischen dermaßen absurde Ordnungsstrafen, die so scheinbar willkürlich verhängt werden, dass das ganze System früher oder später in Frage gestellt wird. Hier droht ein Totalschaden. Vor allem die Bürgermeister müssen ihrer Verwaltung über die Schultern schauen, um ein vollständiges Entgleisen zu verhindern.
Armes Katerchen
Der Schneeleopard von Aywaille sorgt auch heute noch für Schlagzeilen. Das seltene Tier hat seine Flucht aus dem Tierpark "Monde Sauvage" nicht überlebt. Inzwischen greifen auch die flämischen Zeitungen das Thema auf. "Knapp zwei Wochen erst in Belgien für ein Zuchtprogramm und schon abgeknallt", bringt Het Nieuwsblad die Geschichte auf den Punkt. Für La Dernière Heure ist der "Monde Sauvage" in der Hölle angekommen: "Die Ministerin ermittelt, die Version des Leiters des Zoos ist unglaubwürdig, Tierschützer klagen an und ein ehemaliger Mitarbeiter packt aus ..."
Archivbild: Virginie Lefour (belga)