"Der König kann keine Begnadigung mehr vornehmen", titelt Het Nieuwsblad. "Begnadigungen am Pranger", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins.
Um die Gnadenerlasse des Königs war gestern eine Polemik entbrannt. Es war bekannt geworden, dass König Philippe seit seinem Amtsantritt elf Menschen begnadigt hat, die meisten davon Verkehrssünder.
Es folgte ein Sturm der Entrüstung, im Fahrwasser der N-VA forderten alle flämischen Parteien eine Reform des Begnadigungsrechts.
Oma ohne Versicherung
Im Laufe des Tages klärte sich dann aber Einiges auf. Letztlich ist es nämlich Justizministerin Annemie Turtelboom, die für die Gnadenerlasse verantwortlich ist, der König unterschreibt lediglich.
Und einige Zeitungen, darunter Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsblad, haben inzwischen auch ermittelt, wer da in den Genuss einer Strafmilderung gekommen ist und warum. Demnach handelte es sich zum Beispiel um einen 74-jährigen, leicht demenzkranken Mann, der einen Rückspiegel abgefahren hatte. Anderes Beispiel: Eine Großmutter wollte zu ihrem kranken Enkelkind eilen, vergaß dabei aber, dass die Versicherung des Autos abgelaufen war.
Flagranter: Begnadigt wurde ebenfalls ein Mann, der zu Unrecht verurteilt wurde, weil man ihn verwechselt hatte. "Ist das wirklich so schlimm?", fragt provokativ Het Nieuwsblad. "In diesen Fällen macht eine Begnadigung durchaus Sinn", schreibt auch Het Laatste Nieuws in Blockbuchstaben auf Seite eins.
"Scheinheilig, irrsinnig, lächerlich"
"Stoppt endlich diese Scheinheiligkeit", donnert Le Soir in seinem Leitartikel. Was wir seit dem Sonntagabend erlebt haben, ist der totale Irrsinn. All diejenigen die auf den ersten Patzer des Königs gewartet hatten, waren wie entfesselt. Am niederträchtigsten hat sich da die OpenVLD verhalten: Parlamentarier der flämischen Liberalen verlangen vollmundig die Abschaffung des Begnadigungsrechts - dabei ist es ihre eigene Ministerin, die dafür zuständig ist. Das alles nur, weil man der N-VA hinterher laufen will.
Das Getöse von N-VA und OpenVLD ist geradezu lächerlich, glaubt auch L'Avenir. Gewisse Politiker werden offensichtlich allein noch von bösem Willen getrieben. Und noch etwas ist deutlich geworden: Die Schonfrist für den neuen König ist definitiv vorbei.
Der König ist in der wenig beneidenswerten Situation, dass es nur Fehler machen kann, notiert Het Laatste Nieuws. Selbst wenn er brav unterschreibt, was die Regierung ihm vorlegt, wird er postwendend zum Sündenbock gestempelt. Und es folgt dann gleich ein geradezu bestürzendes Bombardement an scheinheiligen beziehungsweise richtig dämlichen Reaktionen.
Dabei hätte man einfach nur nachfragen müssen, beklagt Het Nieuwsblad. Ein simpler Blick auf die Liste der Begnadigten hätte das Getöse der Opposition wieder auf normalem Niveau wieder zurückgebracht.
Der Faktor "Mensch"
Was nicht bedeutet, dass man das Begnadigungsrecht nicht grundsätzlich überdenken sollte. Auch hier sind sich quasi alle Zeitungen einig. Aber: So mittelalterlich diese Praxis auch anmuten mag, das rechtfertigt nicht ihre Abschaffung, glauben viele Leitartikler. Auf diese Weise können Fehler der Justiz korrigiert werden, bemerkt etwa Het Laatste Nieuws. Und deswegen sollte man nicht, nur weil man den König attackieren will, das Begnadigungsrecht quasi mit dem Bade ausschütten, warnt auch Le Soir. Gewisse Urteile können nämlich durchaus ungewollte Folgen haben, wirft auch Het Belang Van Limburg ein. Begnadigungen sind also quasi der Inbegriff für den Faktor "Mensch".
Wenn das so ist, dann stellt sich allerdings die Frage, wo man diese Verantwortung idealerweise ansiedelt, meint Het Nieuwsblad. Und die Antwort liegt auf die Hand: Man sollte den König, um nicht zu sagen die gesamte politische Klasse, aus diesem Prozess heraushalten. Es gibt in diesem Land inzwischen Strafvollstreckungsgerichte, die entscheiden insbesondere, ob ein Straftäter verfrüht aus der Haft entlassen werden kann. Hier wäre das Begnadigungsrecht also anzusiedeln. Dann sorgt man zumindest für eine transparente Entscheidung. Und es dürfte auch nicht schwer sein, dafür einen politischen Konsens zu finden, fügt Het Laatste Nieuws hinzu.
Damit wäre dem Rechtsstaat jedenfalls Genüge getan, glaubt Gazet Van Antwerpen. Ob nun König oder Minister: Niemand darf den Platz von Richtern einnehmen.
Welche Gesellschaft?
La Libre Belgique glaubt nichtsdestotrotz, dass man hier eigentlich das Thema verfehlt. Was wurde doch in den letzten Tagen eine Energie aufgewendet allein für die Diskussion über das Begnadigungsrecht. Dabei haben wir hierzulande doch ganz andere Sorgen. Es gibt schlichtweg keine Politik des Strafvollzugs in diesem Land: Die Gefängnisse werden schon immer voller und nebenbei gesagt auch immer älter. Ein Gesamtkonzept sucht man vergeblich. Belgien braucht hier endlich einen menschlichen, effizienten und visionären Ansatz.
De Morgen macht die ganze Diskussion um das Begnadigungsrecht nachdenklich. Die Debatte steht stellvertretend für die fast krankhafte Fixierung der Gesellschaft auf Repressionen. Es ist unfassbar, wie schnell das Prinzip Gnade zur Disposition gestellt wird. Elf Begnadigungen werden plötzlich zum Sinnbild der angeblich zu laxen Justiz. In unserer Welt ist offensichtlich selbst ein Minimum an Mitgefühl nicht mehr erwünscht.
Prinzessin Elisabeth bedroht
Das Königshaus macht aber auch aus anderen Gründen Schlagzeilen: "Prinzessin Elisabeth bekommt Extra-Bewachung nach Drohbrief", titelt Het Laatste Nieuws. La Dernière Heure bringt auf seiner Titelseite den Inhalt des Schreibens: "Ich werde Prinzessin Elisabeth entführen", schreibt der Unbekannte. La Dernière Heure spricht von einer "Bedrohung aus dem Neonazi-Spektrum". Offensichtlich will der Unbekannte nach eigenen Angaben damit auch ein Zeichen setzen gegen die angebliche Überfremdung.
De Morgen bringt heute den "großen Familienreport". Da gibt es doch einige bemerkenswerte Zahlen. Beispiel: Vier von zehn Dreißig- bis Vierzigjährigen sind schon geschieden, Zweidrittel aller Scheidungen betreffen auch Kinder, 37 Prozent der Menschen sagen, dass sie auch glücklich werden können ohne Kinder.
Ganz anderes Thema auf Seite eins von L'Echo: "Apple wird Europa über Lüttich beliefern", schreibt das Blatt. Lüttich wird demnach zur europäischen Drehscheibe des amerikanischen Computerherstellers. Die Produkte werden aus China, wo sie gefertigt werden, zum Lütticher Flughafen gebracht und dann von dort aus in ganz Europa verteilt.
Archivbild: Georges Gobet (afp)