Belgien bekommt ein gutes Zeugnis von der EU-Kommission, freuen sich viele Zeitungen. Wobei: Es gibt noch viel zu tun. Umso bedauerlicher finden es die Blätter, dass die Verhandlungen über den seit langem angekündigten Konjunkturplan ins Stocken geraten sind. Und dann noch die Frage: Sind die Wahlprogramme der Parteien eigentlich bezahlbar?
"Zigaretten soll man erst ab 18 kaufen dürfen", titelt Het Laatste Nieuws. "Wird die Zigarette bald aus den Supermärkten verbannt?", fragt sich La Dernière Heure auf Seite eins. Zwei Jahre nach der Einführung des Rauchverbots in Kneipen und Cafés will die föderale Gesundheitsministerin Laurette Onkelinx den Kampf gegen den Tabakkonsum weiter verschärfen. So sollen unter anderem auch Zigarettenautomaten verboten werden. Geht es nach Onkelinx, dann dürfen bald nur noch Kioske und kleinere Geschäfte etwa an Tankstellen Tabakwaren verkaufen. Der Einzelhandelsverband Comeos reagierte bereits mit Ablehnung auf die Pläne.
Gutes Zeugnis für Belgien
Im Mittelpunkt steht heute aber die wirtschaftliche und haushaltspolitische Lage des Landes. "Belgien kann sich schon bald aus dem Fadenkreuz der EU herausbewegen", schreibt L'Echo auf Seite eins. EU Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn hat am Dienstag die Wirtschaftsprognosen für die EU-Staaten vorgestellt. Dabei bekam Belgien ein vergleichsweise gutes Zeugnis. "Die EU begrüßt endlich die belgischen Haushaltsanstrengungen", fasst es L'Echo zusammen. Und wenn Belgien so weitermacht, dann könnte das laufende Defizitstrafverfahren im Frühjahr nächsten Jahres eingestellt werden.
Auch das Wachstum soll in Ländern wie Deutschland, Holland oder Belgien wieder in Gang kommen. Da gibt es nur ein Problem: Für den Arbeitsmarkt prognostiziert die EU-Kommission keine wirkliche Trendwende. In vielen europäischen Staaten bleibt die Arbeitslosigkeit unerträglich hoch, notiert De Standaard. Und das wirft grundsätzliche Fragen auf: Warum hat man etwa – auch unter deutschem Druck – allein auf Sparmaßnahmen gesetzt? Warum haben die EU-Staaten sich zwar auf gemeinsame wirtschaftliche und finanzpolitische Eckpfeiler geeinigt, dabei aber die soziale Agenda vergessen? Warum hat man eine Wirtschaftsunion geschaffen, dabei aber ein soziales Blutbad nicht verhindert? Diese Fragen dürften bei der Europawahl 2014 Wasser auf den Mühlen der Europa-skeptischen und populistischen Parteien sein.
Für Belgien sind die EU-Prognosen dennoch erstmal gar nicht so schlecht. Wobei: Da muss man doch nuancieren, glaubt Het Belang Van Limburg. Belgien hinkt seinen eigenen Haushaltsvorsätzen hinterher; das Defizit wird langsamer abgebaut als geplant. Hier rächt sich das zu zaghafte Vorgehen der Regierung Di Rupo. Im Gegensatz zu den Martens- oder Dehaene-Jahren hat man es diesmal nicht gewagt, entschlossen Maßnahmen zu ergreifen. Wichtige sozialwirtschaftliche Reformen wurden nur halbherzig eingegangen. Hier herrscht absolut Nachholbedarf.
Weiter Streit um Mehrwertsteuer-Senkung
Mit Spannung wird in diesem Zusammenhang der seit langem angekündigte Konjunkturplan erwartet. Darüber beraten derzeit der Föderalstaat und die Regionen des Landes. Die Verhandlungen sind aber festgefahren, berichten viele Zeitungen. Für Streit sorgt weiter die Idee einer möglichen Senkung der Mehrwertsteuer auf Elektrizität von 21 auf 6 Prozent. "Wir halten an der Maßnahme fest", sagt MR-Chef Charles Michel in L'Avenir. Ähnlich äußert sich der CDH-Energie-Staatssekretär Melchior Wathelet: "Das ist die mit Abstand beste Idee, um die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt zu beleben", sagt Wathelet. Beide können aber nur feststellen, dass die PS mit einem und die CD&V mit beiden Füßen auf der Bremse stehen.
Die Bauchschmerzen der frankophonen Sozialisten sind nachvollziehbar, bemerkt L'Avenir in seinem Leitartikel. Eine Mehrwertsteuersenkung bedeutet: niedrigere Preise, sprich: weniger Inflation, also: faktisch eine Deckelung der automatischen Lohnindexbindung. Auf der anderen Seite ist das aber zweifelsohne Sauerstoff für die belgischen Unternehmen. Da gibt es aber nur ein Problem: Die Mehrwertsteuersenkung kann teuer werden. Die Kosten werden auf eine Milliarde Euro und mehr geschätzt. Das sollte man vor Augen haben, bevor man aus der Idee eine Prinzipfrage macht.
Es muss aber was passieren, fordert La Libre Belgique. Genug Palaver: Jetzt braucht das Land einen wirklichen Konjunkturplan. Und hier ist kein Platz für Eitelkeiten und auch nicht für künstlich herbeigeredeten gemeinschaftspolitischen Knatsch.
Stimmt die blaue Rechnung?
Die flämischen liberalen OpenVLD haben derweil am Dienstag ihre Rezepte zur wirtschaftlichen Wiederbelebung des Landes vorgelegt. Nach der N-VA präsentiert nun auch die OpenVLD ihr Wahlprogramm. Leitmotiv: dreimal die Fünf: fünf Prozent weniger Staatsausgaben, fünf Milliarden weniger Lohnnebenkosten, fünf Milliarden Euro mehr Kaufkraft.
Stellt sich gleich die Frage nach der Finanzierbarkeit, bemerkt Gazet Van Antwerpen. Dieses Programm kostet mindestens zehn Milliarden Euro: Fünf Milliarden gehen ins Portemonnaie der Bürger, fünf Milliarden dienen zur Entlastung der Unternehmen. Wo soll dieses Geld in Zeiten leerer Kassen denn herkommen? Die OpenVLD will das unter anderem über ein Abspecken des Staatsapparats bewerkstelligen. Warum fängt man denn jetzt nicht schon damit an?
"Stimmt die OpenVLD-Rechnung?", fragt sich auch Het Nieuwsblad. Für alle, die nicht beim Staat beschäftigt sind, klingt das Programm ja verlockend: 180 Euro pro Monat mehr im Familienbudget, wer sagt da schon nein? Leider kann aber niemand überprüfen, ob das auch bezahlbar ist. Da sollte man sich am holländischen Beispiel inspirieren. Dort untersucht ein unabhängiges Institut die Parteiprogramme auf ihre Praxistauglichkeit.
Affäre Wesphael: juristisches Neuland
Viele Zeitungen beschäftigen sich heute auch mit der Affäre um den wallonischen Regionalabgeordneten Bernard Wesphael. Der wird ja weiter des Mords an seiner Frau verdächtigt. Einige Zeitungen wie Het Nieuwsblad haben offensichtlich einen Blick in das toxikologische Gutachten werfen können. Demnach ist ein Selbstmord ausgeschlossen. Es gebe innere und äußere Verletzungen, zitiert auch unter anderem Le Soir einen Sprecher der Staatsanwaltschaft. Wobei: Zweifel bleiben. "Ist es denkbar, dass er doch unschuldig ist?", fragt sich etwa Het Laatste Nieuws.
Diese Geschichte führt den Publikum einmal mehr die Schwächen der Justiz vor Augen, glaubt Le Soir. In den Augen der öffentlichen Meinung kommt sie mit ihren Seltsamkeiten und angestaubten Prozeduren wie eine Institution aus einer anderen Zeit daher. Dabei darf man aber nicht vergessen: Man hat hier Neuland betreten. Ein Parlamentarier, der des Mords verdächtigt wird, das gab es noch nie.
Archivbild: John Thys (afp)