"Das Belgien, von dem De Wever träumt", titelt L'Avenir. Die N-VA hat am Mittwoch das gemeinschaftspolitische Kapitel ihres Parteiprogramms vorgestellt. Die Nationalistenpartei legt darin erstmals dar, was mit ihrem viel zitierten "konföderalen Modell" gemeint ist. Es ist nach Worten von Parteichef Bart De Wever ein "Idealbild", de facto aber eine mitunter drastische Revolution.
"N-VA liquidiert Belgien"
"Kein Premierminister mehr, alle Macht für Flandern", fasst Het Nieuwsblad zusammen. "Die N-VA schafft den Premierminister ab und behält sechs Minister", schreibt Het Laatste Nieuws. Das Belgien "à la De Wever" wäre im Grunde nur noch eine leere Hülle, in dem konföderalen Modell gäbe es nur noch zwei Teilstaaten: Flandern und die Wallonie.
"Die N-VA macht aus Belgien ein Sterbehaus", titelt De Standaard. Daneben das Bild eines kraftstrotzenden, aggressiven flämischen Löwen, der Belgien buchstäblich zertrampelt. "Die N-VA entkleidet Belgien", schreiben auf ihrer Titelseite ihrerseits Gazet van Antwerpen und Het Belang van Limburg.
Die Brüsseler Zeitung Le Soir sieht das ähnlich, hebt aber zugleich die N-VA-Pläne für die Hauptstadt hervor. "Die N-VA zerstört Brüssel und liquidiert Belgien". In der Tat wäre Brüssel für die N-VA kein vollwertiger Bestandteil der Konföderation. Für alle personenbezogenen Materien, angefangen bei der sozialen Sicherheit, müssten die Brüsseler wählen, für welches System sie sich entscheiden. "Flandern oder die Wallonie: die Wahl der Brüsseler", fasst L'Echo zusammen.
Einige Zeitungen machen schon auf ihrer Titelseite deutlich, was sie von den Plänen halten: "Das unrealistische Wettrüsten der N-VA", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. De Morgen drückt es anders aus: "De Wever hat sich für das Unmögliche entschieden."
Originell und doch in den Kühlschrank?
Ausnahmslos alle Zeitungen widmen der Zukunftsvision der N-VA ihren Kommentar. Und zumindest einige flämische Leitartikler können den Plänen Positives abgewinnen. Die Vorschläge sind originell, meint etwa Gazet van Antwerpen. Belgien wäre im Grunde nichts anderes mehr als ein Konferenztisch, an dem Flamen und Wallonen über das Nötigste beraten können.
Brüssel wird dahin gesetzt, wo es hin gehört: Es ist nicht mehr und nicht weniger als eine Städteregion. Die Frage ist nur, wie ernst es die N-VA damit meint. Will De Wever den anderen Parteien diesen Konföderalismus schon nach der nächsten Wahl auftischen oder ist das eine langfristige Vision?
Het Laatste Nieuws sieht die Pläne schon im Kühlschrank landen. Zwar glaubt Bart De Wever, dass sein belgisches Idealbild tatsächlich in der Praxis umsetzbar ist. Doch selbst wenn dem so wäre, ist es wohl politisch betrachtet unrealistisch - schlicht und einfach, weil De Wever mit einem solchen Programm keine Koalitionspartner finden wird. Man könnte es also auch so formulieren: 500 Jahre nach Thomas Morus hat Bart De Wever sein "Utopia" geschrieben.
Utopia, Science-Fiction, Luftschlösser
Het Nieuwsblad spricht von Science-Fiction. Es ist vor allem die Vision für Brüssel, die nicht überzeugt. Hier zeigt sich einmal mehr die Schwierigkeit, die die flämischen Nationalisten aller Couleur immer empfinden, wenn es um die Zukunft der Hauptstadt geht. Wohin mit Brüssel im Fall einer Spaltung? Auf diese Frage hat auch die N-VA keine wirklich glaubhafte Antwort gefunden.
Für De Morgen hat die N-VA ein Luftschloss gebaut. Aber immerhin wird dem Wähler jetzt endlich mal erklärt, was mit Konföderalismus gemeint ist. Und doch bleibt der Wähler im Ungewissen: Ist das gemeinschaftspolitische Programm der N-VA Grundvoraussetzung für eine Regierungsbeteiligung, oder nicht? Die Karten liegen jetzt zwar auf dem Tisch, man weiß aber nicht, welches Blatt De Wever nach der Wahl spielen will.
N-VA im Abseits
Die frankophonen Zeitungen brechen, wie nicht anders zu erwarten, den Stab über Bart De Wever und seine Partei. Die Masken sind gefallen, glaubt etwa La Libre Belgique. Zwar ist man nicht wirklich überrascht, doch kann einen das N-VA-Programm fast schon vom Stuhl hauen. Jetzt dürfte jedenfalls klar sein, dass mit dieser Partei keine Schnittmenge zu finden ist. Diejenigen auf frankophoner Seite, die vielleicht über eine Koalition mit der N-VA nachgedacht haben, sollten sich das noch einmal gründlich überlegen.
Ähnlich sieht das L'Avenir und nennt seinerseits Ross und Reiter: Die MR, die sich mit dem sozial-wirtschaftlichen Programm der N-VA durchaus anfreunden kann, wird jetzt wohl nach Alternativen Ausschau halten müssen. Mit diesem konföderalistischen Programm hat sich die N-VA jedenfalls selbst ins Abseits gestellt.
Das Programm der Nationalisten ist kohärent und haarsträubend zugleich, meint das Börsenblatt L'Echo. Einige Vorschläge sind schlicht und einfach hanebüchen. Etwa die Idee, den Premierminister abzuschaffen. Wen sollen denn die Obamas und Merkels dieser Welt künftig anrufen, wenn sie einen belgischen Verantwortlichen sprechen wollen? Den König vielleicht? Möglicherweise hat De Wever hier ja nur ein Strohfeuer entzündet, um von den schlechten Neuigkeiten der letzten Wochen abzulenken.
Der Wähler hat es in der Hand
Die N-VA überlässt es jetzt dem Wähler, bemerkt De Standaard. Wenn die N-VA nach der Wahl 2014 eine Schlüsselposition bekommt, dann zieht die Partei ihr Programm konsequent durch. Bleibt das Ergebnis hinter den Erwartungen zurück, dann wählt man den pragmatischen Weg. Es ist also der Wähler, der letztlich die langfristige Strategie der N-VA festlegen wird.
Mehr als das, glaubt Le Soir. Nachdem die N-VA die Karten auf den Tisch gelegt hat, kann niemand mehr behaupten, dass er nicht gewusst hat, wofür diese Partei steht. Insofern wird die Wahl 2014 de facto zu einem Referendum: für oder gegen Belgien.
rop - Bild: Dirk Waem (belga)