"Vergrößerung des Brüsseler Autobahnrings: Flandern mit der Brechstange", so die Schlagzeile von Le Soir. "Die Vergrößerung des Brüsseler Rings ist schon jetzt unter Beschuss", titelt Het Nieuwsblad.
Die flämische Regierung hat gestern nach langem Ringen beschlossen, die Stauproblematik auf dem Brüsseler Ring ein für alle Mal anzupacken. Die nördliche Autobahn-Umgehung um Brüssel soll, wie es heißt, "optimiert" werden. In der Praxis bedeutet das, dass stellenweise neue Fahrspuren gebaut werden sollen. Eckstein des neuen Plans: In Zukunft sollen der örtliche und der Transitverkehr voneinander getrennt werden.
Die Entscheidung sorgt aber schon für Misstöne. Die Brüsseler Regierung beklagt unter anderem in Le Soir, dass sie nicht konsultiert wurde. Umweltverbände befürchten ihrerseits, dass durch eine Vergrößerung des Autobahnrings die Schadstoffbelastung in und um Brüssel nur noch zunehmen werde, wie Het Nieuwsblad berichtet.
Vergrößerung des Brüsseler Rings: Pro und Kontra
Het Laatste Nieuws freut sich in seinem Leitartikel fast schon überschwänglich über die Entscheidung: Je breiter, desto besser, meint das Blatt. Das ist zugegebenermaßen nicht wirklich umweltbewusst. Der Punkt ist aber: Mobilität ist zu wichtig, um sie den Grünen zu überlassen. Es ist eine Tatsache, dass der Brüsseler Ring entstopft werden muss, der Verkehr muss fließen. Und wenn man dafür mehr Asphalt braucht, dann ist das eben so. Die zuständige Ministerin Hilde Crevits sollte ihren Spitznamen mit Stolz tragen: Miss Beton, das ist kein Schimpfwort, sondern ein Ehrentitel.
Het Nieuwsblad sieht das ganz anders. Mit Verlaub, aber diese Entscheidung ist nicht nachvollziehbar, meint das Blatt in seinem Leitartikel. Es ist, als wäre man in eine Zeitmaschine gestiegen und in den 70er oder 80er Jahren gelandet: Alle Macht dem Auto, Straßen können nicht groß genug sein. Das - und das sollte sich inzwischen herumgesprochen haben - das ist ein Irrweg: Größere Straßen ziehen automatisch mehr Verkehr an, das Stauproblem wird dadurch also nicht gelöst. Die flämische Regierung hätte da kreativer sein müssen. Vielleicht sollte man Pendler in Booten auf dem Kanal in die Hauptstadt bringen.
Flanderns Alleingang
Andere Leitartikler sind da nuancierter: Es ist zumindest ein Anfang, meint etwa De Morgen. Dass die flämische Regierung endlich einen Plan hat, ist ja schon mal eine Neuigkeit. Und es ist durchaus nicht so, dass hier Kilometer und Kilometer neuer Beton verlegt werden sollen. Vielmehr gibt es ein großangelegtes Mobilitätskonzept. Da gibt es nur einen Wermutstropfen: Flandern macht hier einen Alleingang. Man kann schwerlich von einem Gesamtkonzept sprechen, wenn die Brüsseler Regierung gar nicht in dem Prozess miteinbezogen wurde. In einem kleinen Land wie Belgien müssen die Regionen in der Mobilitätspolitik zusammenarbeiten. Alles andere hat keinen Sinn.
Le Soir sieht das ähnlich: Flandern treibt die Logik der Regionalisierung ins Absurde. Wie kann man nur glauben, dass man die Brüsseler Stauproblematik allein in der Peripherie lösen kann? Zusammen mit der Brüsseler Region hätte man ein viel breiter angelegtes Konzept erarbeiten können: Pendlerparkplätze am Stadtrand, eine neue Parkplatzpolitik in Stadtvierteln, die mehr als ausreichend durch den öffentlichen Nahverkehr bedient werden, eventuell sogar die Einführung einer City-Maut. Flandern hat den egoistischen Weg gewählt. Das bedeutet aber im Umkehrschluss: Jetzt kann auch Brüssel die Entscheidung treffen, die man für richtig hält, ohne Rücksicht auf flämische Pendler.
Steuerbetrug und Klassenpolitik
"Politik lässt Betrüger laufen", so die etwas reißerische Aufmachergeschichte von De Morgen. Die Schlagzeile ist aber ein Zitat von Jean-Claude Delepière, dem Chef der Behörde, die für die Bekämpfung von Schwarzgeld zuständig ist. Delepière übt knallharte Kritik an den politisch Verantwortlichen: Die lobten sich zwar gerne selbst für den Kampf gegen Steuerhinterziehung. In der Praxis kämen aber viel zu viele Betrüger davon, einfach nur, weil sie einen guten Anwalt haben. Das sei Klassenjustiz, sagt der Chef der Anti-Schwarzgeld-Behörde.
Dazu passt eine Story in L'Echo. Das Blatt hat Einblick bekommen in die Akte HSBC Private Bank. Das schweizerische Geldhaus wird verdächtigt, finanzkräftigen belgischen Kunden dabei geholfen zu haben, dem Fiskus zu hintergehen. Das Schwarzgeld wurde in Offshore-Konstruktionen platziert. Die HSBC Private Bank bot ihren Kunden dabei einen ganz besonderen Service an, wie L'Echo berichtet: Die Belgier mussten nicht erst in die Schweiz fahren, um ihr Geld abzuheben. Vielmehr kamen in regelmäßigen Abständen HSBC-Mitarbeiter nach Belgien. Die Geschäfte wurden dann entweder bei den Kunden zu Hause oder in einem Antwerpener Luxushotel abgewickelt. Das Blatt nennt übrigens auch einige Namen der insgesamt 2.450 belgischen Kunden der Bank. Darunter einige namhafte Antwerpener Diamantenhändler, aber auch der sozialistische Ex-Senator Roger Lallemand.
"Weg mit der Wahlpflicht!"
Einige Blätter kommen noch einmal zurück auf die jüngsten Zahlen zur Wahlbeteiligung bei den Gemeinderatswahlen 2012. Wie gestern bekannt wurde, haben über 1,1 Millionen Belgier ihre Stimme nicht abgegeben. Sie sind erst gar nicht zur Wahl gegangen.
Die Wahlpflicht besteht de facto nicht mehr, glaubt denn auch Het Belang Van Limburg. Das mag wohl auch damit zu tun haben, dass Justizministerin Annemie Turtelboom im Vorfeld Straffreiheit für Nicht-Wähler in Aussicht gestellt hatte. Jetzt fehlt nur noch der letzte Schritt: Man sollte die Abschaffung der Wahlpflicht jetzt ein für alle Mal besiegeln.
Gazet Van Antwerpen sieht das ähnlich: Ohne Wahlpflicht stünden die Parteien vor einer ganz neuen Herausforderung. Man müsste dann nämlich die Bürger erst mal dazu motivieren, ihre Stimme abzugeben. Die Politik müsste also wieder lernen, auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen.
"Nie normal genug"
"Gut integriert und doch diskriminiert", so die Schlagzeile von De Standaard heute. Die Zeitung bringt die Geschichten von Menschen mit Migrationshintergrund, die in Belgien geboren sind, und doch immer noch wie Fremde behandelt werden.
Die Zeiten des offen zur Schau gestellten Rassismus nach dem Vorbild des Vlaams Blok sind offensichtlich vorbei, notiert De Standaard in seinem Leitartikel. Heute ist das viel subtiler: Zum Beispiel ein Kompliment für das ausgezeichnete Niederländisch, wobei man anscheinend gar nicht davon ausgeht, dass sein Gegenüber in Flandern geboren ist. Der weiße Heterosexuelle ist weiterhin die Norm. Und viele Menschen mit Migrationshintergrund machen eine tragische Erfahrung: Sie stellen fest, dass sie niemals normal genug sein werden. Der Unterschied zur Vlaams Blok-Ära ist also: Heute tun wir so, als würden wir alle gleich finden.
Bild: Bruno Fahy (belga)