"Flandern, mein Vaterland", schwelgt der Leitartikler in Het Laatste Nieuws heute in patriotischen Gefühlen. Der 11. Juli ist der Feiertag der Flämischen Gemeinschaft und der Leitartikler staunt über die Entwicklung, die Flandern in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat: Flandern hat sich von der Armut befreit, ist zu einer wohlhabenden Region geworden, wo Toleranz herrscht und alle Menschen friedlich zusammenleben. Und jetzt, mit der neuen Staatsreform, machen wir einen weiteren Riesenschritt nach vorne. Der Teilstaat Flandern soll über mehr Geld verfügen als die Föderalregierung. Flandern 38 Punkte, Belgien 31 Punkte. "Ein toller Feiertag, Oh! Flandern meine Heimat", schließt Het Laatste Nieuws.
Gutes Timing
Weniger empathisch verbindet L'Echo die Beschlüsse zur Sechsten Staatsreform mit dem Feiertag der Flamen: Besser hätte das Timing kaum sein können, schreibt die Wirtschaftszeitung; kurz vor dem 11. Juli beschließt die Föderalregierung die Staatsreform. Oppositionsführer Bart De Wever von den flämischen Nationalisten hatte gehofft, dass die Regierung an der Staatsreform scheitern würde. Jetzt ist sie gemacht und zieht De Wever quasi den Zahn. Er wird es schwer haben mit seiner Kritik an der Föderalregierung. Und selbst wenn die Erfolge der Regierung Di Rupo in den kommenden Monaten wieder in Vergessenheit geraten sollten: Di Rupo hat gezeigt, dass er ein politischer Fuchs ist. Er wird natürlich pünktlich zu den Wahlen die Erfolge seiner Mannschaft wieder ins Gedächtnis rufen, glaubt L'Echo.
La Dernière Heure sieht das ganz anders. Sicher: Die Regierung schwimmt gerade auf einer Erfolgswelle, in gut einer Woche hat sie den Haushalt geschnürt, das Einheitsstatut für Arbeiter und Angestellte verabschiedet, die Abdankung des Königs geregelt und die Staatsreform beschlossen. Das hört sich alles super an. Doch: Achtung! Es geht weiter. Jetzt gilt es, die Beschlüsse praxistauglich zu machen. Und allein bei der Staatsreform wünschen wir der Regierung viel Glück dabei, den Menschen zu erklären, wie sich ihr Alltag durch die Maßnahmen verbessern soll, schreibt skeptisch La Dernière Heure.
"Kein großer Wurf"
Ein ähnliche Gefahr sieht La Libre Belgique: Die Staatsreform ist ein zerbrechliches Produkt. Man kann sich zu recht fragen: Brauchten wir diese Staatsreform? Ist sie nützlich? Wird sie funktionieren? Der Erfolg hängt jetzt von den Politikern ab. Sie müssen verantwortlich mit den Beschlüssen umgehen, und vor allem den Bürgern in einfachen Worten erklären, was auf tausend Seiten geschrieben steht. Erklären, erklären und nochmal erklären, fordert La Libre Belgique.
Als von vornherein aussichtlos wertet Le Soir diesen Ratschlag der Kollegen. Die Sechste Staatsreform ist kein großer Wurf. Sie wird Belgien nicht dauerhaft stabilisieren und glänzt übrigens nicht durch Kohärenz. Es ist eine Reform, die quasi nach einer weiteren Reform verlangt. Einfach aus dem Grund, um Politik wieder effektiv zu machen. Und so eine siebte Staatsreform könnte gefährlich sein. Denn bei den wenigen Kompetenzen, die dem Föderalstaat jetzt noch bleiben, könnte es sein, dass er dann seine Daseinsberechtigung verliert, schreibt Le Soir.
Zu einer siebten Staatsreform wird es nicht kommen, verweist dagegen L'Avenir auf die Kommentare von N-VA-Chef Bart De Wever. Und das können wir ihm glauben, führt die Zeitung aus, denn De Wever will ja, dass Belgien aufhört zu existieren. Das geht nicht über Reformen, sondern nur über eine Revolution. Und genau das will De Wever, meint L'Avenir.
Zwei Botschaften für Flandern
Die flämischen Wähler haben jetzt die Wahl, analysiert De Morgen. Sie können sich jetzt entscheiden zwischen Bart De Wever, der im Hauruckverfahren möglichst viel Unabhängigkeit für Flandern will und Kris Peeters, der den Weg der Reformen wählt. Zwei Konzepte stehen sich damit gegenüber, zwei Botschaften. Die eine ist negativ, nämlich: So kann es nicht gehen. Und die andere ist positiv, nämlich: ein "Yes, we can" à la Obama. Man darf gespannt sein, welchem Ruf die Wähler folgen werden, schreibt De Morgen.
"Hoher Mindestlohn verhindert mehr Beschäftigung", schreibt De Standaard auf Seite eins. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie des Hohen Rats für Beschäftigung. In ihrem Kommentar macht sich die Zeitung dazu Gedanken: Was könnte man tun, um das zu ändern? Das deutsche Modell mit Minijobs kann keine Lösung sein. Denn damit verdient man oft nicht genug Geld, um der Armut zu entkommen. Wir müssen mehr für die Ausbildung unserer jungen Leute tun, das lebenslange Lernen fördern und zur Not Mindestlöhne mit Steuergeldern subventionieren. Kann Flandern das alles alleine schaffen? Zurzeit nicht. Wenn sich auf föderaler Ebene nichts in diese Richtung bewegt, dann muss es geradewegs zu einer neuen Staatsreform kommen, schreibt De Standaard.
Bild: Virginie Lefour (belga)