"Di Rupo nimmt die letzte große Hürde vor 2014", titelt De Standaard. De Morgen hat mitgezählt und spricht auf Seite eins von der "sechsten Hürde". "Einigung auf Staatsreform", so die Schlagzeile des Grenz-Echo.
Die acht beteiligten Parteien haben am Abend offiziell die sechste Staatsreform besiegelt. Es ging ja darum, das politische Abkommen von Herbst 2011 in Gesetzestexte zu gießen. Herausgekommen ist ein Mega-Kompromiss von 1.100 Seiten. Letzter Streitpunkt war das Finanzierungsgesetz, das ja die innerbelgischen Finanzströme regelt: Wie viel Geld bekommt der Föderalstaat, wie viel die Gemeinschaften und Regionen? Das neue Finanzierungsgesetz soll am 1. Juli in Kraft treten. "Ein neues Belgien im Juli 2014", titelt denn auch Le Soir. La Libre Belgique spricht von dem "Abkommen, das Belgien 2014 neu erfindet".
Staatsreform: ein teures Geschenk?
Da gibt es aber einen Haken: "Die Teilstaaten werden bis 2016 2,5 Milliarden Euro finden müssen", titelt L'Echo. Der Grund: Die Regionen und Gemeinschaften bekommen zwar neue Zuständigkeiten, und das im Gegenwert von 20 Milliarden Euro, aber nur 90 Prozent der dafür erforderlichen finanziellen Mittel.
"Flandern bekommt zwölf Milliarden, muss aber gleich sparen", titelt denn auch Het Nieuwsblad. Einige Blätter sind schärfer: "Die Staatsreform kostet Flandern 1,4 Milliarden Euro", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen und Het Belang van Limburg. Genau das ist auch Hauptkritikpunkt der N-VA. Die Partei von Bart De Wever spricht von einem "teuren Geschenk" am Vorabend der Feierlichkeiten zum Tag der Flämischen Gemeinschaft am 11. Juli.
Het Laatste Nieuws kann diese Kritik nicht ganz nachvollziehen. Erstens: Die sechste Staatsreform wird von acht Parteien getragen, die in allen Landesteilen über eine Mehrheit verfügen, also auch in Flandern. Und zweitens: Der Taschenrechner wurde bereits erfunden. Oder hat man schon mal von Politikern gehört, die sich selbst weniger Geld zuerkennen als sie beanspruchen dürfen?
"Nichts ist unmöglich"
Einige Zeitungen jedenfalls trauen fast ihren Augen nicht angesichts der Erfolge, die die Regierung in den letzten Tagen verbuchen konnte. In 30 Jahren habe er nie eine Koalition der drei traditionellen politischen Familien gesehen, die so viel geleistet hat, sagt der Leitartikler von De Morgen. Es gibt ein Abkommen über das Einheitsstatut. BHV wurde gespalten, der Haushalt 2013 steht, der Thronwechsel wurde "mal eben" in gesunde Bahnen gelenkt. Und jetzt, obendrauf, noch die sechste Staatsreform. Einzige Frage ist jetzt noch, ob der Wähler das alles im Mai nächsten Jahres auch belohnen wird.
Belgien hat eine historische Woche hinter sich, notiert auch Le Soir. Im Augenblick mag es so aussehen, als könne der Regierung alles gelingen. Durch die Erfolge der letzten Tage hat sich ein positives, fast euphorisches Klima breitgemacht. "Nichts ist unmöglich", dieser Gedanke ist für Di Rupo & Co. nicht mehr verboten. Und wer weiß: Vielleicht zeigt sich das auch im kommenden Jahr an der Wahlurne.
Die Arbeit fängt gerade erst an
Nach Ansicht von De Standaard lautet die Frage aller Fragen jetzt: War es eine gute Entscheidung, die N-VA, also die größte Partei des Landes außen vor zu lassen, die sechste Staatsreform ohne sie durchzuführen? Oder war das der ultimative Verrat an der flämischen Sache? Man muss schon sagen: Wenn die sechste Staatsreform auch keinen Schönheitspreis verdient, so räumt sie doch mit einigen Dauerstreitthemen auf. Jetzt wird es allein um die praktische Umsetzung gehen. Es wäre unverzeihlich, in diesen Krisenzeiten nicht alle neuen zu Verfügung stehenden Hebel optimal zu nutzen. Dafür war der Nord-Süd-Konflikt nämlich doch zu teuer.
Het Nieuwsblad sieht das ähnlich: Die wirkliche Arbeit muss erst noch beginnen. Die Teilstaaten werden schon bald über eine ganze Reihe neuer Zuständigkeiten verfügen. Und bislang haben wir uns immer nur auf die Frage konzentriert, was wir denn gerne spalten würden? Was wir mit den neuen Zuständigkeiten anfangen wollen, darüber wurde bislang noch nicht geredet. Alle Teilstaaten müssen schon bald richtungsweisende Entscheidungen treffen. Und noch etwas: Weniger gemeinsam zu verwalten, bedeutet zugleich: Besser zusammenarbeiten. Keine Staatsreform kann aus Flandern eine Insel machen.
In den nächsten Monaten steht uns eine Schlammschlacht vor, orakelt L'Avenir. Die N-VA läuft zur Hochform auf, tut nichts anderes, als die Arbeit der acht Parteien in Zweifel zu ziehen. Und man kann sich an den fünf Fingern abzählen, dass es für die N-VA nur eine mögliche Antwort auf die sechste Staatsreform geben wird, nämlich eine siebte. Jetzt geht es also darum, das Abkommen so aufrichtig wie möglich umzusetzen, um die Arbeit nicht im Nachhinein zu diskreditieren. Und das alles unter den Augen des Großinquisitors, mit Namen N-VA.
Neuer Knatsch?
Gazet Van Antwerpen hat derweil schon wieder einen neuen potentiellen gemeinschaftspolitischen Streitpunkt ausgegraben. Die strengen Fluglärm-Richtwerte der Region Brüssel Hauptstadt bedrohen den Frachtverkehr am Flughafen Zaventem, beklagt das Blatt. Dabei sollte Brüssel nicht vergessen, von wem man durchgefüttert wird. Die "Brüsseler Liliput-Regierung" will nur von Zaventem profitieren, dabei aber die Nebenwirkungen ausblenden. Wann bekommen wir endlich eine Staatsreform, die ein solches innerstaatliches Mobbing unterbindet?
Üble Zeit für Jean-Claude Juncker
"Jean-Claude Juncker im freien Fall", schreibt indes das Grenz-Echo auf Seite eins. Auch Le Soir berichtet auf seiner Titelseite über die politische Krise in Luxemburg, die dem langjährigen luxemburgischen Premier Jean-Claude Juncker das Amt kosten könnte. Hintergrund ist seine politische Verantwortung in einer Geheimdienstaffäre. Für Le Soir erlebt Juncker denn auch derzeit "üble Zeiten".
Bild: Virginie Lefour (belga)