"Historisches Abkommen über das Einheitsstatut für Arbeiter und Angestellte", titeln heute fast gleichlautend Le Soir und L'Echo. De Standaard spricht auf Seite eins von einem "historischen belgischen Kompromiss".
Die Sozialpartner also Arbeitgeber und Gewerkschaften haben sich endlich auf ein Einheitsstatut verständigen können. Oder besser gesagt: Sie haben den letzten Kompromissvorschlag der föderalen Arbeitsministerin Monika De Coninck nicht abgelehnt. Insofern ist es schwierig, von einem Abkommen zu sprechen, wie mehrere Zeitungen hervorheben. Das Resultat wäre aber das gleiche.
Einzige Unsicherheit: Die verschiedenen Verbände müssen den Text jetzt noch ihrer Basis unterbreiten. Dass die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten aber schon bald der Vergangenheit angehört, daran zweifelt im Grunde niemand. Will heißen: Auf Dauer wird es keinen Unterschied mehr geben zwischen Arbeitern und Angestellten. Das betrifft also die Rechte, die bislang für die Berufsgruppen galten. Ein Beispiel steht auf Seite eins von Gazet Van Antwerpen: "Jeder ist bei einer Kündigung gleich".
"Historisch, aber nicht euphorisch"
"Historisch" ist das Ganze, schon allein deswegen weil darüber schon seit 27 Jahren gesprochen wird. Inzwischen gab es aber Druck vom Verfassungsgerichtshof; nach einem Urteil des Hofes müsste die Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten am 8. Juli vom Tisch sein.
"Historisch, aber nicht euphorisch", schränkt De Morgen mit seiner Schlagzeile ein. Denn: Arbeitgeber wie Gewerkschaften haben empfindliche Zugeständnisse machen müssen.
"Die Angestellten sind die Verlierer", schreibt denn auch Het Nieuwsblad. Angestellte verlieren jedenfalls ihre mitunter königlichen Abschiedsprämien, so das Blatt. Gewinner sind demgegenüber die Arbeiter, hält das Grenz-Echo fest. "Karenztag wird abgeschafft", so die Schlagzeile. Das heißt: Der erste Krankheitstag wird künftig bezahlt.
Sozialer Dialog auf dem Drahtseil
Das Abkommen ist bestimmt nicht perfekt, kann aber eigentlich kaum überschätzt werden, notiert De Morgen in seinem Leitartikel. Man darf nicht vergessen: Hier geht es um nicht weniger als das Brüssel-Halle-Vilvoorde des Sozialen Dialogs. Die Forderung nach einem Einheitsstatut ist so alt wie Methusalem; seit 27 Jahren wird darüber palavert. Wenn die Akte jetzt wirklich endgültig vom Tisch ist, dann ist das in erster Linie ein Verdienst der Sozialpartner selbst. Sie liefern den Beweis, dass der für Belgien so typische Soziale Dialog noch funktioniert, trotz aller gegenteiligen Behauptungen.
Le Soir sieht das nuancierter: Klar ging es hier um die Zukunft des belgischen Sozialmodells. Im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen wäre der Soziale Dialog wohl zum Tode verurteilt gewesen. Das hatten die sozialen Partner aber wohl nicht vor Augen. Ein Scheitern war schon alleine deswegen verboten, weil die Konsequenzen unbezahlbar gewesen wären. Hätte man die Frist des Verfassungsgerichtshofes verstreichen lassen, dann drohte eine Klagewelle etwa von Arbeitern, die nach dem 8. Juli entlassen worden wären. Zudem ist Rechtsunsicherheit schlecht für das allgemeine wirtschaftliche Klima. Fazit: Alle Beteiligten - die Regierung, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften - standen mit dem Rücken zum Abgrund, ein Schritt zurück und sie wären alle zusammen ins Rechtsvakuum gefallen.
Und doch haben sie uns ein bisschen Angst gemacht. Gegen Ende waren wirklich Zweifel erlaubt, ob die Sozialpartner doch noch fristgerecht zu einer Einigung gelangen würden. Und ganz allgemein muss man feststellen, dass Arbeitgebern und Gewerkschaften sich in den letzten Jahren immer schwerer tun, sich in entscheidenden Fragen zusammenzuraufen. Meist geht das nicht mehr ohne Schmieröl vonseiten der Regierung. Diesmal waren es 56 Millionen Euro. Was bleibt ist aber, dass sich Di Rupo eine weitere Feder an den Hut stecken kann.
Frauenpower
Nicht nur Elio Di Rupo unterstreichen dabei einige Zeitungen: Dass das Abkommen überhaupt zustande gekommen ist, das ist nämlich vor allem das Verdienst von drei Frauen: die föderale Arbeitsministerin Monika De Coninck, ihrer Kabinettschefin Eva Van Hoorde und die Kabinettschefin von Premier Di Rupo, Yasmine Kherbache. Was diese drei geschafft haben, grenzt an ein Wunder, lobt De Standaard. Um die mitunter vollkommen entgegengesetzten Standpunkten der Sozialpartner unter einen Hut zu bringen, mussten sie tief in die Trickkiste der Kompromiss-Wissenschaften greifen. Es war so was wie der Cirque du Soleil des Arbeitsrechts. Das war es dann aber auch. Die Sozialpartner hätten ohne die drei Geburtshelferinnen jedenfalls nichts erreicht. Es fehlt ihnen an Visionen. Es sind inzwischen die toten Kräfte der Gesellschaft. Und deswegen sollten die Sozialpartner auch nicht länger eine so zentrale Rolle in Belgien einnehmen.
Gazet Van Antwerpen ist da anderer Meinung: Das Blatt hebt zwar auch die zentrale Rolle des weiblichen Dreigestirns hervor, fast noch wichtiger ist aber, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften auch nach dem Ende dieser historischen Verhandlung noch miteinander reden. Es gibt keinen Bruch. Der Soziale Dialog ist nicht tot. Mit Dank an Monika, Eva und Yasmine.
Het Belang Van Limburg macht ebenfalls aus der Einigung eine Frage des Geschlechts. Drei Frauen schaffen innerhalb von 27 Stunden das, woran Männer 27 Jahre gescheitert sind. Das ist beschämend - für die Männer wohlgemerkt.
Di Rupo - Superman?
Im Grunde war das Einheitsstatut ja nur einer von vielen politischen und emotionalen Höhepunkten der vergangenen Woche. Es war eine fantastische Woche für Premier Di Rupo und seine Regierung, stellt Het Laatste Nieuws fest. Das Blatt bezeichnet Di Rupo sogar als "Superman": erst der Haushalt, dann ein historisches Abkommen mit den Regionen und Gemeinschaften und jetzt auch noch das Einheitsstatut, das BHV des Sozialen Dialogs. Das hätte selbst der größte Optimist dieser Regierung nicht zugetraut. Zwar darf man jetzt nicht in Euphorie verfallen. Diese Equipe hat es aber geschafft, dass sich nach einer schlimmen institutionellen Krise wieder Optimismus breitmacht. Und das könnte jetzt auch beim Wähler ankommen.
Es hat wohl kaum eine Legislaturperiode gegeben, in der eine Regierung mehr zustande gebracht hätte; lobt auch La Libre Belgique. Über die Bilanz der Regierung Di Rupo muss nicht diskutiert werden. Nachdem die Stimmung noch vor anderthalb Jahren im Keller war, muss man inzwischen das Gefühl haben, dass in diesem zugegebenermaßen etwas seltsamen Land die Dinge doch gar nicht so schlecht laufen. Deswegen sollten wir vielleicht auch mal in puncto Wortschatz ein anderes Register ziehen: "Fortschritt" statt "Problem", "Lösungen" statt "Komplikationen".
Man muss Di Rupo nicht mehr beibringen, wie man als Premier in einem Land wie Belgien gute Arbeit leistet, räumt auch Het Nieuwsblad ein. Der Parcours, den die Regierung in den letzten Wochen hingelegt hat, ist absolut beeindruckend. Sogar den unerwarteten und delikaten Thronwechsel hat man - mal eben nebenbei - in gute Bahnen gelenkt. Die Botschaft lautet also: "Alles unter Kontrolle". Wobei: Di Rupo scheint erst dann zu Hochform aufzulaufen, wenn der Druck am Größten ist. Eine dieser Zeitbomben könnte ihm aber mal in der Hand explodieren, warnt Het Nieuwsblad.
Es war eine verrückte Woche, konstatiert jedenfalls L'Avenir. Innerhalb von fünf Tagen ist mehr passiert, als sonst in einem ganzen Sommerloch. Und irgendwie hat diese Woche etwas Beruhigendes an sich. Selbst der überraschende Thronwechsel hat nicht gleich wieder zu Verwerfungen geführt. Vielleicht ein Zeichen eines Reifeprozesses. Und Elio Di Rupo hat allen Grund zu lächeln, wenn man solche Höllenwochen übersteht, dann weiß man, dass man lebt.
Bild: Laurie Dieffembacq (belga)