"Giftzug fuhr mit 87 km/h statt der erlaubten 40", titelt heute Het Nieuwsblad. Die Zeitung hat erste Ergebnisse der laufenden Untersuchung einsehen können. Und demnach war der Unglückszug in Wetteren noch schneller als ursprünglich gedacht.
Fast alle Zeitungen bringen auch heute ausgiebige Reportagen vom Ort der Katastrophe. Inzwischen haben ja die Aufräumarbeiten begonnen. Die Waggons, die noch hochgiftige Chemikalien enthalten, werden abgepumpt. Ein Kesselwagen enthält ein höchstbrennbares Gas. Das soll am Sonntag kontrolliert abgefackelt werden. "Alle Bewohner sind vorbereitet auf die Mega-Stichflamme", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen.
Wie schon viele Leitartikler in den vergangenen Tagen plädiert auch Gazet van Antwerpen heute noch einmal nachdrücklich für eine Reform des Katastrophenschutzes. Das Blatt schließt sich der Forderung des bekannten Notfallmediziners Luc Beaucourt an. Der bricht eine Lanze für die Schaffung eines Krisen-Teams, bestehend aus Experten von Feuerwehr und Zivilschutz, aber auch Professoren und Technikern, das für ganz Flandern zuständig wäre. Zwei Vorteile: Erstens wären Politiker, die ja immer parteipolitisch denken, damit außen vor. Zweitens: Ein solches Krisenteam würde über die geballte Kompetenz verfügen, im Gegensatz zu Bürgermeistern oder Gouverneuren, die in der Regel, wenn überhaupt dann nur eine Katastrophe in ihrer Laufbahn erlebten.
Sparen ist "out"
"Geens will an Sparbüchern herumdoktern", schreibt De Standaard auf Seite eins. Der föderale Finanzminister Koen Geens will offenbar den Steuervorteil auf Sparbüchern senken bzw. ganz abschaffen. Le Soir und La Libre Belgique heben diese Meldung ebenfalls hervor und berufen sich dabei auf De Standaard. Im Augenblick ist es ja so, dass man auf den ersten 1.880 Euro Zinsen keine Quellensteuer zahlt. Resultat: Die Leute lassen ihr Geld auf dem Konto. In Belgien schlummern 240 Milliarden Euro auf Bankkonten. Indem man eine allgemeine Quellensteuer etwa von 15 Prozent festlegen würde, könnte man also die Sparer dazu bringen, ihr Geld auszugeben.
Das Image des guten, alten Sparbuchs hat sich offenbar radikal gewandelt, bemerkt De Standaard in seinem Leitartikel. Früher war Sparen in Belgien quasi Volkssport Nummer eins und wurde auch belohnt. Heute wird Sparen fast schon als "antisoziales" Verhalten gebrandmarkt. Die Zeiten haben sich eben geändert. Wenn die Wirtschaft stagniert, wenn die Jugendlichen in Spanien und Griechenland arbeitslos sind, dann weil der Rubel nicht rollt. Doch wenn die Regierung über eine allgemeine Quellensteuer nachdenkt, will sie damit wirklich die Menschen ermuntern, ihr Geld auszugeben? Fakt ist: Nur wenn das Geld auf dem Konto bleibt, kann man auf die Zinsen Steuern erheben.
Koen Geens ist auch der Hauptdarsteller in der Aufmachergeschichte von De Morgen: "Kritik an Volksanleihe nimmt zu", so die Schlagzeile. Man will ja die Bürger dazu ermuntern, in Kassenbons zu investieren. Das Geld würde dann direkt in die Wirtschaft gepumpt. Anreiz ist ein verminderter Quellensteuersatz. Fachleute glauben aber, dass die Regierung sozusagen an der falschen Front kämpft. Absolute Priorität sollte eigentlich die Senkung der Staatsschuld haben.
La Libre Belgique glaubt ihrerseits, dass das Vorhaben der Regierung in die richtige Richtung führt. Wenn sie schon sparen, dann würden die Belgier wenigstens nützlich sparen, glaubt das Blatt. Indem man sein Geld in Kassenbons investiert und es damit für mehrere Jahre festsetzt, bekommen die Banken mehr Spielraum für die Kreditvergabe. Das käme dann auch der Wirtschaft zugute. Die mögliche Einführung einer allgemeinen Quellensteuer auf Bankkonten würde jedenfalls ganz und gar in dieses Konzept passen: Das Geld, dass sich auf Bankkonten der Zeit im Tiefschlaf befindet, soll geweckt werden.
Licht am Steuerhorizont
Es tut sich was an der Steuerfront, kann auch L'Echo nur feststellen. Im Augenblick schwappt ja eine Schwarzgeldwelle nach Belgien. Steuerhinterzieher beeilen sich, in den Genuss der geltenden Amnestieregelung zu kommen. Die Zahl der Anträge auf Schwarzgeld-Regularisierung ist in den letzten Wochen explodiert. Das hat auch damit zu tun, dass die Regierung jetzt Ernst machen will mit der Bekämpfung von Steuerhinterziehung, glaubt L'Echo. Dabei blendet man aber bewusst das Wichtigste aus, das da wäre: Belgien braucht eine radikale Steuerreform, eine grundlegende Vereinfachung. Im Augenblick ist es doch so, dass das schwerfällige und komplexe System fast schon zum Steuerbetrug einlädt. Mit einer Steuerreform würde die Regierung jedenfalls allen Beteiligten einen großen Gefallen tun. Auch sich selbst.
Dienstleistungsschecks unbezahlbar
Von einer dringend nötigen Reform ist auch immer wieder im Zusammenhang mit den Dienstleistungsschecks die Rede. Jetzt hat sich sogar der Erfinder des Systems zu Wort gemeldet, Frank Vandenbroucke, einst SP.A-Föderalminister und heute Uniprofessor. Vandenbroucke glaubt, dass das System zu kostspielig ist. Der Preis für Dienstleistungsschecks müsse weiter angehoben, die steuerliche Absetzbarkeit abgeschafft werden.
Das erinnert an die unselige Geschichte mit den Sonnenpanelen, konstatiert Het Laatste Nieuws. Auch die Dienstleistungsschecks sind zum Opfer ihres Erfolgs geworden. Die Regierung wird wohl Kurskorrekturen vornehmen müssen, sollte dabei aber nicht dieselben Fehler wie bei der Photovoltaik machen. Man kann nicht ständig in ein laufendes System eingreifen, die Spielregeln verändern. Damit wird Vertrauen zerstört. Die Preise für Dienstleistungsschecks sind doch ohnehin inzwischen an den Index gebunden. Und über die steuerliche Absetzbarkeit kann man auch später noch nachdenken.
Bild: Dirk Waem (belga)