Opel Antwerpen - bis zu 10.000 Jobs bedroht !?
"Amen und aus", titelt heute Het Laatste Nieuws. La Libre Belgique meint lapidar auf Seite 1: "Opel - der Nackenschlag". L'Echo und La Dernière Heure titeln gleichlautend: "Totalschaden bei Opel".
Ausnahmslos alle Tageszeitungen berichten in großer Aufmachung über die gestern von General Motors angekündigte Schließung des Antwerpener Opelwerks. Was die unmittelbare Folge für den Arbeitsmarkt angeht, so gehen die Meinungen auseinander. De Morgen etwa hebt nur die unmittelbaren Jobstreichungen hervor: 2.600 Opel-Mitarbeiter stehen bald auf der Straße. De Tijd schließt seinerseits schon die Folgen für die Zulieferbetreibe mit ein und rechnet vor, dass die Schließung von Opel Antwerpen 3.600 Jobs kosten wird.
Vers l'Avenir spricht auf Seite 1 schon von 5.000 direkt gefährdeten Arbeitsplätzen. Und Het Nieuwsblad malt den Teufel an die Wand und schreibt in Blockbuchstaben auf seiner Titelseite: "10.000 Arbeitsplätze sind verloren".
In einem Punkt sind sich alle einig: Die Ankündigung, die emotionslos von GM-Europachef und Opelboss Nick Reilly vorgetragen wurde, ist eine Katastrophe. Wenn die Entscheidung auch nicht wirklich eine Überraschung darstellt, so darf das doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie für die flämische Wirtschaft einen unvorstellbaren Verlust nach sich ziehen wird, meint etwa Gazet van Antwerpen. Nicht nur bei Opel Antwerpen selbst, sondern auch bei Dutzenden von Zulieferbetrieben droht ein sozialer Kahlschlag. Hier werden sich noch große Krater auftun. Jetzt geht es erstmal darum, dass die Betroffenen vernünftige Abfindungen bekommen, und dass man alle Hebel in Bewegung setzt, um ihnen einen neuen Job zu verschaffen.
Zynisch, kriminell …
Het Belang van Limburg nennt die Vorgehensweise von General Motors "kriminell". Vor drei Jahren noch wurde versprochen, dass Opel Antwerpen nach dem Ende der Produktion des Astra zwei neue Modelle bekommen sollte. Die Absicht wurde sogar schriftlich festgehalten. In der heutigen Zeit müssen sich Manager aber offensichtlich nicht mehr an Versprechen halten. Schlimmer noch: Sie bekommen zur Belohnung auch noch einen fetten Bonus. Was General Motors seinen belgischen Mitarbeitern zugemutet hat, indem man über zehn Jahre ein Damoklesschwert über deren Köpfen baumeln ließ, ist unsäglich. Dafür müsste man die Opel-Spitze eigentlich vor das Internationale Strafgericht in Den Haag stellen können.
Die Saga um Opel Antwerpen ist das Zynischste, was er je erlebt habe, meint auch der Leitartikler von Het Laatste Nieuws. Ein Jahr lang hat man den Mitarbeitern eine höllische Achterbahnfahrt zugemutet, hat bewusst Hiobsbotschaften durchsickern lassen, immer wieder Schließungsgerüchte gestreut, Fristen mir nichts dir nichts verstreichen lassen, um dann am Ende doch das Todesurteil zu vollstrecken. Selbst der damalige Renault-Chef Louis Schweitzer ging 1997 bei der Schließung des Werks in Vilvoorde nicht so schamlos vor. Seinerzeit war es zwar auch ungeheuer schmerzlich, aber schnell. Opel Antwerpen stirbt hingegen einen langsamen Foltertod.
Realitätsverneinung
Für L'Echo hat das aber auch damit zu tun, dass man in diesem Land den Realitäten nicht ins Auge blickt. Und das hat lange Tradition. In der Wallonie hat man vor einigen Jahrzehnten viel zu lange nicht einsehen wollen, dass Kohle und Stahl zum Tode verurteilt waren. Und jetzt macht man denselben Fehler. Das Ende von Renault Vilvoorde 1997 war schon ein eindeutiges Alarmsignal. Statt der Realität ins Auge zu sehen, hat man vielmehr die bösen Franzosen und ihren Protektionismus für die Katastrophe verantwortlich gemacht. Dabei ist spätestens seit 1997 klar, dass die Massenproduktion von Autos in diesem Land der Vergangenheit angehört.
Vor diesem Hintergrund stellt sich Le Soir schon auf seiner Titelseite die Frage, ob mit dem Aus von Opel Antwerpen nicht auch das Ende des flämischen Wirtschaftswunders eingeläutet wird. Fest steht: Flandern steht am Scheideweg. Der Fall Antwerpen zeigt, wie wenig Gewicht Belgien in dieser globalisierten Welt hat, geschweige denn Flandern. Opel Antwerpen wurde durch die Deutschen, Briten und Spanier ausgestochen.
La Dernière Heure sieht das ähnlich. In fast allen Branchen werden die Entscheidungen nicht mehr in Belgien getroffen. Zugleich muss man feststellen, dass die innereuropäische Solidarität eine Utopie ist. Und als wäre das für Belgien nicht schon schlimm genug, setzt die politische Struktur des Landes und die innere Zerstrittenheit dem Ganzen noch die Krone auf.
Antwerpen als Fanal für wirtschaftliche Neuausrichtung
Wir brauchen also eine neue Wirtschaftsstrategie für dieses Land, fügt La Libre Belgique hinzu. So kann es jedenfalls nicht mehr weitergehen. Und Opel Antwerpen ist dafür ein Fanal.
Auch die flämische Presse ist sich der Gefahr für die heimische Industrie und den Arbeitsmarkt bewusst, so etwa De Standaard: Das Aus von Opel Antwerpen ist zwar mit Sicherheit eine Katastrophe, deren Umfang in den nächsten Monaten überdeutlich werden dürfte. Dennoch: Jetzt ist keine Zeit für Frust und Katzenjammer. Wir müssen jetzt resolut nach vorn blicken. Der Fall Opel Antwerpen sollte der entscheidende Impuls sein, um die Industrie in diesem Land neu auszurichten.
Es gibt aber leider noch keinen Plan B, beklagt unter anderem De Morgen, wobei das Blatt einräumt, dass es nur schwerlich vorstellbar wäre, dass die flämische Regierung jetzt plötzlich zum Autobauer wird. Flandern kann nicht eine Neuausrichtung seiner Industrie verordnen, meint auch Het Nieuwsblad. Der einzig mögliche Plan B ist die Schaffung eines Klimas, das Innovation und Unternehmergeist fördert.
Roger Pint