"Der harte Sparkurs schädigt die Gesundheit", zitiert heute La Libre Belgique auf ihrer Titelseite Premierminister Elio Di Rupo. "Ich habe eine Mission: Ich muss meine Equipe leiten", sagt der Premier auf Seite eins von De Morgen. 500 Tage ist die Regierung Di Rupo jetzt im Amt. Zeit also, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Und die fällt aus dem Mund von Elio Di Rupo selbstredend respektabel aus.
Belgien habe seinen eigenen Weg gewählt, sagt Di Rupo in La Libre Belgique. Man habe zwar gespart, den Gürtel aber nicht unerträglich eng geschnallt. Die EU sollte diesem Beispiel folgen, glaubt der Premier. Der harte Sparkurs mache die Menschen krank. In Europa steige die Zahl der Selbstmorde und auch die der psychischen Erkrankungen. So könne es nicht weitergehen.
Mit Blick auf die Wahl 2014 gibt sich Di Rupo zuversichtlich. Das Zeugnis gebe es erst am Ende der Legislaturperiode. Die Wahl sei jedenfalls noch längst nicht entschieden, sagte Di Rupo in De Morgen. Premierminister zu sein, dass sei sein Schicksal.
Die Regierung ist in Topform, unterstreicht Di Rupo auch in Het Laatste Nieuws. Unsere Rezepte funktionieren, ganz Europa schaut auf Belgien. Jetzt müsse man nur noch den flämischen Wähler überzeugen, aber da mache er sich keine Sorgen, sagt Di Rupo beschwörend.
Regierungsbilanz kann sich sehen lassen
La Libre Belgique teilt im Wesentlichen die Einschätzungen des Premierministers: Die belgische Bilanz kann sich sehen lassen, meint das Blatt. Das hat vor allem damit zu tun, dass Belgien einen Mittelweg gewählt hat. Deswegen hat Di Rupo auch Recht, wenn er die EU zu einem Kurswechsel bewegen will. In gewissen Ländern hat der harte Sparkurs in der Bevölkerung eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Selbst EU-Kommissionspräsident Barroso ist inzwischen davon überzeugt, dass man nicht auf immer und ewig gegen die Bürger regieren kann. Von Blut und Tränen haben wir genug. Es wird Zeit, den Menschen wieder Hoffnung zu geben.
Het Laatste Nieuws sieht das anders. Das flämische Massenblatt beklagt schon auf seiner Titelseite, dass die Regierung Di Rupo nötige Sparmaßnahmen auf ihre Nachfolger schiebt. Im kommenden Jahr würden nur noch zwei Milliarden Euro zusätzlich eingespart, um den Rest kann sich die neue Regierung nach der Wahl kümmern.
Elio Di Rupo ist sparmüde, konstatiert Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Der Premier verabschiedet sich vom harten Sanierungskurs. Erstaunlich nur, dass die Regierung diese Pirouette mitmacht. Das verheißt nichts Gutes. Offensichtlich schalten die Parteien schon auf Wahlmodus. Das würde bedeuten, dass Belgien ein weiteres Jahr verliert: Nach 2010 und 2011 nun also auch 2014. Die Frage ist, ob wir uns das leisten können.
In Het Laatste Nieuws und De Morgen überrascht indes ein Unternehmenschef mit einer erstaunlichen Forderung: "Ich will mehr Steuern zahlen", sagt Marc Coucke, Geschäftsführer von Omega Pharma. Coucke plädiert für ein ehrliches, gerechtes Steuersystem, gemäß dem Leitmotiv: "Starke Schultern müssen eine größere Last tragen". So jedenfalls könne es nicht weitergehen.
Hört endlich auf zu jammern!
"Die Regierung gibt dem Hotel- und Gaststättengewerbe zwei Jahre Zeit, um weiße Kassen einzuführen", hebt heute Het Nieuwsblad hervor. Konkret geht es hier um Registrierkassen, die dafür sorgen sollen, dass der Umsatz im sogenannten Horeca-Sektor sozusagen weiß wird. Die Maßnahme wird zeitlich gestreckt. Erst gegen Ende 2015 muss in jedem Restaurant oder Café eine solche Registrierkasse stehen. Damit ist die Regierung auch der Branche entgegengekommen. Das Hotel- und Gaststättengewerbe befürchtet, dass ein erheblicher Teil des Sektors die Einführung der Kasse nicht überleben wird.
Hört endlich auf zu jammern, donnert in diesem Zusammenhang Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Der Horeca-Sektor gibt inzwischen sogar offen zu, dass gewisse Teile seines Geschäfts in einer fiskalen, beziehungsweise sozialrechtlichen Dunkelzone ablaufen. Steuerhinterziehung oder Sozialbetrug sind aber in keiner Weise schön zu reden. Und die Regierung kommt der Branche ja sogar entgegen: Als Gegenleistung für die Einführung der Registrierkasse werden die Lohn-Nebenkosten für Gelegenheitsarbeit gesenkt. Damit fließen 83 Millionen Euro zurück in den Sektor. Was soll also der Katzenjammer?
"Wohnungskredite: die Belgier sind genauso zurückhaltend wie ihre Banken", titelt L'Echo. In den letzten Tagen wurde ja berichtet, dass die Banken längst nicht mehr jeden Kredit bewilligen, doch zeigen neue Zahlen, dass die Belgier auch weniger Hypothekenkredite beantragen: ein Minus von 10 Prozent im ersten Quartal dieses Jahres.
Arbeitslose zu Arbeit verdonnern?
La Dernière Heure macht mit einer reißerischen Geschichte auf: "Arbeitslose zur Arbeit zwingen: das ist möglich", schreibt das Blatt. Yves Binon, der Bürgermeister von Ham-sur-Heure im Hennegau, praktiziert jedenfalls eine solche Politik. Dort müssen die Empfänger eines Integrationseinkommens Arbeit für die Allgemeinheit verrichten.
In ihrem Kommentar ist La Dernière Heure jedoch eher skeptisch. Klar gibt es Menschen, die vom System profitieren. Hier handelt es sich aber um eine kleine Minderheit. Jemanden dazu zu zwingen, Arbeiten für die Allgemeinheit zu verrichten, wäre denn auch überzogen. Nur weil man arbeitslos ist, muss man dafür nicht zum Sklaven degradiert, zu Zwangsarbeit verurteilt werden.
De Standaard widmet eine große Geschichte den Missbrauchsfällen in katholischen Kinderheimen. Zeugen schildern darin die extreme physische Gewalt, der sie ausgesetzt waren. Sie wurden von Nonnen geschlagen und erniedrigt, sagen die Zeugen von damals. Das ging so bis in die 80er Jahre. Kommentierend meint De Standaard dazu: Man kann sich die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, solche Fälle vierzig Jahre danach noch aufzurollen. Wer hat denn was davon? Die meisten Täter sind längst tot. Damit allerdings wird man den Opfern nicht gerecht. Sie wollen ihre schrecklichen Kindheitserlebnisse verarbeiten, einen Schlussstrich ziehen, sie wollen schlicht und einfach ernst genommen werden. Und solche Berichte sorgen auch dafür, dass noch bestehende Einrichtungen die Mauer des Schweigens durchbrechen.
Syrien - Giftgas nur ein Vorwand?
"Warum Syrien die Menschen nicht mobilisiert", titelt Le Soir. Das Konsortium 12-12 sammelt Spenden für die Opfer des Krieges, bislang sind aber nur 500.000 Euro zusammengekommen. Dabei sprechen die Zahlen für sich, beklagt Le Soir in seinem Leitartikel. 70.000 Menschen haben schon ihr Leben verloren, 1,4 Millionen Syrer sind auf der Flucht. Syrien ist ein Schlachthaus. Und die Welt schaut zu. Das gilt aber in erster Linie für die Politik. Die internationale Gemeinschaft hält sich vornehm zurück - weil es tatsächlich einige gute Gründe dafür gibt, um sich aus dem syrischen Bürgerkrieg herauszuhalten. Ohne klare politische Haltung muss man sich aber nicht wundern, dass die Menschen ebenfalls zögern, Geld für Syrien zu spenden. Dabei müsste man doch eigentlich wissen, dass humanitäre Hilfe gleich klare und indiskutable Ergebnisse liefert.
Auch L'Avenir prangert die Scheinheiligkeit der internationalen Gemeinschaft an. Jetzt wird auf einmal so getan, als wäre der Bürgerkrieg in eine neue Phase eingetreten. Nur, weil plötzlich der Verdacht im Raum steht, dass das Regime von Bashar Al-Assad inzwischen auch Chemiewaffen einsetzt. Im Endeffekt folgt das Ganze nur einer Dramaturgie: Hier wird eine Drohkulisse aufgebaut, unter anderem, weil der Konflikt inzwischen zu einem Flächenbrand zu werden droht. Vor allem Jordanien und Israel können immer schwieriger mit den Folgen umgehen. Die Geschichte mit dem Giftgas ist nur ein Vorwand. Oder gibt es etwa einen Unterschied, ob man einen Menschen nun ganz banal mit einer Kugel tötet oder mit Chemiewaffen?
Bild: Laurie Dieffembacq (belga)