Vor 20 Jahren fiel die Mauer
„Alle Augen richten sich auf Berlin“, titelt heute De Morgen. La Libre Belgique hat heute gar ihre Aufmachung geändert: Vorder- und Rückseite des Blattes sind ganz in grau gehalten und entpuppen sich als Foto des einstigen Berliner Schandmals. Heute vor 20 Jahren fiel die Mauer zwischen Ost und West.
Die meisten Zeitungen kommen auf zahlreichen Sonderseiten auf das Ereignis zurück. Fast alle ziehen aber eine gemischte Bilanz nach zwei Jahrzehnten. Wie das Grenz-Echo auf Seite 1 berichtet, wünscht sich nach einer Umfrage jeder achte Deutsche, dass die Mauer schnell wieder aufgebaut wird.
Eine durchwachsene Bilanz
Und auch viele Leitartikler können dem Ereignis nicht nur Positives abgewinnen. Der Fall der Berliner Mauer war vor allem mit einer Hoffnung verbunden: Freiheit, meint etwa Vers l'Avenir. Vor diesem Hintergrund müssen wir mehr denn je achtsam sein. Der Mauerfall darf nicht zum Symbol für den Sieg einer einseitigen Sicht des Planeten werden, wo der Begriff Freiheit sich auf Kapitalströme beschränkt. Und auch die Meinungsfreiheit macht nur dann wirklich Sinn, wenn die Missstände, die tatsächlich angeprangert werden dürfen, danach auch beseitigt werden.
Für Le Soir muss man denn auch rückwirkend von einer verpassten Chance sprechen. Die Ereignisse des 9. November 1989 haben seinerzeit enorme Hoffnungen geweckt. Man glaubte, dass das fragile Gleichgewicht der Apokalypse zwischen den beiden Supermächten nun endlich der Vergangenheit angehört, dass eine neue Weltordnung bevorsteht. Was wir heute erleben ist allerdings allenfalls eine neue Welt-Unordnung. Wir müssen mit einer gewissen Ernüchterung feststellen, dass der kalte Krieg indirekt dafür gesorgt hat, Regionalkonflikte unter der Decke zu halten. Eine wirklich multipolare Welt aufzubauen erweist sich mehr denn je als eine unglaublich komplexe Aufgabe.
Mauer im Kopf
De Standaard stellt seinerseits die Frage, was der Mauerfall in den Köpfen der Menschen bewirkt hat. Auch diese Antwort ist ernüchternd. Die Euphorie der ersten Stunden wurde schnell von der gelebten Realität verdrängt. Für viele Menschen steht der Mauerfall stellvertretend für den Beginn einer Ära, wo billige Arbeitnehmer aus dem Osten auf den hiesigen Arbeitsmarkt drängten, wo Betriebe ihre Produktion nach Osten verlagerten. Das Blickfeld der Belgier hat sich nicht vergrößert, im Gegenteil, nach wie vor steht der eigene Kirchturm im Vordergrund. Die Mauer ist weg, die Welt ist anders, der Blick auf die Welt hat sich allerdings kaum verändert.
Das mag zwar alles stimmen, meint De Morgen sinngemäß. Man darf aber den Fall der Mauer und seine Folgen immer noch nicht unterschätzen. Ein Beispiel: Auch der Euro ist letztlich eine Folge des Mauerfalls. Und ohne den Euro hätte uns die Krise noch viel härter getroffen. Man kann es drehen und wenden wie man will, der Fall der Berliner Mauer ist und bleibt ein Schlüsselmoment in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Van Rompuy und das schwere Erbe
Heute Abend wird also in Berlin feierlich an das Weltereignis erinnert. Am Rande des Festaktes werden die europäischen Staats- und Regierungschef einmal mehr über die Besetzung des Postens des EU-Präsidenten beraten. Sehr große Chancen hat hier nach wie vor Premier Herman Van Rompuy. Dies bestätigte auch noch einmal der derzeitige belgische EU-Kommissar Karel De Gucht, wie u.a. Le Soir berichtet. In der Rue de la Loi stellt sich also mehr denn je die Frage nach der möglichen Nachfolge.
Das Van Rompuy-Erbe flößt Angst ein, meint in diesem Zusammenhang La Libre Belgique. Erstens verdunkelt sich damit wieder der gemeinschaftspolitische Himmel. Zweitens haben auch die Liberalen Ansprüche auf den Regierungschef geltend gemacht. Und drittens: Aussichtsreichster Kandidat ist kein geringerer als der glücklose Yves Leterme, der insbesondere auf frankophoner Seite durch die Bank abgelehnt wird. In der vergangenen Woche hatte die Chefredakteurin der Zeitung Le Soir hier sogar ein ausdrückliches Veto eingelegt.
Das ist allerdings kontraproduktiv, meint dazu Het Belang van Limburg in seinem Kommentar. Einmal angenommen, die CD&V würde sich doch gegen Leterme entscheiden wollen, dann würde das jetzt so aussehen, als würde man vor einem wallonischen Diktat in die Knie gehen. Der einzige, der Yves Leterme verhindern kann, ist Yves Letermes selbst, notiert dazu Het Nieuwsblad. Die Zeitung beruft sich auf anonyme Mitglieder der CD&V. Wenn Yves Leterme Premierminister werden wolle, dann werde er es auch, so eine anonyme Quelle. Wir können und wollen ihm keinen Dolch in den Rücken stoßen.
Berni Collas und BHV
Gazet Van Antwerpen bringt heute ein ganzseitiges Interview mit dem ostbelgischen Gemeinschaftssenator Berni Collas. Im Mittelpunkt des Gespräches steht der unlängst von der DG geltend gemachte Interessenkonflikt in Sachen Brüssel-Halle-Vilvoorde. Collas bittet unter anderem um Verständnis für die Haltung der Deutschsprachigen. Zugleich relativiert er: BHV spielt für Otto-Normalverbraucher kaum eine Rolle, der sorgt sich mehr um seinen Job und die Zukunft seiner Kinder.