"Der Marathon endet in einem Drama", titelt Le Soir. "Explosionen in Boston", so die Schlagzeile des Grenz-Echo. "Sportfest wird zu Blutbad", schreibt De Morgen auf Seite eins. Das Wort "Blutbad" ist fast allgegenwärtig. "Blutbad nach Bomben bei Marathon", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws und auch Het Nieuwsblad. "Blutbad in Boston", schreibt La Dernière Heure.
Die erste von insgesamt drei Bomben explodierte in Boston gegen 21 Uhr belgischer Zeit. Die meisten Zeitungen haben es denn auch geschafft, noch die ersten Berichte über die Ereignisse zu drucken. Dabei sind die Blätter natürlich nicht auf dem letzten Stand. Aber so viel ist klar: Entlang der Strecke des berühmten Boston-Marathons sind zwei Bomben explodiert; später detonierte vor der örtlichen JFK-Bibliothek ein weiterer Sprengsatz.
Blutiger Marathon schockt USA
De Standaard nennt seinerseits schon Ross und Reiter: "Terror trifft Boston", schreibt das Blatt. "Terroranschlag auf Boston-Marathon", titelt auch Gazet Van Antwerpen. "Amerika unter Schock", schreibt schon La Libre Belgique.
Die Fotos auf vielen Titelseiten sprechen jedenfalls Bände: Chaos, überall Chaos. Man sieht Rauch, Feuer, und eben: Menschen, die in Panik wegrennen; Menschen, die sich weinend in den Armen liegen, wie auf den Titelseiten von Le Soir und Het Nieuwsblad.
Für die Leitartikler kamen die Ereignisse indes zu spät. Thema Nummer eins in den Kommentaren der flämischen Zeitungen ist vielmehr das Ende einer Ära: "Die Busse fahren nicht länger gratis in Hasselt", bringt es Het Belang Van Limburg auf seiner Titelseite auf den Punkt. Die Maßnahme ist 15 Jahre alt und stammte von Steve Stevaert, seinerzeit Bürgermeister von Hasselt und in den neunziger Jahren der populärste Politiker Flanderns. Stevaert war bekannt für seine spektakulären, Aufsehen erregenden Ideen. "Hasselt begräbt Steves größten Coup", so fasst es denn auch Het Laatste Nieuws zusammen. De Morgen spricht seinerseits vom Ende einer Ära: "Mit der Gratis-Ideologie ist Schluss".
Mit den Gratisbussen hat es Hasselt sogar zu Weltruhm gebracht, erinnert sich Het Belang Van Limburg in seinem Kommentar. Journalisten aus dem In- und Ausland berichteten über den fast schon revolutionären Ansatz in der Mobilitätspolitik. Und es war mehr als nur ein Marketing-Coup. Ohne die Gratisbusse wäre Hasselt nie zur viertgrößten Shoppingstadt des Landes geworden. Das Ende eingeläutet haben letztendlich Finanzprobleme. Aber es ehrt insbesondere die sp.a, der ja Stevaert früher angehört, dass sie sich zu diesem Schritt durchringen konnten.
In ihrer abschließenden Beurteilung der Gratis-Politik von Steve Stevaert sind sich die Leitartikler indes nicht einig. De Standaard spricht von einer kommunistischen Herangehensweise. Stevaert wusste ganz genau, dass am Ende immer einer die Rechnung zahlt. Das war bei Stevaert eben nicht der Fahrgast, sondern der Steuerzahler, und zwar weniger der Bürger von Hasselt, sondern viel mehr der flämische Steuerzahler insgesamt. Was für Stevaert wichtig war, musste die Allgemeinheit bezahlen. Diese Zeiten sind jetzt endgültig vorbei. Jetzt gilt: Nur wer bezahlt, kennt den Wert einer Dienstleistung und weiß sie zu würdigen.
Schluss mit Gratis
De Morgen sieht das ganz anders. Klar zahlt immer irgendwer die Rechnung. Doch sind Steuern immer der gerechtere Beitrag. Beispiel Busse: Die Fahrkarte ist für jeden gleich teuer; wenn man den Nahverkehr über Steuermittel finanziert, tragen die Reichen einen größeren Anteil als die Armen. Davon abgesehen sind die Kritiker nicht konsequent. Als Stevaert etwa die Radio- und Fernsehgebühren abschaffte, gab es sogar Applaus. Und hat sich schon mal jemand die Frage gestellt, warum die Nutzung des Straßennetzes gratis ist? Eben weil sie durch Steuern finanziert wird.
Het Laatste Nieuws gibt sich salomonisch. Es ist inzwischen anscheinend zum guten Ton geworden, Steve Stevaert und seine Symbole mit einem zynischen Lächeln zu Grabe zu tragen. Nicht vergessen: Stevaert war in den Neunziger Jahren das, was Bart De Wever heute ist. Seine Kritiker nehmen also erst später Rache, aber ein wichtiger Teil seines Erbes lebt weiter. Stevaert hat etwa in der Mobilitätspolitik entscheidende Akzente gesetzt, die die Richtung vorgegeben haben.
Die kommunalen Kassen sind leer…
Het Nieuwsblad befasst sich seinerseits mit den allgemein leeren Kassen in den flämischen Gemeinden. Vielen Kommunen steht das Wasser bis zum Hals; es droht eine Welle von Entlassungen, die der Löwener Bürgermeister Louis Tobback schon mit einem Ford Genk auf Raten verglich. Eine Erklärung dafür ist, dass es in Flandern zu viele Gemeinden gibt. Alle 308 Kommunen, und seien sie auch noch so klein, müssen heute die ganze Latte an Dienstleistungen anbieten. Eigentlich bedürfe es einer neuen Gemeindefusion wie 1977. Allerdings: Eine flämische Staatsreform dauert offenbar noch länger als eine belgische.
Viele Zeitungen befassen sich heute auch mit der Zukunft des Rentensystems. Die Föderalregierung hat ja jetzt eine hochkarätig besetzte Expertengruppe eingesetzt, die bis zum Frühjahr nächsten Jahres konkrete Reformvorschläge erarbeiten soll.
Das wird auch langsam Zeit, meint L'Avenir in seinem Leitartikel. Belgien hat schon viel zu viel Zeit verloren. 2060 sind die Pensionen, wenn sich nichts ändert, unbezahlbar.
2060: In Sachen Pensionen ist das morgen
Gazet Van Antwerpen spricht seinerseits vom so- und sovielten "Showcase". Zum x-ten Mal macht sich eine Regierung daran, die Renten zu sichern. Produziert wurde bislang aber lediglich heiße Luft; oder ein denkwürdiger Auftritt eines betrunkenen Pensionsministers, der jahrelang ein Hit auf youtube war. Inzwischen ist es fünf nach zwölf. Hoffentlich ist dieser Anlauf der richtige.
De Standaard ist da eher zuversichtlich. Das Blatt nennt fünf Gründe, warum die Arbeitsgruppe über die Zukunft der Pensionen erfolgreich sein kann. Beispiele: Der Kommission gehören wirklich ausgewiesene Experten an; und die Gewerkschaften sitzen nicht mit am Tisch.
Voyeurismus mit Moralkeule
Die frankophonen Zeitungen beleuchten ihrerseits die jüngsten Ereignisse in Frankreich, wo ja jetzt die Minister der Regierung ihre Besitztümer offen legen mussten. Transparenz ist bestimmt wichtig und auch gesund, bemerkt etwa Le Soir. Wird allerdings Transparenz bis zum Exzess praktiziert, dann leitet das Ganze in Demagogie und Populismus ab. Die Art und Weise, wie Präsident Hollande jetzt als Reaktion auf die Affäre Cahuzac die Moralkeule schwingt, ist lächerlich. Zwar finden zwei Drittel der Franzosen laut Umfragen die Maßnahme gut. Im Endeffekt ist es aber wohl eher ein Ablenkungsmanöver, um die mangelnden Ergebnisse in der Wirtschaftspolitik zu verschleiern.
La Libre Belgique sieht das ähnlich. Die Franzosen sollten sich mal eine Scheibe von den Belgiern abschneiden. Seit Jahren schon müssen politisch Verantwortliche in Belgien die Liste ihrer Mandate offenlegen. Ihre Besitzverhältnisse liegen in einem versiegelten Umschlag beim Rechnungshof. Der kann nur im Zweifelsfall geöffnet werden. Die totale Transparenz "à la française" grenzt jedenfalls an Voyeurismus. Schließlich zählt doch allein die Kompetenz eines Politikers. Und noch etwas: man muss nicht arm sein, um ehrlich zu sein.
Bild: Spencer Platt (afp)