Vorschlag Magnette: Atomausstieg aufgeschoben?
"Die belgischen Atomkraftwerke sollen länger am Netz bleiben" titeln heute fast gleichlautend die Brüsseler überregionalen Zeitungen. Die von der Regierung eingesetzte Expertengruppe, die sich mit dem Energiemix der Zukunft befassen sollte, hat endlich ihren mit Spannung erwarteten Abschlussbericht vorgelegt, berichtet etwa De Morgen.
Das Fazit der Fachleute: Belgien kann kurzfristig nicht auf die Kernenergie verzichten. Normalerweise sollen 2015 die ersten drei der insgesamt sieben belgischen Kernreaktoren vom Netz gehen. Zu diesem Zeitpunkt stünden aber nicht ausreichend Alternative zur Verfügung, heißt es in dem Bericht. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis schlägt Magnette nun also vor, den Beginn des Atomausstiegs um zehn Jahre zu verschieben.
Magnette knüpft die Laufzeitverlängerung aber an Bedingungen. So soll der Stromproduzent Electrabel als Betreiber der Meiler künftig verstärkt zur Kasse gebeten werden. Das Problem: Es gibt noch kein entsprechendes Abkommen, weiß unter anderem De Standaard zu berichten. Man hofft auf einen jährlichen Beitrag von bis zu 300 Millionen Euro. Bislang ist das aber allenfalls ein frommer Wunsch.
Verschiedene Leitartikler gehen mit dem föderalen Energieminister hart ins Gericht. Für Het Laatste Nieuws etwa ist der Gipfel des Zynismus' erreicht. Die Entscheidung über den Atomausstieg kam seinerzeit unter dem Druck der Grünen zustande, die übrigen Partner der damaligen Regenbogenregierung konnten der Forderung getrost zustimmen, sie wussten ja schließlich, dass sie die Maßnahmen nicht umsetzen mussten. Jetzt wird der Atomausstieg mal einfach so wieder rückgängig gemacht, unter dem Vorwand, eine bislang noch hypothetische Abgabe von Electrabel könne zur Haushaltssanierung beitragen. Die belgische Politkaste hat sich damit noch einmal selbst übertroffen.
Fehlt der politische Wille zum Ausstieg?
Auch Le Soir findet deutliche Worte angesichts des Vorschlags von Paul Magnette. Wer sich von dem Vorschlag überrascht gibt, ist ein Heuchler. Der 2002 in ein Gesetz gegossene Atomausstieg war von Anfang an nur Maskerade. Es galt, die Grünen zu kaufen, die 1999 den Atomausstieg zur Grundbedingung für eine Regierungsbeteiligung gemacht hatten. Warum sollte sich die heutige Regierung mit dem Problem des Atommülls auseinandersetzen, wenn sie noch nicht mal sicher ist, dass sie den Winter übersteht? Und ganz nebenbei wurden den Grünen mal wieder die Hörner aufgesetzt.
Grüne sauer: Rücknahme des Ausstiegsplans Verrat
"Die Grünen sind grün vor Wut", fügt denn auch Vers l'Avenir hinzu. Energieminister Magnette habe keine Untersuchung bestellt, sondern Ergebnisse, zitiert das Blatt die Ecolo-Fraktionsvorsitzende Muriel Gerkens. Den Atomausstieg jetzt zu verschieben, sei nicht mehr und nicht weniger als Sabotage, um nicht zu sagen Verrat.
Dieselsteuer-Erhöhung: Umweltschutz oder Geldschneiderei?
Stichwort Umwelt: Het Nieuwsblad kommt noch einmal auf die Diskussion in den letzten Tagen über eine mögliche drastische Erhöhung des Dieselpreises zurück. Der zuständige Staatssekretär Bernard Clerfayt hatte in diesem Zusammenhang einen Moment lang über einen Aufschlag von bis zu 20 Cent je Liter nachgedacht.
Hier handelt es sich allenfalls um grüne Feigenblätter, meint die Zeitung in ihrem Leitartikel. Mit Umweltschutz hat das nichts zu tun, hier geht es darum, die Staatskassen zu füllen. Inzwischen ist von einer Erhöhung um vielleicht vier Cent die Rede. Paradoxerweise kommt das der Regierung zupass. Es geht nicht darum, dass jeder sein Dieselfahrzeug abschafft, sondern dass möglichst viele Menschen den etwas teureren Diesel tanken.
Europa bangt: Irland stimmt über Lissabonvertrag ab
Viele Zeitungen blicken heute mit gemischten Gefühlen nach Irland. Die Iren müssen heute zum zweiten Mal über den EU-Reformvertrag von Lissabon abstimmen. Sagt die grüne Insel ein zweites Mal nein, dann ist auch dieses Reformwerk Geschichte, bemerkt unter anderem La Libre Belgique. Das Beängstigende dabei: Der Vertrag ist eigentlich für Parlamente geschrieben. Es ist eben ein Vertrag, ein technisch hyperausgefeilter Rechtstext. Für den Normalsterblichen ist der Vertrag dagegen ungenießbar. Für die Bürger könnte das am Ende wieder Grund genug sein, die Abstimmung eher als Gelegenheit zu betrachten, ihrer Regierung einen Denkzettel zu verpassen.
Drei Millionen Iren drohen schon wieder 500 Millionen Europäer als Geisel zu nehmen, beklagt seinerseits De Standaard. Man darf hier getrost die Frage stellen, ob Basisdemokratie wirklich immer demokratisch ist. Es kann doch nicht sein, dass möglicherweise am Ende innenpolitische Streifragen in Irland über das Schicksal und die Zukunft der Europäischen Union mit 27 Mitgliedsstaaten entscheiden.
Hoffnungsbarometer Opelwerk Antwerpen
Gazet van Antwerpen sieht schließlich wieder einen Hoffnungsschimmer für das Opelwerk in der Scheldestadt. Im deutschen Wiesbaden hat der neue Opelbesitzer Magna gestern den Gewerkschaften versprochen, alles daran zu setzen, kein europäisches Opelwerk zu schließen. Hier handelt es sich aber allenfalls um eine Absichtserklärung, warnt das Blatt. Dem Autobauer steht eine Rosskur bevor. Noch steht kein neues Auto auf den Antwerpener Bändern. Und man kann eine Fabrik auch offenhalten mit einer Belegschaft von 300 Mitarbeitern.