Habran-Prozess muss neu aufgerollt werden
"Der Kassationshof ordnet eine Neuauflage des Habran-Prozessses an", titelt heute De Morgen. "Alles wieder von vorn!" meint Vers l'Avenir auf Seite 1. Het Nieuwsblad bemerkt auf seiner Titelseite giftig: "Habran Prozess - 5 Millionen Euro gehen in die Gosse".
Der Kassationshof hat gestern die Verurteilung von vier Angeklagten im Habran-Pozess für nichtig erklärt. Der Grund: Der Schuldspruch war nicht motiviert, das Gericht hat nicht ausgelegt, wie es zu seinem Urteil gekommen ist. Wie unterer anderem De Morgen berichtet, hat aber der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg genau das von Belgien verlangt. Demnach hat ein Angeklagter das Recht zu wissen, warum man ihn für schuldig hält. Das Resultat dieser Juristereien kommt aber erst einmal einer enormen Verschwendung gleich, beklagt etwa Gazet van Antwerpen. Es ist ausgerechnet der längste und auch teuerste Prozess der belgischen Rechtsgeschichte, der jetzt mit einem Mal für ungültig erklärt wurde. Und die Neuauflage des Prozesses soll ausgerechnet in Brüssel stattfinden, wo erhebliche Investitionen nötig sein werden, um die Sicherheit zu gewährleisten, fügt De Standaard verbittert hinzu. Dabei sei das Urteil des Kassationshofes durchaus vorhersehbar gewesen, ärgert sich Le Soir in seinem Kommentar. Die Lütticher Justiz hätte vorausschauender agieren müssen. Das Urteil im Habran-Prozess fiel im März, da war der Rüffel aus Straßburg schon drei Monate bekannt. Die Straßburger Forderung nach einer Begründung von Schuldsprüchen hing wie ein Damoklesschwert über dem Lütticher Mammutprozess. Um die Bombe zu entschärfen, hätte man in der Maasstadt auf jeden Fall etwas Kreativität an den Tag legen müssen. Auch La Libre Belgique spricht in ihrem Kommentar von einer schallenden Ohrfeige für die belgische Justiz. Die Schuld dafür liegt aber nicht allein beim Lütticher Schwurgericht. Zum fraglichen Zeitpunkt konnte man sich nämlich auf ein Urteil der flämischen Kammer des Kassationshofes berufen, das die Straßburger Forderung zunächst ignorierte. Erst später hat der Kassationshof dieses Urteil revidiert. Das ist aber allenfalls ein Grund mehr, die ohnehin geplante Reform der Schwurgerichtsprozedur schneller voranzutreiben.
Spekulation? Regierung beteiligt sich an Kapitalerhöhung BNP Paribas
Weiteres Schwerpunktthema ist heute die Entscheidung der Föderalregierung, sich an einer Kapitalerhöhung bei der französischen Großbank BNP Paribas zu beteiligen. Der belgische Staat ist ja seit der Rettung der Fortis-Bank der größte Aktionär des Pariser Geldhauses. Jetzt allerdings verhält sich die Regierung wie ein gewöhnlicher Spekulant, meint die Börsenzeitung De Tijd in ihrem Leitartikel. In Zeiten leerer Staatskassen hätte sich die Regierung vornehm zurückhalten sollen. Statt 200 Millionen Euro mitzunehmen, zog sie es vor, auf bessere Zeiten zu warten, um einen höheren Gewinn aus dem Verkauf der Anteile zu erzielen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine Pferdewette, und so etwas macht man nicht mit Steuergeldern.
Auch Het Laatste Nieuws hat Bauchschmerzen angesichts der Entscheidung der Regierung. Nun gut: Der belgische Staat erwirbt Aktien zum Preis von 40 Euro, wobei der Kurs derzeit bei 55 Euro steht. Nur darf man nicht vergessen: Noch Anfang des Jahres waren BNP Paribas-Aktien gerade einmal 20 Euro wert. Das Risiko ist einfach zu groß. Het Belang van Limburg sieht das anders: Das Vorgehen der Regierung ist finanziell gesehen eine Nulloperation. Zwar kauft man Aktien, finanziert wird das Ganze aber über den Verkauf von Stimmrechten. Kurzfristig hätte der Staat vielleicht ein bisschen Geld verdienen können; jetzt abzuwarten, und zwar ohne die Staatskasse weiter zu belasten, ist aber wohl eine durchaus vernünftige Einstellung.
Bei all dem handelt es sich ja um die Nachwehen des Beinahe-Crashs der belgischen Bankenwelt vor genau einem Jahr. Und in diesem Zusammenhang berichtet die Brüsseler Tageszeitung Le Soir heute auf ihrer Titelseite, dass die Regierung offenbar eine neue Bankenaufsicht ins Leben rufen will. Die soll zwei Kernaufgaben haben. Erstens: Investoren und Sparer sollen noch besser geschützt werden. Und zweitens: Die neue Bankenaufsicht soll Prozeduren ausarbeiten, die im Ernstfall die Rettung von Geldhäusern vereinfachen.
Milde für reuige Steuersünder
A propos Geld: De Standaard übt heute harsche Kritik an Finanzminister Didier Reynders. Zuvor war bekannt geworden, dass der Staat offensichtlich nur sehr harmlose Strafen verhängt für diejenigen, die ihr Schwarzgeld aus Steuerparadiesen zurück nach Belgien transferieren. Die Buße beläuft sich demnach auf drei bis fünf Prozent der Gesamtsumme. Das ist fast schon ein schlechter Witz, meint das Blatt, in jedem Fall eine Ohrfeige für den normalen Steuerzahler. Reynders behauptet, von all dem nichts zu wissen, doch das nimmt ihm keiner ab.
Sozialkonflikt bei der Post: Noch mehr Streiks
Die meisten Tageszeitungen befassen sich heute schließlich mit dem schwelenden Sozialkonflikt bei der Post. Hauptstreitpunkt: Der Staatsbetrieb will künftig auf so genannte Revierpostboten zurückgreifen, die zu deutlich schlechteren Bedingungen arbeiten müssten. Die Atmosphäre ist längst vergiftet, notiert dazu La Dernière Heure. Direktion und Gewerkschaften reden nicht mehr miteinander. Immer mehr Postbedienstete legen die Arbeit nieder. Für Vers l'Avenir ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu einem allgemeinen Streik bei der Post kommt.
Roger Pint