„Strafrechtliche Ermittlungen gegen Francine De Tandt“, titelt heute La Libre Belgique. Der Brüsseler Appellationshof hat gestern beschlossen, ein Ermittlungsverfahren gegen De Tandt einzuleiten. Die Präsidentin des Brüsseler Handelsgerichtshofs wird der Bestechlichkeit und der Urkundenfälschung bezichtigt. Jetzt wurde ein Untersuchungsrichter auf die Angelegenheit angesetzt, berichtet auch De Morgen. Dies, nachdem eine Voruntersuchung offensichtlich ausreichend Beweise erbracht hat, um einen solchen Schritt zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang bemerkt De Tijd auf seiner Titelseite, dass die Affäre De Tandt offensichtlich beileibe nicht aus heiterem Himmel kommt. Seit 2004 hat demnach die Brüsseler Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben dutzende Male die Integrität der Magistratin offen in Frage gestellt. Trotz allem hat die Brüsseler Generalstaatsanwaltschaft es nie für nötig befunden, dem Anfangsverdacht nachzugehen.
Die Affäre um die Magistratin, die im besten Fall unvorsichtig und im schlimmsten Fall korrupt war sorgt auch in Regierungskreisen für Unruhe. „Die Regierung befürchtet eine zweite Fortis-Gate-Affäre“, titelt heute in Blockbuchstaben De Standaard. Hintergrund: Francine De Tandt war bereits in erster Instanz die vorsitzende Richterin im Prozess um den Verkauf der Fortis-Bank. Doch sind inzwischen auch Richter der zuständigen Berufungsinstanz im Zuge der Ermittlungen gegen De Tandt ins Zwielicht geraten. Da darf man sich langsam die Frage stellen, ob die Brüsseler Justiz überhaupt noch dazu im Stande ist, sich selbst zu säubern, meint De Standaard in seinem Kommentar. Es dauert nicht mehr lange, bis im Fahrwasser der Brüsseler Justizaffären auch die Fortis-Gate-Affäre wieder auf den Tisch kommt. Und dann könnte sich auch der parlamentarische Ausschuss, der sich mit der Sache befasst hat, dazu berufen fühlen, seine Arbeiten wieder aufzunehmen. Damit wäre eine neue Phase der politischen Lethargie vorprogrammiert.
Auch andere Zeitungen befassen sich einmal mehr mit dem Zustand der Justiz in diesem Land. Anlass ist ein Verbrechen, das sich in der Nähe von Sint Niklaas bei Antwerpen zugetragen hat. Ein gerade aus der Haft entlassener Serienvergewaltiger hat dort wieder zugeschlagen. Er vergewaltigte eine 20-jährige Frau, die er dabei fast tötete. Der Fall sorgt in der flämischen Presse für einen Sturm der Entrüstung. Juristisch ist hier zwar alles in Ordnung, meint etwa Het Nieuwsblad. Der Mann hat seine Haftstrafe in voller Länge abgesessen. Das Problem: in diesen fünf Jahren im Gefängnis ist er noch nicht einmal ansatzweise in den Genuss einer Therapie gekommen. Dies obgleich er selbst darum gebeten hatte. Dass ein Triebtäter wie er nach seiner Freilassung wieder rückfällig wird, darf da doch niemanden verwundern. Angesichts des derzeitigen Zustands im Gefängniswesen, wird sich daran wohl so schnell nichts ändern. Ergo: schon morgen könnte wieder ein Vergewaltiger freigelassen werden, der dann Übermorgen wieder zuschlägt.
Het Laatste Nieuws widmet dem Fall ebenfalls einen wütenden Leitartikel. Schlimmer geht‘s kaum noch, flagranter kann nicht mehr der Beweis für die Inkompetenz und die Ohnmacht des Justizwesens erbracht werden. Der Mann hätte noch fünf weitere Jahre im Gefängnis sitzen können; wenn er keinen Arzt zu Gesicht bekommt, dann hätte auch das nichts geändert. Dieser Sommer hat nahezu alle Problemfelder der Justiz offen gelegt. Der Justiz fehlt es an Geld, mag sein, doch ist das nur ein Indiz dafür, dass es der Politik an Interesse fehlt. Den Preis dafür hat das Opfer gezahlt.
Viele Zeitungen widmen sich heute auch der zweiten großen Baustelle, der wirtschaftlichen und budgetären Lage.
Einige Blätter bringen ein Interview mit dem Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes FEB, Rudi Thomaes, der appelliert in Vers l'Avenir an die Politik. Mehr denn je brauchen wir jetzt eine handlungsfähige Regierung; gemeinschaftspolitische Probleme können wir uns nicht leisten.
Auch De Tijd warnt in seinem Leitartikel davor, den Tag vor dem Abend zu loben. Die belgischen Betriebe haben in den letzten Tagen
Hoffnungsvolle Zwischenergebnisse vorgelegt. Zum Aufatmen ist es aber noch zu früh. Nicht mehr die aussichtslose wirtschaftliche Lage ist die Gefahr; viel gefährlicher wäre es zu glauben, dass die Gefahr vorüber ist.
Die Regierungen dieses Landes haben derweil ihre Herausforderungen noch vor sich. Es gilt, ein gigantisches Haushaltsloch zu stopfen. In diesem Zusammenhang übt La Libre Belgique harsche Kritik am früheren wallonischen Haushaltsminister Michel Daerden; er hatte vor nicht all zu langer Zeit die Maxime ausgegeben, den Haushalt „laufen zu lassen“. Das ist gelungen: die Budgets der Wallonie und der französischen Gemeinschaft haben den Boden durchschlagen. Von Daerdens Nachfolger André Antoine, darf man jetzt mehr Ernsthaftigkeit erwarten.
Le Soir schließlich befasst sich mit dem jüngsten Maßnahmenpaket von Gesundheitsministerin Onkelinx zur Bekämpfung der Schweinegrippe. U.a. soll vorgesehen werden, dass etwa medizinisches Personal notfalls zwangsverpflichtet werden kann, um dort zu helfen wo Not am Mann ist. Außerdem wurden 12 Millionen Impfdosen gegen die Schweinegrippe bestellt. Das mag übertrieben anmuten, ist aber angemessen, meint Le Soir. Auf der einen Seite gibt es derzeit keinen Grund zur Panik; dennoch ist es richtig, wenn eine Regierung vorsichtshalber mit dem Schlimmsten rechnet.