Justizpalast löchrig, Justizpersonal unbewaffnet
Het Laatste Nieuws titelt hierzu: "Frei in 30 Sekunden". Es sei beschämend, notiert das Blatt: Zum dritten Mal seien in nur zwei Wochen gefährliche Schwerverbrecher getürmt. Gestern seien drei Banditen in nur dreißig Sekunden aus dem Brüsseler Justizpalast entkommen.
Zwei maskierte und bewaffnete Komplizen waren in den Gerichtssaal gestürmt und hatten so den der dort zur Verhandlung anwesenden Kriminellen den Weg in die Freiheit geebnet, schreibt Het Laatste Nieuws. Erneut müssten Fehler bei der Justiz als Ursache für die Flucht ausgemacht werden.
Die drei gestern geflüchteten Verbrecher seien erneut "schwere Jungs". Die Männer riskierten zwanzig Jahre Freiheitsentzug wegen versuchten Totschlags. Trotzdem seien sie dem Richter vorgeführt worden, als seien es gewöhnliche Strauchdiebe. Besondere Sicherheitsmaßnahmen waren für den Gerichtstermin der drei gestern geflüchteten Straftäter nämlich nicht getroffen worden.
Für De Morgen ist die Sicherung des Justizpalastes in Brüssel seit Jahren lückenhaft, oder, wie die Zeitung es ausdrückt, "löchrig wie ein Sieb". Während Justizminister De Clerck dem Gebäude die Schuld zuschiebt, verspricht der verantwortliche Ressortchef gleichzeitig eine Verbesserung der Situation.
Die Gewerkschaften des Wachpersonals im Brüsseler Gerichtsgebäude sind derweil rasend, schreibt De Morgen. Die Wachdienste könnten, da sie unbewaffnet sind, bei Vorfällen, bei denen wie gestern Schusswaffen gebraucht werden, nichts ausrichten und wären in den Sommermonaten zudem auch noch personell unterbesetzt.
Überdies fordern die Gewerkschaften, dass die Wachleute im Gericht zumindest ansatzweise über die Personen, die einem Richter vorgeführt werden, informiert sind, so dass ein einfacher Dieb von einem Schwerverbrecher unterschieden werden kann.
Opposition: De Clerck verantwortlich
Gazet van Antwerpen hat das Thema ebenfalls auf der Titelseite und notiert, dass die Ausbruchswelle kein Ende nehmen wolle. Die Antwerpener Tageszeitung zitiert Justizminister De Clerck indes mit den Worten: "Der Brüsseler Justizpalast ist nicht zu sichern".
Schwere Kritik bezieht der Minister von Oppositionspolitiker Renaat Landuyt. Der flämische Sozialist und SP.A-Justizspezialist weist die Verantwortung für die gestrige Flucht klar Stefaan De Clerck zu. Im Ausland würde man das gestrige Szenario für einen Film als zu surrealistisch abtun, hier in Belgien gebe es solche Vorfälle tatsächlich.
Der mit der Fahndung nach den gestern geflüchteten Straftätern betraute Polizeidirektor ist derweil überzeugt, dass die Verbrecher wieder gefasst werden.
Zu surreal für Hollywood - in Belgien Realität
Het Nieuwsblad bemerkt zu diesem Thema, dass mit der Flucht gestern die Zahl der Ausbrüche von Straftätern aus dem Justizpalst in Brüssel für dieses Jahr bereits auf 39 geklettert ist. Auch diese Zeitung schreibt, dass das Gerichtsgebäude durchlässig wie ein Sieb sei.
Kommentierend notiert das Blatt im Leitartikel, dass die gestrigen Vorfälle selbst für Hollywood zu unrealistisch wären, hierzulande aber fast an der Tagesordnung seien. Darum wäre der Ruf nach Rücktritt des Justizministers auch nicht so lächerlich, wie der Betroffene selber es gestern in einem Fernsehinterview abgetan habe.
Fehleinschätzung der Sicherheitslage im Gerichtsgebäude
Für De Standaard ist die gestrige Flucht aus dem Gerichtsgebäude in der Hauptstadt nicht mehr zu erklären. Zum dritten Mal seien in diesem Sommer gefährliche Straftäter aus den Händen der Justiz entkommen. Für Justizminister De Clerck werde es deshalb immer schwieriger, die Vorfälle zu erklären.
De Standaard zitiert hierzu auf der Titelseite einen Sicherheitsexperten, der die gestrige Flucht mit einem schwerwiegenden Fehler bei der Einschätzung des Risikos einer Verhandlung mit Schwerverbrechern in Verbindung bringt. Wer ein Vorstrafenregister wie die drei gestern Geflohenen hat, der sei ein Sicherheitsrisiko. Dieses aber war von den Wachleuten gestern nicht erkannt worden.
Andererseits müsse man feststellen, dass auch der Zugang zu einem Gerichtssaal für Außenstehende mit Schusswaffen unerklärlich ist.
Justizminister de Clerck: Ausbrüche pflastern seinen Weg
"Acht Ausbrüche in dreizehn Tagen. Es reicht!" titelt La Dernière Heure. Diesmal sei es der Brüsseler Justizpalast gewesen, aus dem Verbrecher am helllichten Tage fliehen konnten. Schon letzte Woche habe man die Alarmglocke geläutet, weil in der Ferienzeit nur unzureichend Wachpersonal in dem Gerichtsgebäude anwesend sei, so schreibt die Dernière Heure.
Im Leitartikel notiert das Blatt, dass das Maß voll sei. Auch bei der Flucht eines gewissen Marc Dutroux aus dem Gerichtsgebäude von Neufchäteau sei Stefaan De Clerck Justizminister gewesen. Damals sei er durch diesen Vorfall zum Rücktritt gezwungen gewesen.
Elf Jahre später werde der gleiche Stefaan De Clerck erneut mit einer Ausbruchsserie konfrontiert, allerdings müsse man einräumen, dass der Justizminister nicht die alleinige Verantwortung hierfür trage. Es sei vielmehr ein ganzes System, das revisionsbedürftig sei.
Auch La Libre Belgique geht auf der Titelseite und im Leitartikel auf die Vorgänge ein und notiert, dass früher bei sensiblen Gerichtsverfahren Polizisten im Saal waren, und damals solche Verhandlungen wie die gestern problemlos über die Bühne gingen.
Heute würde man bei Schauprozessen wie denen von Dutroux oder Habran Gerichtsgebäude zu Festungen umbauen, weniger spektakuläre Verhandlungen aber ohne jegliche Sicherheit abgewickeln.
Tamiflu: Zu Risiken und Nebenwirkungen…
Le Soir schließlich macht heute mit einem anderen Thema auf: Muss man sich vor dem Antigrippemittel Tamiflu, das auch bei der derzeit akuten Schweinegrippe eingesetzt wird, fürchten? Das Medikament habe nämlich bei der Hälfte der an dem Grippevirus A/H1N1 erkrankten Kinder schwere Nebenwirkungen verursacht.