"Geheimes Geld: Weltweite Offenlegung", titelt Le Soir. "Sturmwarnung über Steuerparadiesen", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Datenleck bedroht Steueroasen", schreibt das Grenz-Echo auf Seite eins. Ausnahmslos alle Zeitungen berichten heute in großer Aufmachung über den so genannten Offshore-Leaks-Skandal. Eine Festplatte mit Daten über Steuerparadiese wurde dem internationalen Konsortium der Enthüllungsjournalisten zugespielt. Darauf gespeichert: 2,5 Millionen Dateien mit Angaben über 140.000 Offshore-Firmen in Steuerparadiesen, die in der Regel dazu dienen, das Geld vor dem heimischen Fiskus zu verstecken.
De Standaard spricht auf seiner Titelseite vom größten Betrugs-Leck aller Zeiten. Rund 130.000 Menschen mit einem Bankkonto in einer Steuer-Oase stehen mit heruntergelassener Hose da, bemerkt das Blatt.
Dunkle Wolken über Steuerparadiesen
Das Börsenblatt L'Echo stellt sich in seinem Leitartikel aber die Frage nach den Motiven, die dahinter stecken. Kein Presseleck fällt vom Himmel. Wer also hatte ein Interesse daran, die geheimen Daten der Presse zuzuspielen? Was natürlich nicht heißt, dass die Veröffentlichung der Daten nicht positiv wäre. Und glücklicherweise hat es zumindest die belgische Presse vermieden, die Namen aller Belgier auf den Marktplatz zu werfen. Es gilt schließlich die Unschuldsvermutung.
Auch L'Avenir warnt vor einer automatischen Assoziation: Nicht jeder Inhaber eines Kontos in der Karibik ist gleich ein Steuerbetrüger. Hier ist aber die Arbeit der beteiligten Journalisten hervorzuheben, die die Daten systematisch abgeklopft und überprüft haben. Wie man sieht, ist die Arbeit von Journalisten mehr denn je von wesentlicher Bedeutung.
Die Daten, die Belgier betreffen, wurden exklusiv von der Brüsseler Tageszeitung Le Soir aufgearbeitet und analysiert. Das Blatt veröffentlicht heute erste Namen von Belgiern, die in den Akten auftauchen. Genannt wird ein Geschäftsmann, der auf die Errichtung von Offshore-Firmen spezialisiert ist, sowie ein Antwerpener Diamantenhändler. Le Soir bleibt aber dabei: In den Offshore-Leaks-Daten findet sich kein belgischer Politiker und auch kein Chef eines BEL20 Unternehmens. Auch L'Echo kann nur feststellen, dass nicht wirklich viele Prominente am Pranger stehen. Vielmehr haben überraschend viele Anonyme ihr Geld in Steueroasen geparkt. Genau diesen Umstand hebt auch Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite hervor: In den Offshore-Leaks-Dateien gibt es unter den Superbetrügern viele kleine flämische Selbständige.
Belgier in der Steuer-Oase?
Insgesamt ist von rund 100 Belgiern die Rede. Und die Jagd auf diese 100 mutmaßlichen Betrüger ist eröffnet, unterstreicht Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "Staatsanwaltschaft will Belgier in Steuerparadiesen aufspüren", titelt auch Gazet van Antwerpen. Im schlimmsten Fall droht dem überführten Steuersünder eine Haftstrafe von fünf Jahren, zitiert Het Laatste Nieuws den zuständigen Staatssekretär für Betrugsbekämpfung, John Crombez.
Der linksliberalen flämischen Zeitung De Morgen ist angesichts des Offshore-Leaks-Skandals ganz offensichtlich der Kragen geplatzt: "Es gibt 25 Billionen gute Gründe, die Steuerparadiese endlich anzupacken", so die Schlagzeile auf Seite eins. 25 Billionen, also 25.000 Milliarden Euro, so viel Geld soll nämlich in den Steueroasen weltweit versteckt sein.
Was wäre wenn…? Eurokrise gelöst!
De Morgen veröffentlicht dazu einen wütenden Leitartikel, ausnahmsweise sogar auf der Titelseite. 25 Billionen Euro, das entspricht dem, was in EU innerhalb von zwei Jahren produziert und gehandelt wird. Selbst eine bescheidene Quellensteuer von zehn Prozent würde noch einen Ertrag von 2,5 Billionen Euro erbringen. Damit wäre die Eurokrise mit einem Mal Geschichte. Doch sind die Superreichen offensichtlich noch nicht mal dazu bereit, ein Fünftel der Steuern zu zahlen, die der brave und naive Arbeitnehmer abführt. Besagte Superreiche beteiligen sich faktisch nicht an unserer Gesellschaft. In dem sie sich der Steuer entziehen, leisten sie keinen Beitrag, etwa für Infrastruktur, Gesundheitswesen, oder Unterricht. So kann es nicht weitergehen. Schließlich geht es hier um die Grundfesten unseres Zusammenlebens.
Le Soir schlägt in dieselbe Kerbe. Wer sich dem Fiskus entzieht, der verrät seine Bürgerpflicht, der bricht den moralischen Vertrag, wonach jeder einen Beitrag für die Gesellschaft leistet, in der er lebt. Gerade jetzt, in diesen Krisenzeiten, haben wir das Recht, auch und vor allem von hochplatzierten Leuten eine höher stehende Moral zu erwarten. Denn darum geht’s. Selbst wenn sich herausstellt, dass gewisse Offshore-Konstruktionen vielleicht legal waren - mit Moral hat das nichts zu tun.
Politik gefragt
In dieser Geschichte sind die Namen der Steuersünder eher unerheblich, glaubt La Libre Belgique. Hier geht es ums große Ganze. Schockieren ist vor allem, wie viel Energie gewisse Leute darauf verwenden, dem Fiskus zu entfliehen. Offensichtlich glauben diese Menschen, dass Steuern nur der Schikane dienen. Diese faktischen Sonderrechte, die sich da eine Handvoll Superreiche herausnimmt, sind unerträglich.
Deswegen sehen viele Leitartikler jetzt auch die Politik am Zug. Die Staaten, angefangen in der EU, müssen endlich ihre Steuersysteme aufeinander abstimmen, fordert etwa De Standaard. Daran hat gestern auch noch einmal die EU-Kommission erinnert. Von einem halbwegs gemeinsamen EU-Steuerrecht sind wir aber leider noch meilenweit entfernt. Bis auf weiteres müssen wir also mit dem sogenannten Matthäus-Effekt leben: Wer schon viel hat, der bekommt noch mehr.
Die Politik hat offensichtlich in den letzten fünf Jahren geschlafen, konstatiert auch La Dernière Heure. 2008, direkt nach Ausbruch der Finanzkrise, haben die Mächtigen der Welt mit der Hand auf dem Herzen versprochen, dass die Welt künftig eine bessere sein werde. Regulierung der Finanzmärkte, Trockenlegung der Schwarzgeldkanäle, das waren die Zauberworte. Fünf Jahre später muss man feststellen, dass sich nichts getan hat.
Für Het Nieuwsblad bewegt sich aber etwas. In letzter Zeit ist in Europa, aber auch in den USA und den G20-Staaten eine gesteigerte Sensibilität für das Thema Steuerhinterziehung zu beobachten. Offensichtlich geht immer mehr Leuten auch auf höchster Ebene auf, dass es in diesen Krisenzeiten nicht sein kann, dass einige wenige ungeschoren davonkommen.
Archivbild: Bruno Fahy (belga)