Auftakt der Koalitionsverhandlungen im Schatten des Haushaltslochs
„Der Olivenbaum hat einen budgetären Klotz am Bein“ titelt heute die Brüsseler Tageszeitung Le Soir. L'Echo meint auf Seite 1: „Der wallonischen Region und der französischen Gemeinschaft fehlt insgesamt eine Milliarde Euro. Heute beginnen offiziell die Verhandlungen im Hinblick auf die Bildung neuer Koalitionen im frankophonen Landesteil und in Brüssel. Traditionell bildet eine haushaltspolitische Bestandsaufnahme den Auftakt. Es gilt zu ermitteln was möglich und was nötig ist. In diesem Zusammenhang stehen die Zeichen auf Sturm. Bei unveränderter Politik wird die wallonische Region im kommenden Jahr ein Defizit von 400 Millionen Euro aufweisen, berichtet Le Soir. Für die Französische Gemeinschaft kommt es noch schlimmer: 2010 werden wohl 600 Millionen Euro fehlen. Damit ist der Spielraum des wohl künftigen Olivenbaums äußerst begrenzt.
Die Genesis des Olivenbaums
Die Entscheidungen der letzten Tage sind wohl auch nur vor diesem Hintergrund zu verstehen, meint Gazet van Antwerpen in ihrem Kommentar. Auch im südlichen Landesteil wird man den Gürtel enger schnallen müssen. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Ecolo und cdH sich am Ende für die PS entschieden haben. Anderenfalls wäre das für die beiden kleinen Parteien einem politischen Selbstmord gleichgekommen. Man stelle sich vor: Ecolo und cdH, in ihrem Wesen ebenfalls linke Parteien, hätten Sparmassnahmen beschließen müssen, während die PS komfortabel an der Seitenlinie gestanden hätte, und auf alles geschossen hätte, was sich bewegt. Es ist also eine Vernunftheirat.
Genau das wissen die Grünen nur zu gut, notiert im selben Zusammenhang La Derniere Heure. Das Gesicht von Ecolo Co-Präsident Jean-Michel Javaux sprach Bände, als er die angestrebte Liaison mit der PS bekannt gab. Nicht umsonst gab der Grünen-Chef zu verstehen, dass es bis zur Unterschrift unter ein Olivenbaumabkommen noch ein weiter Weg ist und dass die Verhandlungen nicht notwendigerweise von Erfolg gekrönt sein müssen. Javaux hat am Montag in gewisser Weise seine Unschuld verloren. Er hat richtungsweisende Entscheidungen treffen und damit den Habitus eines Politikers anlegen müssen.
Und nicht wenige machen es den Grünen zum Vorwurf, dass sie sich am Ende für die PS entschieden haben, bemerkt La Libre Belgique.
Dass die Sozialisten voraussichtlich in Namur und Brüssel weiter mit im Boot sitzen, das haben sie wohl nur ihrem Vorsitzenden Elio Di Rupo zu verdanken. Di Rupo hat es meisterhaft verstanden, die PS im Rennen zu halten. Er glänzte durch Geduld, Kompromissbereitschaft und vor allem Bescheidenheit.
Die Botschaft des 7.Juni
Doch dürfen die Sozialisten eins nicht vergessen, warnt Le Soir: erst der Wähler und dann die Grünen haben der PS eine letzte Chance gegeben. Jetzt müssen die Sozialisten dringend mit dem eisernen Besen durch die eigenen Reihen gehen. Die Tatsache, dass sie jetzt doch wieder an der Mehrheit beteiligt werden, darf nicht zu Arroganz führen und den Sozialisten die Augen vor der wahren Botschaft des 7. Juni verschließen. Und die lautet: Schluss mit den Skandalen! Elio Di Rupo muss jetzt die Situation beim Schopf packen: er kann sich jetzt hinter dem Olivenbaum und vor allem hinter den Grünen verstecken, um in seiner Partei aufzuräumen.
Das Schicksal von Didier Reynders
Ein Mann ist dabei eindeutig Verlierer auf der ganzen Linie: MR-Chef Didier Reynders. Erst bekommt er bei der Wahl einen Denkzettel, und jetzt werden die Liberalen voraussichtlich auch noch in Brüssel und Namur in der Opposition landen, bemerkt De Morgen. Dadurch gerät der bislang allmächtige MR-Chef parteiintern mächtig unter Druck. Und das vollkommen zu Recht, meint die links-liberale Zeitung. Erstens: die politische Kultur ist bei den Blauen nicht besser als bei den Roten. Zweitens: Didier Reynders ist einer der schlechtesten Finanzminister aller Zeiten. Und drittens: hat Reynders auch noch in Punkto politischer Strategie in Elio Di Rupo seinen Meister gefunden.
Für Het Laatste Nieuws gibt es denn auch nur eine Schlussfolgerung: es war Didier Reynders höchst persönlich, der den Olivenbaum gepflanzt hat. Durch seine aggressive Kampagne sorgte er für eine rote Generalmobilmachung. Auf der Zielgeraden schoss er dann auch noch auf Ecolo und die cdH; seine Entschuldigung kam zu spät. Und jetzt ist es also nur normal, dass er parteiintern unter Druck gerät. Die Frage lautet ganz klar: wie lange kann Reynders noch seine beiden Ämter kumuliert ausüben, Parteivorsitzender und Vize-Premier?
Er hat gepokert und verloren, aber er ist noch nicht begraben, analysiert in diesem Zusammenhang Het Laatste Nieuws. Eine Palastrevolte ist bei den Liberalen unwahrscheinlich. Der Clan um Vater und Sohn Michel hält an Reynders fest. Noch jedenfalls. Wenn aber, die Unterschrift unter einem Olivenbaum-Abkommen steht, spätestens dann schlägt für Didier Reynders die Stunde der Wahrheit.