"Premierminister Di Rupo zieht das Sparziel in Zweifel" titelt De Morgen. "Die Strukturreformen, die sich die Regierung nicht anzupacken traut", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. Der neue Papst ist wieder in den Hintergrund gerückt. In Belgien geht es wieder um das Tagesgeschäft. Sprich: die Haushaltskontrolle. Die Regierung muss ja mindestens zwei Milliarden Euro finden, um das mit der EU vereinbarte Sparziel zu erreichen. Es sei denn, man geht flexibler damit um, wie es etwa die frankophonen Sozialisten PS fordern.
In diese Richtung argumentierte jetzt auch Premierminister Di Rupo, wie De Morgen hervorhebt. Belgien hat sich der EU gegenüber verpflichtet, in diesem Jahr das Defizit auf 2,15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken. Am Rande des EU-Gipfels gab jetzt aber Premierminister Di Rupo zu verstehen, dass besagte 2,15 für ihn nicht mehr ein Dogma darstellten. Als dieses Sparziel ausgegeben wurde, sei man nämlich noch von einem Wachstum von 0,7 Prozent ausgegangen. Davon ist Belgien aber meilenweit entfernt. Die anderen Koalitionspartner, vor allem die Liberalen, wollen aber am strikten Sparkurs festhalten.
Katholischer als der Papst?
In jedem Fall dürfte die EU keine Haushaltssanierung akzeptieren, die über so genannte One-shots erfolgt, also einmalige Maßnahmen. Jetzt stehen strukturelle Reformen an, mahnt auch La Libre Belgique und gibt auch gleich eine Reihe von möglichen Beispielen. Fachleute fordern etwa eine Anhebung des Renteneinstiegsalters. Ein Experte stellt sogar einen provokativen Gedanken in den Raum: Muss die Krankenversicherung noch die Kosten für eine Hüftprothese bei Menschen über 85 übernehmen? Sollte man nicht vielmehr in die Vorbeugung von Burn-Out-Erkrankungen investieren? La Libre Belgique befürchtet in jedem Fall, dass es die Regierung nicht wagen wird, wirklich einschneidende Strukturreformen durchzuführen.
Wie bei Asterix und Obelix…
Es wäre ja schon mal begrüßenswert, wenn die Regierung mal endlich zur Sache käme, ärgert sich Le Soir. Bislang weiß man ja nicht einmal, wie viel Geld im Haushalt nun wirklich fehlt. Erst war von einer Milliarde die Rede, dann ging es plötzlich um 2,8 Milliarden, bevor es eine neue Korrektur gab: Jetzt wird das Haushaltsloch auf rund 2 Milliarden Euro geschätzt. Diese Zahlenverwirrung wird zudem begleitet von einer Massenschlägerei, wie man sie aus den Asterix-Comics kennt. Jetzt sollte die Regierung endlich zwei Fragen beantworten: Wie viel Geld muss gefunden werden? Und wie will man das anstellen?
La Libre Belgique stellt sich in ihrem Leitartikel die Frage, ob Premier Di Rupo nicht richtig liegt, wenn er das Sparziel flexibler handhaben will. Das Blatt ist hin und her gerissen. Auf der einen Seite muss die Wirtschaft angekurbelt werden, auf der anderen Seite ist es aber so, dass gerade Belgien mit seiner tonnenschweren Schuldenlast sein Defizit abbauen sollte. Es wäre gefährlich, vom Sparkurs abzurücken. Allerdings: Wenn alle europäischen Länder ihre Disziplin etwas zurückschrauben würden, sollte Belgien nicht katholischer sein als der Papst.
Koen Geens: Jovialer Choleriker?
Passend zur Haushaltskontrolle hat eine zentrale Figur, nämlich der neue CD&V-Finanzminister Koen Geens heute eine wahre Medien-Offensive gestartet. Gleich mehrere Zeitungen bringen ausgiebige Interviews mit dem Nachfolger von Steven Vanackere. Nach dessen überraschenden Rücktritt war Geens quasi vom Himmel gefallen. Ihn hatte kaum jemand auf dem Zettel. "Meine ganze Karriere ist ein großer Zufall", räumt der bisherige Uniprofessor in De Standaard ein. Und wenn einem ein Ministeramt angetragen wird, dann könne man doch nicht Nein sagen.
"Ich bin aber kein unbeschriebenes Blatt", sagt Geens in Het Nieuwsblad. Das Blatt hebt vor allem den Sinn für Humor des neuen Finanzministers hervor. Zwar hat er kein Medientraining absolviert. Das gleicht er aus mit einem breiten Grinsen und gegebenenfalls einem herzerfrischenden Lachen. Er könne aber auch anders, gesteht Koen Geens in Het Laatste Nieuws, manchmal platze ihm der Kragen, könne er richtig, richtig wütend werden. Inhaltlich ist der Finanzexperte aber eher gradlinig: Belgien muss sein Haushaltsdefizit abbauen und dabei möglichst viele strukturelle Reformen durchführen, sagt er in Gazet van Antwerpen. Unter anderem braucht das Land ein deutlich einfacheres Steuerrecht, mahnt der neue Finanzminister in der Börsenzeitung L’Echo.
Schadensbegrenzung bei der CD&V
Das flämische Massenblatt Het Laatste Nieuws veröffentlicht heute eine exklusive Wahlumfrage; dies vor allem, um die Folgen des Skandals um die christliche Arbeiterbewegung zu analysieren. Resultat: "Die CD&V kann den Schaden begrenzen", so die Schlagzeile. Demnach käme die CVD&V auf etwas mehr als 15 Prozent; sie bliebe damit zweitstärkste Partei in Flandern, allerdings weit abgeschlagen hinter der N-VA.
Für die Gegner der CD&V muss das fast schon frustrierend sein, meint Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Selbst die undurchsichtigen Deals der christlichen Arbeiterbewegung zwingen die CD&V nicht in die Knie. 15 Prozent, das ist aber auch kein Resultat, das euphorisch macht. Nach dem Rücktritt des in der Partei sehr populären Steven Vanackere bedarf es jetzt einer neuen Identifikationsfigur. Das wäre wohl Kris Peeters. Allerdings: Wenn Sozialisten, Liberale und auch Nationalisten prinzipiell Kris Peeters ihre Stimme geben würden, so würden sie nie die CD&V wählen. Auch Peeters allein kann die Partei nicht retten.
"Die N-VA verlangt 2014 die totale Autonomie für Flandern", schreibt der weil De Standaard auf Seite eins. Ohne Abkommen über eine Konföderation werde sich die Partei von Bart De Wever nicht an der nächsten Föderalregierung beteiligen, sagt der N-VA-Spitzenpolitiker Geert Bourgeois. Die Frankophonen müssten das zur Kenntnis nehmen.
Dazu passt die Schlagzeile von Le Soir: "Regionen und Föderalstaat streiten sich um die Welt", schreibt die Brüsseler Zeitung. Hier geht es vor allem um den Bereich Außenhandel. Die Regionen wollen hier ihre eigenen Akzente setzen dürfen; der Föderalstaat will aber den Außenhandel nicht ganz loslassen.
Ist De Gelder nun krank oder nicht?
Fast alle Zeitungen beschäftigen sich heute mit dem Prozesstag am Freitag im Verfahren gegen den Massenmörder Kim De Gelder. Im Mittelpunkt standen zwei sich widersprechende psychiatrische Gutachten. De Standaard spricht vom "Kampf um die Psyche von Kim De Gelder". "Krank oder nicht krank", fasst es Gazet van Antwerpen zusammen. "Wie gestört ist De Gelder wirklich?" fragt sich De Morgen. Sowohl der Gerichtspsychiater als auch die von der Verteidigung angestellten Experten sind sich einig, dass Kim De Gelder geistesgestört ist. Allerdings: Für die Staatsanwaltschaft wusste er, was er tat, die Verteidigung plädiert auf unzurechnungsfähig. "Der letzte Zeuge sät Zweifel", so derweil die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. Zuallerletzt wurden nämlich ein Uniprofessor angehört, der das Gehirn von Kim de Gelder untersucht hat. Sein Urteil: De Gelder ist ernsthaft krank.
Das Schauspiel am Freitag im De Gelder-Prozess ist eine absolute Schande, wettert De Standaard in seinem Leitartikel. Das Verfahren hat damit seinen Tiefpunkt erreicht. Denn es ist deutlich geworden, dass die Gerichtspsychiater in Belgien gar nicht ausreichende Mittel besitzen um die Schuldfähigkeit eines potentiell geistesgestörten Angeklagten wirklich zu beurteilen. Nicht umsonst wurde Belgien schon mehrmals auf internationaler Ebene verurteilt, weil hierzulande offensichtlich Geisteskranke oder geistig Behinderte ins Gefängnis gesteckt werden, statt sie zu behandeln. Die Leidtragenden sind am Ende mal wieder die Opfer der Verbrechen, die von der Justiz in diesem Land nach wie vor nicht ernst genommen werden.
Bild: Nicolas Maeterlinck (belga)