Premierminister Leterme hat gestern versucht, das Parlament zu überzeugen, dass die Regierung nichts getan hat, um das Gericht in Sachen Fortis zu beeinflussen, doch anscheinend glauben ihm das nur die wenigsten.
Die meisten Zeitungen haben jedenfalls erhebliche Zweifel, dass der Premierminister die zur Klärung der Angelegenheit eingesetzte Untersuchungskommission überleben wird.
Muss Leterme zurücktreten?
Diese Auffassung vertritt z.B. Het Laatste Nieuws , wo es heißt, der parlamentarische Untersuchungsausschuss ist praktisch ein Misstrauensantrag an die Adresse des Premierministers, der wohl in normalen Zeiten zurückgetreten wäre.
Het Belang van Limburg hakt an dieser Stelle ein, wenn es schreibt: Es ist fraglich, ob Yves Leterme nicht doch schon bald gezwungen wird, dem König seinen Rücktritt anzubieten. Die Gerüchte, dass aus seinem Kabinett entgegen der Behauptung des Regierungschefs doch Druck auf die Justiz ausgeübt wurde, werden immer lauter, und es ist höchst unwahrscheinlich, bzw. so gut wie ausgeschlossen, dass der Premierminister selbst davon nichts gewusst haben soll.
Genau diese Auffassung vertritt ebenfalls De Morgen, wo es weiter heißt, eine parlamentarische Untersuchungskommission ist unter diesen Umständen auf jeden Fall notwendig. Genauer betrachtet jedoch hat Leterme durch diese Angelegenheit so viel moralische Glaubwürdigkeit verloren, dass er nicht länger an der Regierungsspitze eines Rechtsstaates bleiben kann. Besser wäre es, jetzt sein Amt nieder zu legen.
Hat Staatsraison Vorrang oder nicht?
La Derniere Heure ist da ganz anderer Ansicht, wenn sie schreibt, natürlich ist Leterme in einer äußerst kritischen Lage, doch hat er nicht das Recht, jetzt das Schiff zu verlassen. Ein Sturz der Föderalregierung wäre angesichts der sozial-wirtschaftlichen Krise eine Katastrophe. Nicht nur wäre dann erneuter Immobilismus angesagt, sondern in der Fortis-Akte würde dann die Transaktion mit BNP Paribas eingefroren und daraus eine erneute Vertrauenskrise entstehen. Absoluten Vorrang hat jetzt die Staatsraison.
Le Soir sieht den Premierminister eindeutig im Abseits, nachdem er in der Kammer zugeben musste, dass es zwischen seinem Kabinett und der Justiz mehrmals telefonische Kontakte in Sachen Fortis gegeben hat. Es stimmt zwar, dass die augenblickliche Wirtschaftskrise und das weitere Schicksal von Fortis eine funktionsfähige Regierung erfordern, doch sie erfordern genauso einen Premierminister, der diesen Aufgaben gewachsen ist und nicht Verwirrung stiftet, sondern für Klarheit sorgt. Gestern hat Leterme bewiesen, dass er dazu nicht in der Lage ist.
Druck auf Justiz so gut wie sicher
Auch La Libre Belgique geht mit dem föderalen Regierungschef hart ins Gericht. Die Zeitung ist überzeugt, dass es genügend Dokumente gibt, die beweisen, dass es aus dem Kabinett des Premierministers sehr wohl eine Einflussnahme auf die Magistratur gegeben hat. Die jetzt eingesetzte parlamentarische Untersuchungskommission muss nur die richtigen Fragen stellen, um diese Beweise zutage zu fördern.
Ähnlich klingt es aus De Standaard mit dem Hinweis, dass die Brüsseler Staatsanwaltschaft die gestrigen Erklärungen des Premierministers vor dem Parlament bereits widerlegt hat und sehr wohl den Versuch einer Einflussnahme auf die Justiz anklingen ließ. Nicht nur böse Telefonate, sondern auch drohende Emails hätten die Justiz erreicht. Obwohl kein einziger Koalitionspartner öffentlich Letermes Rücktritt verlangte, war deutlich zu spüren, dass die Situation des Premierministers selbst in den Augen der Regierungsparteien unhaltbar geworden ist.
Der Zweck heiligt nicht die Mittel
Het Nieuwsblad notiert im gleichen Kontext, der Zweck heiligt nicht die Mittel, erst recht nicht, wenn damit die Fundamente der Demokratie, nämlich die Trennung zwischen der richterlichen und der ausführenden Gewalt, ins Wanken gebracht werden. Im Übrigen fragt sich die Zeitung, ob die französische BNP Paribas, angesichts der politischen Querelen und der juristischen Unsicherheit, überhaupt noch länger an einer Übernahme der Fortis interessiert ist.
Sollte die Regierung über diese Hürde stolpern, sieht Gazet van Antwerpen drei Möglichkeiten: Entweder Premier Leterme tritt zurück und ein anderer, z.B. Finanzminister Reynders, übernimmt das Amt des Regierungschefs. Oder aber die gesamte Regierung reicht den Rücktritt ein und es werden unmittelbar Neuwahlen ausgeschrieben. Die dritte Möglichkeit wäre ein Übergangskabinett und die Ausschreibung von Parlamentswahlen im Juni nächsten Jahres, die dann zusammen mit den für dann vorgesehenen Regional-, Gemeinschafts- und Europawahlen stattfinden würden.