Juristisch korrekt aber nicht vermittelbar
"Skandalös" titelt La Dernière Heure. Joe wurde zum zweiten Mal erstochen. Die nüchterne Schlagzeile von La Libre Belgique lautet: "Adam G. ist kein Mörder". Le Soir meint auf Seite 1: "Im Fall Joe gibt es zwei verschiedene juristische Wahrheiten".
Im Prozess um den gewaltsamen Tod von Joe Van Holsbeeck im April 2006 hat das Brüsseler Schwurgericht sein Urteil gefällt. Die 12 Geschworenen sprachen den Angeklagten Adam G. vom Vorwurf des Mordes frei. Demnach hat Adam G., als er Joe Van Holsbeeck die tödlichen Messerstiche beibrachte, den Tod seines Opfers nicht gewollt. Viele Zeitungen bringen auf ihren Titelseiten Photos der geschockten Eltern von Joe, die sich mit diesem Urteil nicht zufrieden geben können.
Das Urteil ist juristisch korrekt, aber zugleich den Angehörigen und der Öffentlichkeit insgesamt nicht zu vermitteln, bemerkt dazu De Morgen in seinem Kommentar. Adams Komplize, der junge Mariusz O., wurde von einem Jugendgericht der Beihilfe zum Mord für schuldig gefunden. Nur hat es für das Schwurgericht eben diesen Mord nie gegeben. Der Haupttäter wurde lediglich für schuldig befunden, einen gewaltsamen Überfall verübt zu haben, bei dem der Tod des Opfers ein tragischer Nebeneffekt war.
Le Soir spricht in diesem Zusammenhang von einer Lotterie. Es kann doch nicht sein, dass es in ein und demselben Fall zwei verschiedene Lesarten gibt. Für jeden, der sich irgendwann einmal vor Gericht verantworten muss, dürfte dieses Urteil irgendwie beängstigend sein. Zwar haben die Geschworenen trotz des vergleichsweise milden Urteils am Ende doch eine harte Strafe verhängt. Doch bestärkt das eigentlich nur den Eindruck, dass vor Schwurgerichten gewissermaßen Roulette gespielt wird.
La Dernière Heure lässt kein gutes Haar an dem Urteil. Hier wird ein Verbrechen verharmlost, banalisiert. Für die Eltern von Joe Van Holsbeeck ist das Urteil eine Beleidigung. Wie kann man denn allen Ernstes glauben, dass ein Täter nicht die Absicht hatte zu töten, wenn er siebenmal auf sein Opfer einsticht. Die Entscheidung ist ein Schlag ins Gesicht aller Eltern in diesem Land, die ihre Kinder zu guten und ehrlichen Menschen erziehen wollen. Und diese Kinder müssen mehr denn je mit der Angst leben, dass ihre Zukunft binnen weniger Minuten zusammenbricht, weil ein Verbrechen nicht als solches betrachtet wird.
Auch Gazet van Antwerpen ist wütend. Das Urteil ist ein falsches Signal an die Gesellschaft. Das Opfer ist ein junger Mann, der keiner Fliege was zuleide tun konnte. Er traf zur falschen Zeit am falschen Ort auf die falschen Leute. Dass er das nicht überlebte, scheint für die Justiz nicht mehr als ein Betriebsunfall zu sein. Ob Adam G. nun 10, 20 oder 30 Jahre Haft bekommt, spielt keine Rolle. Wer jemandem ein Messer ins Herz rammt, der hat die Absicht zu töten: das muss die einzige Botschaft sein.
Het Laatste Nieuws sieht das anders. Adam G. muss für 20 Jahre ins Gefängnis. Für einen 19-jährigen ist das länger als sein bisheriges Leben. Das ist durchaus ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft derlei Verbrechen nicht hinnimmt.
Het Nieuwsblad und La Libre Belgique weisen ihrerseits auf die nüchternen Fakten hin. Das Urteil ist vielleicht nicht weise, es wurde aber von 12 Geschworenen gefällt. Die Spielregeln wurden eingehalten. Wenn man ein solches Urteil in Zukunft vermeiden will, dann muss man ganz einfach die Spielregeln ändern. Ob eine Reform der Schwurgerichte allerdings der richtige Weg wäre, bleibt dahingestellt, sind sich beide Zeitungen einig.
Der Bruch des Kartells CD&V/N.VA: Katastrophe oder Hoffnungsschimmer?
Das zweite große Thema in der Tagespresse ist heute der Bruch des Kartells CD&V-N.VA. Für De Standaard ist für die CD&V das Katastrophenszenario eingetreten. Vielleicht wird es der Partei noch gelingen, die Unruhe unter ihren Mitgliedern wieder unter Kontrolle zu bekommen. Beim Wähler hat die CD&V jedoch jeden Kredit verspielt. Das Ergebnis ist ein Dilemma. Würde die CD&V jetzt Neuwahlen forcieren, dann würde sie an den Wahlurnen brutal abgestraft. Bleibt Leterme im Amt, dann wird das ein Kreuzweg. Die einzige Hoffnung ist, dass es bis zu den Wahlen vom 7.Juni noch ein Wunder gibt.
Het Belang van Limburg ist da nicht ganz so pessimistisch. In einer ersten Phase dürfte es tatsächlich so sein, dass die N.VA in den Umfragen gut abschneidet, während die CD&V bestraft wird. Doch sollte man sich davon nicht blenden lassen. Wenn sich die CD&V einmal gefangen hat, dann kann wieder Ruhe einkehren. Dann sind Erfolge in Sachen Staatsreform möglich. Und dann kann die Regierung Leterme auch endlich im sozial-wirtschaftlichen Bereich Akzente setzen. Für die CD&V ist die Wahl 2009 also nicht von vornherein verloren.