"Der Bericht der drei Weisen steht schon unter Beschuss", so fasst es La Libre Belgique treffend zusammen. Französischsprachige und Flamen interpretieren den Bericht zum gemeinschaftspolitischen Dialog, den die drei königlichen Vermittler am Freitag vorlegten, völlig anders. Die Äußerungen von MR-Präsident Reynders sorgten für eine weitere Zuspitzung der Lage. Die flämischen Nationalisten der N.VA kündigten bereits an, dass sie nicht am Dialog zwischen Flamen und Französischsprachigen teilnehmen werden.
"Und Belgien versinkt erneut im Chaos" titelt Le Soir. Jetzt ist Premier Yves Leterme wieder gefordert, obwohl er sich eigentlich nicht mehr mit dem Thema "Staatsreform" befassen wollte, schreibt die Brüsseler Zeitung.
Überlebt die Leterme-Regierung?
"Leterme 1 steht am Rande des Abgrunds", das ist die Schlagzeile in De Standaard. Eine Regierungskrise ist nicht mehr auszuschließen, schreiben auch De Morgen und Het Laatste Nieuws. Nach dem Nein der N.VA muss sich die CD&V jetzt für das Kartell oder Leterme entscheiden, so bringt es Gazet van Antwerpen auf den Punkt. Der Vermittlerbericht entzweit CD&V und N.VA. Für das Kartell ist der Tag der Wahrheit angebrochen, titelt Het Belang van Limburg. Das Grenz-Echo bringt die Schlagzeile: "Staatsreform: DG sitzt am Tisch - Spielverderber N.VA". Die flämischen Nationalisten erteilten dem Dialog über eine Staatsreform eine Absage, so die Eupener Zeitung.
15 Monate nach den Wahlen stehen wir wieder ganz am Anfang, bedauert Het Nieuwsblad. Jetzt ist nicht mehr die Spaltung von Brüssel-Halle-Vilvoorde die Frage, auf die eine Antwort gefunden werden muss, es geht um das Überleben der Regierung.
Laut Gazet van Antwerpen trägt Reynders hierfür die Verantwortung. Er provozierte die flämischen Parteien mit der Feststellung, dass eine Staatsreform vor den Regionalwahlen des kommenden Jahres nicht möglich sei. Auch forderte er die Erweiterung von Brüssel und die Ernennung von 3 französischsprachigen Bürgermeistern im Brüsseler Rand. Wenn es jetzt zu einer Krise mit Neuwahlen kommt, ist das die Schuld von Reynders, meint die Zeitung.
Het Belang van Limburg kommentiert: Wenn die CD&V jetzt wohl zur Teilnahme am Dialog zwischen Flamen und Französischsprachigen bereit ist, kommt es zum Bruch mit dem Kartell-Partner N.VA. Wenn die Partei den Dialog ablehnt, ist die Regierung Leterme am Ende. Die CD&V muss sich also entscheiden, ob sie die mächtigste Partei sein will oder ob sie die persönlichen Ambitionen ihres Premiers unterstützt.
Respekt und Vertrauen
La Libre Belgique findet im Kommentar, dass ein gemeinschaftspolitischer Dialog so kurz vor Regionalwahlen von vornherein aussichtslos ist. Politiker denken dann nicht an Lösungen, sondern wollen sich vor allem profilieren. Für einen echten Dialog sind aber Respekt und Vertrauen notwendig. Mit der Arroganz, die von einigen an den Tag gelegt wird, erreicht man nichts.
Le Soir kommentiert: seit anderthalb Jahren tut sich in der belgischen Politik gar nichts mehr. Und schuld ist daran der Parteien-Winzling N.VA. Die flämischen Nationalisten lehnen jeden Kompromiss ab, in der Hoffnung, dass sich die Lage weiter zuspitzt und sich die Unabhängigkeit Flanderns so von selbst ergibt.
L'Echo meint: wie es jetzt aussieht, muss Leterme die Zukunft seines Kartells und die Staatsreform retten. Wenn er jetzt den politischen Mut aufbringt, dem Dialog den Vorrang zu geben und auf seinen nationalistischen Kartellpartner zu verzichten, dann kann alles sehr schnell gehen. Tut er das nicht, dann steht es sehr schlecht um die Zukunftsaussichten des Landes.
Politbarometer und MR-Präsident
Die Wallonie feiert und aus diesem Anlass veröffentlich Vers l'Avenir ein Politbarometer. Demnach sind 76,4 % der Wallonen mit ihrem PS-Ministerpräsident Demotte zufrieden. Der verbesserte sich im Vergleich zum vergangenen Februar um 15,7 Prozent-Punkte. Auch Joëlle Milquet und Di Rupo liegen in der Wählergunst vorne, Didier Reynders verliert an Popularität. Wenn am kommenden Sonntag gewählt würde, wäre die PS mit 29,2 % die größte Partei der Wallonie vor der MR mit 25,1 %.
La Dernière Heure schließlich lässt Reynders ausführlich zu Wort kommen. "Reynders ohrfeigt die PS", so die Schlagzeile. Im Interview sagt der MR-Präsident: seit 20 Jahren werde die Wallonie von den antiquiertesten Sozialisten Europas regiert. Die PS habe es nicht geschafft, sich wie andere sozialistische Parteien in Großbritannien, Spanien und Deutschland zu modernisieren. Allerdings dürfe man nicht vergessen, dass zwei Drittel der Wallonen keine Sozialisten seien.