„Stolz, Belgier zu sein“, titelt in diesem Zusammenhang La Derniere Heure. „Ein Fest trotz Krise“, meint etwas nachdenklicher Het Belang van Limburg. Und Vers l'Avenir schreibt auf seiner Titelseite: „Anders zusammenleben“, und geht damit bereits auf die Ansprache von König Albert II zum 21. Juli ein.
Flämische Zeitungen sparen nicht mit Kritik
Die Rede sei wenig scharfsinnig gewesen, meint etwa De Standaard. Zugegeben: Für den Redenschreiber des Königs muss es wohl eine ziemliche Herausforderung gewesen sein, mitten in dieser schweren politischen Krise eine Ansprache zu formulieren. Aber zum Glück konnte er sich ja hinter einem Jahrestag verstecken: Vor fast genau 15 Jahren starb König Baudouin. Und in seiner Rede hat König Albert seinen Bruder gleich ein Dutzend Mal zu Hilfe gerufen. Ansonsten beschränkte sich der König auf die lapidare Feststellung, dass wir in diesem Land über neue Formen des Zusammenlebens nachdenken müssen.
Het Laatste Nieuws hat die Rede des Königs sogar sozusagen mit dem Taschenrechner analysiert. Ganze 5 Sätze hat Albert II in seiner Rede der politischen Krise in diesem Land gewidmet. Danach hat er dann gleich seinen Bruder, König Baudouin und sein Erbe bemüht. Aber Sire, so Het Laatste Nieuws direkt an die Adresse des Königs: „Das Belgien Ihres Bruders gibt es nicht mehr. Und es kommt auch nie mehr zurück.“ Entsprechend hatte der gestrige Nationalfeiertag auch etwas von fröhlicher Endzeitstimmung: Als die Militärkapelle Marschmusik und die Brabançonne schmetterte, erinnerte das ein wenig an das Orchester auf der Titanic.
Auch Het Nieuwsblad bescheinigt dem Staatsoberhaupt ein gehöriges Maß an Nostalgie. König Albert machte es sich einfach. Nach einigen belanglosen Sätzen über die politische Lage versteckte er sich hinter seinem Bruder Baudouin. Als dieser vor 15 Jahren überraschend verstarb, sorgte das für ein Aufflammen des belgischen Nationalgefühls. Etwas ähnliches haben wir seither nicht mehr erlebt. Und König Albert II scheint wohl mit Wehmut daran zurück zu denken.
Het Belang van Limburg ist seinerseits sogar enttäuscht von der königlichen Ansprache. Der König ging so gut wie gar nicht auf die politische Krise in diesem Land ein. Warum? fragt sich das Blatt. Hat das Staatsoberhaupt vielleicht keine Ideen? Oder fehlt ihm der Mut? Dieses Land braucht eine tief greifende Staatsreform! Und wir hätten es gerne gesehen, wenn König Albert das auch so klar gesagt hätte.
Gazet van Antwerpen sieht das anders. Es ist nicht die Aufgabe des Königs, die Probleme in diesem Land zu lösen. Darum müssen sich allein die gewählten Politiker kümmern. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn das Staatsoberhaupt sich zum 21. Juli klar und unzweideutig zum Konföderalismus bekannt hätte. Dann hätten auch die Frankophonen eingesehen, dass die derzeitige Staatsform nicht mehr ausreicht. Das allerdings muss der König den Frankophonen nicht vorsagen, da müssen sie schon selbst drauf kommen. Tragisch ist, dass jeder jetzt die Worte des Königs in seinem Sinne auslegen wird. Und die Frankophonen werden aus der Ansprache herauslesen, dass der König eben keine tief greifende Staatsreform wünscht.
Dieses Vorurteil bestätigen zumindest die frankophonen Zeitungen nicht.
Der König verteidigt keineswegs das Status Quo, unterstreicht etwa die Brüsseler Tageszeitung Le Soir. Was erwarteten denn die Besserwisser? Dass der König vollmundig erklärt, dass das föderale Staatsmodell an seine Grenzen gelangt ist? Dass der König vielleicht auf der anderen Seite Yves Leterme aufruft die N.VA in die Wüste zu schicken? Man sollte die Tragweite der Rede nämlich in Ermangelung markiger Aussagen nicht unterschätzen. Wenn der König dafür plädiert, neue Formen des Zusammenlebens zu erfinden, dann kommt das einer Revolution in der Denkweise des Palastes gleich.
Auch La Libre Belgique warnt davor, die königliche Ansprache zu unterschätzen. Albert II ist nicht als Kamikaze bekannt. Er wird nicht an dem Thron sägen auf dem er sitzt. Wenn er von neuen Formen des Zusammenlebens spricht, dann stößt er eine Tür auf. Ob sie wollen oder nicht: Die Frankophonen müssen einsehen, dass sie mit den Flamen über eine neue Staatsreform reden müssen. Diese Verhandlungen setzten aber zu allererst gegenseitigen Respekt voraus.
Auch für La Derniere Heure hat der König eine Tür geöffnet. Nur muss man wissen: Er hatte auch keine andere Wahl. Die Rede wird vom Premierminister und damit von der gesamten Regierung gegengezeichnet. Ein flammender Appell für die Einheit des Landes war ebenso unmöglich, wie all zu präzise Ideen wie das künftige Staatsgefüge aussehen könnte. Deswegen musste der Palast Vorsicht walten lassen, auf die Gefahr hin, dass beide Seiten in ihren Erwartungen enttäuscht werden.
Bei all dem stellt sich De Morgen eine einzige Frage: Hat dieses Land im Augenblick überhaupt eine Regierung? Auf der einen Seite ist die Regierung eigentlich wieder eingesetzt worden, als der König den Rücktritt des Premierministers nicht akzeptierte. Auf der anderen Seite ist aber offenkundig, dass sich ihr Handlungsspielraum auf die „laufenden Geschäfte“ beschränkt. Die einzige Möglichkeit, einen Hauch von Legitimität zurück zu gewinnen, wäre eine Vertrauensabstimmung im Parlament. Doch ist das unmöglich, weil niemand sicher sein kann, dass auch alle Abgeordneten des Kartells CD&V/N.VA auf das richtige Knöpfchen drücken. Politisch gesehen ist das Ganze der wahre Horror.
Zyniker würden sagen: Ob die Regierung nun normal funktioniert oder nicht tut eigentlich nichts zur Sache. Sie beschließt sowieso nichts. Und das ist das echte Drama.