Rücktritt - Over and out - Le terme
„Rücktritt!“ titelt Vers L'Avenir in Blockbuchstaben, versehen mit einem dicken Ausrufezeichen. „Over and out“ prangt auf der Titelseite von De Morgen und auch von Gazet Van Antwerpen. Le Soir bringt das Wortspiel „Le Terme“- das Ende.
Die N-VA hat die Regierung Leterme I getötet, schreibt Vers L'Avenir. Als die flämische Nationalistenpartei um 22 Uhr ihre außerordentliche Vorstandssitzung beendete und ihr „Nein!“ zu einem Aufschub der Staatsreform bekräftigte, hat die N-VA Leterme damit in die Knie gezwungen. Eine halbe Stunde später machte er sich überstürzt auf den Weg zum König. Die Frage ist jetzt, ob das Staatsoberhaupt den Rücktritt akzeptiert oder eben, ob der König Leterme ein weiteres Mal die Haut rettet.
Yves Leterme fällt zum dritten Mal, bemerkt in diesem Zusammenhang Le Soir. Er wurde von seinem eigenen Kartell erdolcht. Jetzt droht eine neue unerträgliche Periode politischer Instabilität. Darauf hätte das Land angesichts von Inflation und sinkender Kaufkraft durchaus verzichten können. Tragisch ist dabei, dass Yves Leterme nach einer Serie von Pleiten, Pech und Pannen am Ende doch in die Rolle des Premierministers hineingewachsen war.
Hier tragen auch die Frankophonen eine Mitschuld, fügt Le Soir hinzu. Wir müssen wissen: Das Land wird nicht überleben, wenn es nicht zu einem neuen Gleichgewicht findet, einem reifen, konföderalen Modell. Das geht allerdings nicht unter Druck. Es sei denn, man will ein absurdes Ende mit aller Macht heraufbeschwören.
Für De Standaard ist offenkundig: Der Föderalstaat Belgien ist in seiner heutigen Form nicht dazu imstande, sich selbst neu zu ordnen. Das ist auch auf Konstruktionsfehler zurückzuführen. Die Frankophonen sind erwiesenermaßen in der Minderheit, und doch schaffen sie es, ständig Entscheidungen zu blockieren. Resultat: Jetzt steht Belgien am Abgrund. Diese Krise ist beileibe nicht gut für das Land, aber es sind die Frankophonen, die daran die Schuld tragen. Und sie wissen das.
Auch Het Nieuwsblad sieht das Land in einer Existenzkrise. Es ist einfach, Yves Leterme die alleinige Schuld an dem Debakel zu geben. Doch hat er am Ende wie ein Löwe gekämpft und viele Lösungsvorschläge auf den Tisch gelegt. Postwendend folgte dann aber immer wieder ein „Non“ der Frankophonen. Ein anderer Premierminister hätte die Krise wohl auch nicht verhindern können. Ergo: Das belgische System steckt in einer Sackgasse.
Andere Zeitungen geben ihrerseits Yves Leterme durchaus eine nicht zu unterschätzende Schuld an der Krise.
Natürlich halten die Frankophonen mit ihrer Sturheit das Land in einem Würgegriff, meint etwa Het Belang Van Limburg. Doch hat Yves Leterme von Anfang an den falschen Weg eingeschlagen. Im Wahlkampf hat er den Flamen das Blaue vom Himmel versprochen. Wer ihn daran erinnerte, dass diese Versprechen so nicht einzuhalten waren, der wurde abgewatscht. Leterme ist letztlich ein Verhofstadt im Quadrat: Er verspricht noch mehr, und realisiert noch weniger.
Gazet Van Antwerpen ist enttäuscht von Yves Leterme. Zwar tragen auch für das Antwerpener Blatt die Frankophonen die größte Schuld an dem Debakel. Doch hat Yves Leterme einige schwere Fehler begangen. Zulange ließ er sich von Frankophonen einlullen. Er hatte versprochen, sich erst dann an einer Regierung zu beteiligen, wenn eine große Staatsreform und die Spaltung des Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde unter Dach und Fach sind. Stattdessen ging er doch in die Regierung und wollte das heute gar ein zweites Mal tun. Wir hätten mehr Standfestigkeit und auch mehr Kreativität von ihm erwartet. Mehr Rückgrat. Mehr politischen Mut. Der Mann, der vor fünf Jahren seine Partei vor dem sicheren Tod bewahrte, wird zudem ironischerweise jetzt zum Totengräber eben dieser CD&V.
De Morgen nennt Yves Leterme einen Zauberlehrling: Die Geister die er rief, wurde er nicht mehr los. Er hat den Leuten weisgemacht, dass fünf Minuten politischen Mutes ausreichen, um Dinge in Bewegung zu bringen. Er hat aus wahltaktischen Gründen mit der N-VA eine Partei mit ins Boot genommen, für die Zugeständnisse an die Frankophonen aus ideologischen Gründen nicht möglich sind. Er hat sich von einer gewissen flämischen Rhetorik mitreißen lassen, was dazu geführt hat, dass der Süden des Landes ihn nie als Premierminister des ganzen Landes betrachtet hat. Und schließlich hat er sich dann noch eine Frist gesetzt, die absolut unmöglich war. Tragischerweise hat Leterme gestern zum ersten Mal den wohl einzigen realistischen Vorschlag gemacht: Einen Aufschub der Staatsreform auf die Zeit nach der Regionalwahl, wo die Köpfe kühler wären. Stattdessen erwartet uns jetzt Chaos. Wie es jetzt weitergeht, weiß definitiv niemand.