Der allgemeine Tenor: Auch genau ein Jahr nach der Parlamentswahl sind wir keinen Schritt weiter, während dem Land eine tiefe wirtschaftliche Krise bevorsteht.
Requiem für ein verlorenes Jahr
Das titelt heute die Brüsseler Tageszeitung La Libre Belgique. Vor genau einem Jahr, am 10. Juni 2007, fanden die Parlamentswahlen statt. Seither, so meint das Blatt in seinem Kommentar, hatten wir während sechs Monaten keine Regierung und während den anderen sechs Monaten dann doch eine. Den Unterschied haben wir allerdings nicht bemerkt: Die vergangenen 366 Tage waren von einem einzigen Machtvakuum geprägt. Und es gibt derzeit keine Aussicht auf Besserung. In Belgien, dem Land, das für seine politischen Klempner berühmt ist, gibt es einen Rohrbruch nach dem andern.
Auch De Morgen zieht eine düstere Bilanz der letzten zwölf Monate in der Rue de la Loi. Einen solchen politischen Stillstand hat das Land noch nie erlebt. Selbst in chaotischen Zeiten, wie etwa während Voeren-Krise, sind die politisch Verantwortlichen nicht in eine solche Lethargie gefallen. Yves Leterme hat im Wahlkampf immer wieder vollmundig getönt, dass fünf Minuten politischer Mut ausreichen würden, um ein Problem wie Brüssel-Halle-Vilvoorde zu lösen. Jetzt ist Yves Leterme schon 525.600 Minuten am Ruder, politischen Mut hat er in der Zeit aber noch nicht aufgebracht.
Gazet Van Antwerpen wirft einen bangen Blick in die Zukunft. Niemand glaubt, dass die Mehrheit um den 15. Juli ihren Aufgabenzettel abgearbeitet haben wird. Dann sollen ja sowohl die Grundzüge einer neuen Staatsreform als auch ein ehrgeiziges sozialwirtschaftliches Programm auf dem Tisch liegen. Doch was passiert, wenn eine Einigung bis zum 15. Juli ausbleibt? Das ist eigentlich keine Option, warnt Gazet Van Antwerpen. Leterme ist dazu verdammt, diese Herausforderungen zu meistern. Scheitert er, dann droht eine Staatskrise ohne Beispiel.
Leterme hat noch 36 Tage Zeit, meint in diesem Zusammenhang auch Het Nieuwsblad. Ein Scheitern ist keine Alternative. Lösungen für Problem wie Brüssel-Halle-Vilvoorde kann es nur geben, wenn Flamen und Frankophone zu Konzessionen bereit sind, die einem Gesichtsverlust gleichkommen. Es wäre aber zu einfach, Yves Leterme allein die Schuld an der derzeitigen Lage zu geben.
Die Börsenzeitung L'Echo ist da anderer Meinung: Zum einen wollte Yves Leterme sich nicht helfen lassen. Den Informatoren und „Minensuchern“ Reynders, Dehaene und Van Rompuy hat er keine Beachtung geschenkt. Und dann ist Leterme auch noch von einem Fettnäpfchen ins nächste getreten. Man könnte meinen, dass Leterme das alles mit Absicht gemacht hat, um das Land unregierbar zu machen und seine Auflösung zu beschleunigen.
Auch Het Belang Van Limburg zweifelt an den Fähigkeiten von Yves Leterme. Der Regierung fehlt es an Teamgeist. Und Yves Leterme fehlen die menschlichen Qualitäten, um seine Equipe zu einen. Pessimismus ist also angesagt. Bezeichnend sei dabei die Tatsache, dass die Frankophonen augenscheinlich schon ihre Unabhängigkeit vorbereiten: eine eigenständige Wallonie mit Hauptstadt Brüssel.
De Standaard glaubt ebenfalls, dass die Frankophonen sich auf ihre mögliche Unabhängigkeit vorbereiten. Und indem sie eine tief greifende Staatsreform ablehnen, treiben sie die Flamen in die Enge. Das Kalkül der Frankophonen: Stellt sich die Frage nach der Spaltung des Landes, dann schrecken die Flamen zurück. Eins ist in jedem Fall sicher, meint De Standaard: Der status quo ist keine Option.
Wirtschaftskrise langsam aber sicher akut
Verschiedene Zeitungen betrachten die derzeitige Krise eher im Licht der aktuellen sozialwirtschaftlichen Probleme. Während man in der Rue de la Loi über Gemeinschaftspolitik streitet, bekommen die Bürger des Landes die Auswirkungen der wirtschaftlichen Krise bereits zu spüren, meint etwa die Brüsseler Tageszeitung Le Soir. Die Ölpreise und auch die Inflation erreichen Rekordstände. Eine entschlossene Reaktion tut Not, doch ist die Staatskasse leer.
Auch Het Laatste Nieuws richtet einen flammenden Appell an die Politik. Eine schwere Wirtschaftskrise ist zwar noch nicht eingetreten, wirft aber deutliche Schatten voraus. Wie vieler Zeichen bedarf es noch, bis die politisch Verantwortlichen endlich einsehen, wo die wirklichen Probleme liegen? Es ist offensichtlich, dass die Zeit noch nicht reif ist für eine große Staatsreform. Wenn die Politik, koste es was es wolle, daran festhält, dann riskiert sie damit allenfalls eine politische Krise oder gar eine Spaltung des Landes; und das hilft derzeit niemandem.
Boonen mit Koks erwischt?
Der ehemalige Radweltmeister Tom Boonen, der dieses Jahr den Radklassiker Paris-Roubaix gewann, soll mit Kokain erwischt worden sein, melden Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsblad auf ihrer Titelseite. Boonens Reaktion bislang: Kein Kommentar.