"Nach dem Betrug jetzt Gesundheitsalarm", titelt Le Soir auf Seite eins. Wie andere Zeitungen auch berichtet das Blatt über die neuste Entwicklung im Pferdefleischskandal. Gestern war bekannt geworden, dass Rheumamittel in Pferdefleisch gefunden wurde, das für den Verzehr bestimmt war. Für Menschen kann dieses Rheumamittel schädlich sein. Nachdem Kontrolleure schon vorher entdeckt hatten, dass in einigen Fertigprodukten Pferde-, statt Rindfleisch verwendet wurde, ist dies der zweite Schock.
"Europäische Lebensmittel-Kontrolleure können ihre Aufgaben nicht erfüllen", schreibt dazu De Morgen. Die Zeitung sieht in der Unterbesetzung des Europäischen Lebensmittel- und Veterinäramts einen der Gründe, warum es zu solchen Skandalen kommen kann. Gerade mal 90 Inspektoren seien bei dem Amt beschäftigt. Viel zu wenig für den riesigen Lebensmittelmarkt in der EU.
“Na dann, guten Appetit!“
Kommentierend meint zu dem Thema La Libre Belgique: “Natürlich müssen beide Entdeckungen voneinander getrennt werden. Pferdefleisch statt Rind, das ist Betrug, aber nicht gesundheitsgefährdend. Beim Rheumamittel ist das etwas anderes, doch auch hier gilt es zu bedenken: Um die Gesundheit des Menschen zu schädigen, müsste man täglich 500 bis 600 Hamburger mit Rheumamittel versetztem Fleisch essen. Selbst im Guinessbuch der Rekorde haben wir das noch nicht gefunden. Solche Geschichten werden uns immer wieder beschäftigen, immer wieder für Aufreger sorgen. Schöner Stoff in einer Zeit, wo es sonst nichts zu vermelden gibt, schreibt La Libre Belgique.
Ähnlich ratlos gegenüber den Skandalen zeigt sich L’Avenir, ist aber besorgt. Enthüllungen hin oder her: Was übrig bleibt, ist eine große Ohnmacht des Verbrauchers gegenüber der internationalen Nahrungsmittelindustrie. Wem kann man noch trauen? Auch bei der EU sind Zweifel angesagt. Sie lässt es sogar zu, dass Schlachtabfälle zu Hackfleischprodukten ohne jegliche Herkunftsbezeichnung zusammengewürfelt werden dürfen. Angeblich, um den Bedürfnissen der Industrie zu entsprechen. Na dann, Guten Appetit, wünscht sarkastisch L’Avenir.
ACW im Kreuzfeuer der Kritik
"Die ACW hat ihre eigenen Mitglieder angelogen", titelt Het Nieuwsblad. ACW, das ist der Dachverband insbesondere der Christlichen Gewerkschaft CSC und der Christlichen Arbeiterbewegung. Gestern hatten Mitglieder der rechten flämischen Partei N-VA schwere Anschuldigungen gegen ACW erhoben. Jahrelang soll ACW massiv Gebrauch gemacht haben von Steuer-Schlupflöchern und sich am Finanzmarkt genauso verhalten haben, wie Wirtschaftsunternehmen, die von der Christlichen Gewerkschaft oft kritisiert werden.
Das ist unethisch, findet Het Nieuwsblad. Die anderen flämischen Zeitungen fällen das gleiche Urteil. "Das ist eine moralische Bankrotterklärung", schreibt zum Beispiel De Standaard. De Morgen führt aus: “Noch ist nicht beweisen, dass die ACW tatsächlich Steuern hinterzogen hat, wie es gestern die N-VA nahe gelegt hat. Es kann sein, dass alles legal gelaufen ist. Eine Untersuchungskommission muss das jetzt klären. Aber der moralische Schaden ist jetzt schon da. Ihre Glaubwürdigkeit hat die Christliche Arbeiterbewegung verspielt.
De Standaard meint: Was für ein Doppelspiel der ACW, der Christlichen Bewegung. Nach der Pleite von Arco, der Finanzierungsgesellschaft der christlichen Arbeitnehmervereinigung, fordert man den Staat zur Hilfe auf, fordert man Geld vom Steuerzahler. Zur gleichen Zeit drückt man sich durch Tricks und Machenschaften an Abgaben vorbei. Die ACW hat ihre Seele verloren, schreibt De Standaard.
Ähnlich sieht es Het Laatste Nieuws: Das Vertrauen der Menschen ist weg, und das ist das Schlimme an der Sache. Dass gerade die N-VA den Angriff auf die ACW fährt, verwundert dabei nicht. Aus Reihen der ACW gab es immer wieder Kritik an der rechten N-VA. Die schlägt jetzt zurück, konstatiert Het Laatste Nieuws.
Nord-Süd-Humorgefälle
Die Darstellung von N-VA-Aktivisten als SS-Offiziere beim Karneval in Aalst greift Le Soir im Kommentar auf. Scharf kritisiert die Zeitung, dass man in Flandern die Sache herunterspielt mit der Begründung: Im Karneval ist so etwas erlaubt. Le Soir schreibt: Da drängt sich die Feststellung auf, dass wir im Norden und im Süden Belgiens unterschiedliche Arten von Humor haben. Worüber man in Flandern anscheinend lachen kann, ruft in der Wallonie Bestürzung hervor. Und noch etwas sei angemerkt. Man stelle sich vor, beim Karneval im Lüttich wäre der gleiche Wagen gefahren - N-VA-Politiker als Nazis verkleidet - der Aufschrei in Flandern wäre riesig gewesen, glaubt Le Soir.
"Das belgische Schulsystem tut nichts gegen Armut", berichtet L'Avenir auf Seite eins und greift damit neue Ergebnisse von Unicef auf. Demnach ist es in belgischen Schulen für Kinder aus armen oder benachteiligten Familien kaum möglich, Grundlagen zu schaffen für sozialen Aufstieg. Sieben Ratschläge gibt Unicef, wie das geändert werden kann. Zum Beispiel soll das pädagogische Umfeld der Kinder verbessert und mehr Wert auf die Vermittlung von Grundwissen wie Lesen, Schreiben und Rechnen gelegt werden.
Bild: Remy Gabalda (afp)
Jeden Morgen höre ich mit Vergnügen von Lüttich ihre Presseschau zu. Die Texte sind gut geschrieben und interessant. Schade, dass sie für mich zu schnell gelesen werden. Könnte man dem Reporter ein bisschen mehr Zeit geben, sodass er sich genauer äußern kann und am besten artikulieren.
Vielen Dank und freundliche Grüße.
Dr. Willy Burguet