"EU-Gipfel beschließt erstmal Kürzungen", titelt das Grenz-Echo. "Die Sparpolitik hat gewonnen, Europa hat verloren", schreibt Le Soir auf Seite eins. La Libre Belgique drückt es in ihrer Schlagzeile etwas anders aus: "Alle haben gewonnen, nur Europa nicht".
Nach einem 24-stündigen Verhandlungsmarathon haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs am frühen Abend auf den künftigen EU-Haushalt verständigt. Dieser so genannte Finanzrahmen für die Jahre 2014 bis 2020 sieht vor, dass der EU weniger Geld zur Verfügung steht als in der Vergangenheit: Ausgeben darf die EU demnach in den kommenden sieben Jahren etwas mehr als 900 Milliarden Euro. Das sind 35 Milliarden Euro weniger als bisher.
27 Schachpartien gleichzeitig
Es ist vor allem der britische Premierminister Cameron, der auf Kürzungen gedrängt hatte. Cameron gehört denn auch eindeutig zu den Gewinnern des gestrigen Tages, wie unter anderem La Libre Belgique festhält. Premierminister Elio Di Rupo hingegen sprach von einer "verpassten Chance für Europa".
Het Nieuwsblad hat eine andere Lesart und stellt den belgischen EU-Ratspräsidenten in den Vordergrund: "Van Rompuy schließt historisches Abkommen". "Historisch" in dem Sinne, dass es eben in der Tat der erste Sparhaushalt für die EU ist. Nur: Dass es überhaupt eine Einigung gab, das sei dem Meister-Taktiker Van Rompuy zu verdanken, meint Het Nieuwsblad.
Auch Het Laatste Nieuws hebt die unermüdlichen Anstrengungen des belgischen Ratspräsidenten hervor: "30 Stunden Verhandlungen ohne eine Minute Pause" habe sich Van Rompuy angetan. Einer seiner Berater bringt die Herausforderung auf den Punkt: "Es ist, als müsste man gleichzeitig 27 Schach-Partien gleichzeitig bestreiten".
Die Stunde des EU-Parlaments
Doch vergisst man vielleicht, dass da noch nicht das letzte Wort gesprochen ist: Das EU-Parlament kann den EU-Haushalt abschießen und ein Veto droht in der Tat: "Das EU-Parlament ist bereit, gegen den Finanzrahmen 2014-2020 in den Krieg zu ziehen", schreibt L'Echo auf Seite eins.
Jetzt schlägt die Stunde des EU-Parlaments, notiert auch Le Soir in seinem Leitartikel. Im Kreise der Staats- und Regierungschefs hat sich ja offensichtlich niemand gefunden, um dem britischen Premier David Cameron die Stirn zu bieten. Wo waren sie denn? Wo war François Hollande, der vor einigen Tagen noch im EU-Parlament in Straßburg ein flammendes Plädoyer für Europa gehalten hat? Wo war der angebliche Mustereuropäer Mario Monti? Keiner von ihnen ist aufgestanden und hat protestiert. Sie hatten wohl ihre Klauen zuhause gelassen. Früher nannte man solche Leute Papiertiger. Das EU-Parlament hingegen scheint offensichtlich bereit und gewillt zu sein, die EU-Staaten herauszufordern. Die vier großen Fraktionen fordern geschlossen einen Haushalt, der im Sinne und im Interesse der Bürger Europas ist. Ab jetzt geht es um die Glaubwürdigkeit des Parlaments.
"Auch die EU muss sparen"
Doch auch beim EU-Haushaltsgipfel ging es in gewisser Weise um Glaubwürdigkeit, analysiert Het Laatste Nieuws. Egal, was die EU-Propheten sagen: Eine Erhöhung der EU-Ausgaben wäre in diesen Krisenzeiten niemandem zu verkaufen gewesen. Selbst in Europa-freundlichen Ländern wie Belgien hätten die Bürger dafür kein Verständnis gehabt. Gegen den allgemeinen Trend den EU-Haushalt aufzustocken, das hätte allenfalls die Bürger noch zusätzlich gegen Europa aufgebracht.
Het Belang Van Limburg zieht eine gemischte Bilanz des Brüsseler Haushaltsgipfels. Auf der einen Seite gibt es Grund zur Zufriedenheit. Die EU will den krisengeschüttelten Provinzen Limburg und Lüttich eine Unterstützung von jeweils 66,5 Millionen Euro gewähren. Es ist nun mal so: Jedes Land hat zunächst seine eigenen Interessen vor Augen. Allerdings wird es für die EU der erste Sparhaushalt. Diese Tatsache ist an sich lobenswert. Problematisch ist allenfalls, dass die Agrarausgaben immer noch den Löwenanteil des EU-Haushalts ausmachen. Wenn das EU-Parlament Korrekturen anbringen will, dann sollte man dafür sorgen, dass das EU-Budget trotz der Sparzwänge zukunftsorientierter wird.
Auch Het Nieuwsblad vermisst jegliche Vision in dem EU-Finanzrahmen. Wie immer hat jedes Land nur auf sein Portemonnaie geschaut. An die Zukunft denkt da niemand, geschweige denn an eine europäische Zukunft. Dass Europa in Krisenzeiten sparen muss, ist nicht unlogisch. Man muss nur an der richtigen Stelle sparen. Demgegenüber zeigt sich einmal mehr, dass die Summe von 27 nationalen Belangen nicht automatisch ein allgemeines europäisches Interesse ergibt.
Wo ist der europäische Gedanke?
La Libre Belgique hingegen spricht von einer Enttäuschung auf der ganzen Linie. Der rigide Sparkurs hat nun auch die europäischen Institutionen erreicht. Erstmals in der Geschichte wird der EU-Haushalt gekürzt. Wenn aber die Gipfelteilnehmer von einem "wichtigen Abkommen", einem "guten Kompromiss" sprechen, dann stehen sie damit ziemlich alleine da. Der Rest der Welt, vom EU-Parlament über Arbeitgeberorganisationen oder Gewerkschaften bis hin zu Umweltschützern schießt den Haushalt in hohem Bogen ab. Und das zu recht. Wir brauchen ein Europa, das das Wachstum fördert, den Arbeitsmarkt belebt, das den Kontinent aus der Krise führt. Stattdessen wird der EU-Haushalt jetzt noch zusammengestutzt. Wer das als "guten Kompromiss" verkaufen will, der will uns weiß machen, die Erde sei eine Scheibe.
Die Europäer haben sich offensichtlich von den Briten vor sich hertreiben lassen, bemerkt L'Echo. Die EU beschränkt sich also weiterhin auf einen Binnenmarkt, Agrarzuschüsse und Strukturbeihilfen. Dies entspricht im Wesentlichen der britischen Vision Europas. Dabei sollten die Bürger vor Augen haben, dass Europa sie quasi nichts kostet. Jedes EU-Land steuert im Durchschnitt ein Prozent zum EU-Haushalt bei. Das heißt: Um diesen Beitrag abzudecken, muss der EU-Bürger im Durchschnitt gerade mal vier Tage arbeiten. Im Gegenzug kommen 94 Prozent der europäischen Gelder den Bürgern in Form von Investitionen und Beihilfen zugute. Keine andere Einrichtung verfügt über ein solches Preis-Leistungsverhältnis.
De Standaard hat Angst um den europäischen Gedanken. Beim EU-Gipfel ging es zu wie auf einem orientalischen Bazar. Den Mehrwert der Union hatte dabei niemand vor Augen. Dabei lautet doch die Kernfrage: Wie können wir angesichts der rasend schnellen globalen Wirtschaft die Krise überwinden? Wer glaubt, dass das mit weniger Europa geht, der belügt sich selbst.
Rote Karte für die Roten
Die Krise steht auch innenpolitisch weiter im Vordergrund: "Die FGTB liest den Sozialisten die Leviten", titelt De Standaard. Die sozialistische FGTB ist nicht glücklich mit der Regierungsbeteiligung ihrer Gesinnungsgenossen: Die Sozialisten sitzen in einer Regierung, die aus dem Land ein Steuerparadies für Reiche macht und zugleich eine steuerliche Hölle für die arbeitende Bevölkerung, sagt FGTB-Chef Rudy De Leeuw in De Standaard.
Gazet Van Antwerpen hebt eine neue Maßnahme des Gemeindekollegiums von Antwerpen hervor: "Einwanderer zahlen 15 Mal mehr für eine Einschreibung", titelt das Blatt. Nicht EU-Ausländer müssen demnach 250 Euro zahlen, wenn sie sich in Antwerpen anmelden wollen. Bisher waren es 17 Euro. Die zuständige N-VA-Schöffin beteuert, dass man damit nicht Ausländer abschrecken will, nach Antwerpen zu kommen.
"This is The Voice ..."
"Die Integrationspolitik ist gescheitert", titelt derweil De Morgen. Diese knallharte Feststellung stammt von Jozef De Witte, dem Direktor des Zentrums für Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung. De Witte fordert, dass die Politik in Sachen Einwanderungspolitik endlich eine klare Linie fährt. Kommentierend meint De Morgen dazu: Politik und Wirtschaft trauen sich nach wie vor nicht, das Integrationsproblem offensiv anzupacken. Ein Teil der Lösung wäre zum Beispiel, anonyme Anwerbungsverfahren durchzuführen. Dabei würden also Bewerber nur auf der Grundlage ihrer Fähigkeiten eingestellt; die Arbeitgeberverbände sträuben sich aber dagegen. Da sollte man sich mal an der Fernsehsendung The Voice ein Beispiel nehmen. Da sitzt die Jury mit dem Rücken zum Kandidaten. Es geht nicht ums Aussehen, sondern allein um die Stimme.
Bild: John Thys (afp)