Leterme I: schwere Geburt
De Morgen notiert unter dem Titel „118 Tage bis zur deadline“ dass Yves Leterme jetzt mit Premier angesprochen werde. Er habe zusammen mit seinen 14 Ministern und 7 Staatssekretären den Amtseid abgelegt. Jetzt blieben noch 118 Tage bis zum Stichtag für Vorschläge zu einer neuen Staatsreform. Im Kommentar bemerkt das Blatt, dass gestern alle Rituale, die zur Investitur einer neuen Regierung gehören, rasch abgewickelt wurden, um es deren Mitgliedern zu erlauben, zum ersten Mal in dieser Woche zeitig ins Bett zu kommen.
Denn auch die Verteilung der Ministerämter war zu einer Marathonsitzung ausgeartet. Hier und da sei Kritik laut geworden, weil eine Mehrheit der Kabinettsmitglieder französischsprachig sei. Dies allerdings sei schlichtweg die zahlenmäßige Umsetzung politischer Kräfteverhältnisse. Bei den Ministerämtern sei dies ohnehin nicht möglich, weil hier die Regel der Sprachparität gelte. Dadurch, dass eine Reihe zusätzlicher Staatsekretäre berufen wurden, schaffe man erneut einen Grund für Unverständnis in der Bevölkerung.
Viel fundamentaler ist derweil die Kritik an der Tatsache, dass es für das Ressort Staatshaushalt keinen Minister, sondern jetzt einen zuständigen Staatssekretär gibt. Die Ausführung und Umsetzung der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Maßnahmen im steuerlichen und sozialen Bereich stehe und falle aber mit der Verwaltung des Staatsetats. Deshalb würde man erwarten, dass diese Aufgabe bei einem Minister und somit einem Mitglied des Kernkabinetts angesiedelt wäre, so De Morgen.
„Vertrauen gesucht“, so lautet der Titel von De Standaard heute auf Seite 1. Yves Leterme habe gestern den Schlüssel zur Nr. 16 Rue de la Loi erhalten, das Hauptquartier der Föderalregierung bezogen, während er auf acht Jahre Oppositionskur und stockende Bemühungen zur Regierungsbildung, die fast ein Jahr dauerten, zurückblickt. Leterme erhielt die Schlüssel von Guy Verhofstadt. Der Machtwechsel, das sollte schon beim Verlesen der Regierungserklärung deutlich werden, ist zugleich auch ein Stilwechsel. Es sei die Ära der langweiligen Präzision bei der Beschreibung abgesprochener Maßnahmen angebrochen.
Die erste Regierung von Guy Verhofstadt, so notiert De Standaard, sei, zumindest in ihren Anfängen, eine leidenschaftliche Ehe zwischen Rot, Blau und Grün gewesen. Die Regierung Leterme sei indes nicht einmal eine Vernunftehe, sondern höchstens eine rational begründete Lebensabschnittsgemeinschaft. Das Vertrauen unter den Parteien existiere noch nicht, das müsse erst noch gesucht werden.
„Niemand glaubt an Leterme I“, das ist der Titel von Het Volk. Die Zeitung belegt diese Aussage mit einer Umfrage, aus der hervorgeht, dass fast 62 % der Befragten nicht glauben, dass es Yves Leterme bis zum 15. Juli gelingen kann, zur Lösung seiner schwersten Aufgabe, einer Einigung in Sachen Staatsreform, zu kommen. Nur 4,5 % glauben, dass bis zum Sommer tatsächlich substantielle Verfassungsänderungen abgesprochen werden können. Het Volk schlussfolgert hieraus, dass eine Mehrheit der Belgier nicht an eine Lebensfähigkeit der Leterme I-Regierung über den Stichtag vom 15. Juli hinaus glaubt. Zwar konnte Yves Leterme in der Umfrage bei der Wählertreue sein gutes persönliches Abschneiden vom Sommer 2007 halten, doch als Premierminister vertrauen 40 % der Befragten eher Guy Verhofstadt.
„Drei Monate, ein Jahr, drei Jahre?“ fragt Le Soir in der Balkenüberschrift zur Lebenserwartung der Leterme-Regierung. Hält die Koalition nur bis zum Stichtag in Sachen Staatsreform, oder bis zu den Regionalwahlen um nächsten Jahr, oder gar bis zum Ende der Legislaturperiode 2011, fragt sich die Brüsseler Tageszeitung und meint, es könne jetzt gewettet werden. Man solle sich das Titelbild der heutigen Ausgabe genau ansehen. Nur einer lache tatsächlich: König Albert nämlich. Ansonsten eine Anhäufung von Frustrationen, Einsamkeit und selbst von tiefem Hass.
Es sei möglicherweise eine Momentaufnahme des letzten Wunders „à la Belge“. König Albert lache wie jemand, den man nach neun Monaten endlich von einem quälenden Schmerz befreit hat. Und der Mann in der Bildmitte sei nicht der Premierminister, selbst wenn er Durchhaltvermögen und Ambition hierfür besitze, Regierungschef sei der brave Junge rechts von König Albert auf dem Bild. Sein Name: Yves Leterme. Beim Betrachten der Fotographie, so notiert Le Soir, falle überdies noch etwas anderes auf, die große Zahl der Regierungsmitglieder nämlich. Die Vielzahl der Exzellenzen sei lächerlich und unnötig.
Der Umstand, dass die Regierung Leterme I 22 Mitglieder zählt, ist auch für La Libre Belgique Titelthema. Joëlle Milquet sei mit von der Partie, notiert La Libre Belgique, und beim Koalitionspartner PS habe Parteichef Elio Di Rupo einen Coup gelandet, indem er in der Folge der Regierungszusammenstellung Rudy Demotte als alleinigen Präsidenten der wallonische Region und der französischen Gemeinschaft einsetze. Demotte gehe als erster Ministerpräsident gleich zweier Regierungen in die politische Geschichte Belgiens ein. Er sei der erste, aber vielleicht nicht der letzte Politiker mit einem solchen Doppelmandat.