“Horror“, “Blutbad, “Schock“ - Die Zeitungen überschlagen sich in ihren Schlagzeilen zu dem Amoklauf gestern in den USA, bei dem mindestens 27 Menschen, darunter wohl 20 Kinder, ihr Leben verloren haben.
Nach bisherigen Angaben hat der 20-jährige Sohn einer Grundschullehrerin zunächst seine Eltern erschossen und war dann in die Schule seiner Mutter gegangen, wo er in ihrer Klasse wild um sich geschossen hat. Ob er sich am Ende selbst das Leben genommen hat, oder von der Polizei erschossen wurde, ist für die Zeitungen noch unklar.
“Eine ganze Klasse ausgerottet“, titelt Het Laatste Nieuws. Und wie viele andere Zeitungen auch ist neben der Überschrift auf Seite eins das Bild einer Mutter zu sehen, die mit schmerzverzerrtem Gesicht in ein Handy spricht. Het Belang van Limburg druckt dazu noch den Kopf von US-Präsident Barack Obama ab, wie er sich eine Träne aus dem Auge wischt. “Mein Herz ist gebrochen“, zitiert die Zeitung den Politiker.
Die Tränen von Obama
“Die Tränen von Obama“, lautet dann auch die Überschrift des Kommentars, den La Libre Belgique dem Amoklauf widmet. Es ist unsere Schwäche als Europäer zu denken, dass solche Attentate die Debatte um den Besitz von Schusswaffen in den USA neu beleben könnten. Für die meisten Amerikaner ist das in der Verfassung festgeschriebenen Recht, eine Waffe besitzen zu dürfen, eine heilige Kuh. Die Tränen von Obama haben zwar die Welt bewegt und Trost vermittelt. Aber können sie auch die Amerikaner dazu bewegen, ihr Waffengesetz zu ändern? Mehr als Hoffen bleibt uns nicht.
Auch Het Nieuwsblad kritisiert in scharfen Worten den anscheinend unbeugsamen Willen der Amerikaner, an ihrem Waffenbesitzrecht festzuhalten. Es kann doch nicht sein, dass immer wieder Amokläufer in Schulen einfallen und dort Massaker anrichten. Die Zeitung gibt zwar zu: Waffenbesitz ist in den USA eine emotionale, kulturelle und ideologische Angelegenheit. Aber die Realität zeige erneut, dass die Amerikaner bei diesem Thema komplett umdenken müssen. Wer meint, dass die Bewaffnung der Bevölkerung das beste Mittel ist, um Verbrechen zu bekämpfen, der sollte auf die Leichensäcke schauen, die im Hof der Schule von Connecticut liegen. Ein Platz, der eigentlich größte Sicherheit und Schutz ausstrahlen sollte.
Finanzwelt vertraut Europa wieder
Die einzige Zeitung, bei der das Attentat in USA nicht auf Seite eins vermeldet wird, ist die Wirtschaftszeitung L’Echo. Sie berichtet dagegen davon, dass die Börsenwelt wieder Vertrauen in europäische Aktien gefunden hat. Für 2013 empfehlen Finanzexperten, wieder in europäische Werte zu investieren. Auch belgische Titel wie Exmar, Delhaize und Sofina gehören dazu. Zwar hat der europäische Markt die Spitzengruppe noch nicht erreicht, aber ein Anfang ist gemacht. Ein Zeichen, so die Zeitung, dass die Wirtschaft und Finanzkrise bald hinter uns liegen könnte.
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy äußert sich ähnlich: “Das Schlimmste liegt hinter uns“, sagte er gestern nach dem Ende des EU- Gipfels in Brüssel. Eigentlich, so hatten die Staats- und Regierungschefs der EU im Juni beschlossen, hätte jetzt ein konkreter Fahrplan für eine engere Zusammenarbeit in Wirtschafts- und Finanzfragen beschlossen werden sollen. Doch das wurde wieder auf später verschoben.
Die Zeitungen vermelden dieses Ergebnis und kommentieren kritisch: “Ist das Ende des Tunnels tatsächlich in Sicht?“, fragt sich De Morgen. Der Gipfel hat wieder gezeigt, dass man das so nicht unbedingt sagen kann. Wir sind noch lange nicht am Ende des Tunnels, aber immerhin: Für den Zug Europa kommen hoffnungsvolle Neuigkeiten aus dem Führerhaus der Lokomotive namens Brüssel.
Neue Erkenntnisse zur Fortis-Pleite erschrecken
Auch De Standaard ist kritisch und lenkt den Blick auf das, was bislang schon als Erfolg gefeiert wurde, nämlich den Beschluss zur Einrichtung einer europäischen Bankenaufsicht. Die Zeitung glaubt nicht, dass Europa dadurch von Finanzkrisen wie 2008 geschützt werden kann. Der Bankensektor ist kompliziert, auf sich bezogen, und unmoralisch. Werte, die in Gesellschaft und Politik hochgehalten werden, zählen hier nicht. Gut und Böse haben hier andere Gesichter. Erfolg und Gewinn sind das einzige Prinzip, wonach gehandelt wird. Daran wird auch eine europäische Bankenaufsicht nichts ändern, die es mit Finanzinstituten zu tun hat, die noch mehr als 2008 weltweit vernetzt sind. Keiner der Politiker, der in Brüssel jetzt diese Beschlüsse gefasst hat, kennt sich doch wirklich aus. Genau hinschauen will auch keiner. Denn in Europa ist es besser, schnell einen Kompromiss zu erzielen, als tatsächlich wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen.
De Standaard kommentiert auch deshalb so scharf, weil die Zeitung bislang nicht zugängliche Dokumente zum Fall von Fortis einsehen konnte. Daraus geht hervor, dass bei dem Finanzinstitut schon 2007, ein Jahr vor der Pleite, bekannt war, dass alles auf ein Chaos hinauslaufen werde. Die Öffentlichkeit und auch die Aufsichtsbehörden wurden darüber nicht informiert.
Noch ist nicht Winter
L’Avenir kommt in seinem Kommentar auf die Pannen beim neuen Hochgeschwindigkeitszug zwischen Brüssel und Amsterdam zu sprechen. In den ersten Tagen hatte es zahlreiche Probleme gegeben: Die Hälfte der Züge war verspätet, einige blieben minutenlang in Tunnels stehen, andere wiederum wurden ganz abgesagt. Ein Albtraum für die belgische Bahn, gibt L’Avenir zu. Doch was die Zeitung aufregt ist, dass die SNCB nicht selbst die Größe hat, die wahren Probleme zuzugeben. Man versteckt sich hinter abgedroschenen Phrasen, über die man nur lachen kann. Genauso wie man die vielen Verspätungen in Belgien diese Woche entschuldigt hat. Die winterlichen Bedingungen seien der Grund, so die SNCB. Dann dürfen wir ja, so schlussfolgert das Blatt, auf das Schlimmste gefasst sein. Denn noch haben wir ja offiziell Herbst.
Bild: Mandel Ngan (afp)