"Haushalt-Kräftemessen innerhalb der Regierung", titelt Le Soir. "Gezänk um den Sparkurs", so die Schlagzeile von La Libre Belgique.
Die Föderalregierung berät weiter über den Haushalt 2013. Gegenüber der EU hat sich Belgien dazu verpflichtet, sein Haushaltsdefizit unter 2,2 Prozent des Bruttoinlandproduktes zu drücken. In der Praxis heißt das, dass 3,7 Milliarden Euro gefunden werden müssen, um diesen Fahrplan einzuhalten.
"Tritt vor Europas Schienbein"
Dieses Engagement galt bislang unter den Koalitionspartnern als heilig, quasi tabu. Entsprechend sorgt der gestrige Vorschlag von PS-Vizepremierministerin Onkelinx denn auch für Aufregung. Insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Sozialdramen plädiert Onkelinx dafür, die EU-Spur zu verlassen. Statt einen sturen Sanierungskurs zu fahren, sollte man lieber Geld in einen Wachstumsplan stecken, sagte die Vizepremierministerin. "Onkelinx tritt Europa vors Schienbein", fasste es denn auch La Dernière Heure zusammen.
Der Vorstoß stieß zunächst koalitionsintern auf breite Ablehnung. Die Liberalen und auch die CD&V wollen - koste es, was es wolle - an dem Sparkurs festhalten. Alles andere wäre gefährlich. Das wäre eine Milchmädchenrechnung, warnt etwa MR-Vizepremier Didier Reynders in Le Soir. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass das Land über mehr Geld verfüge, wenn man den Sparkurs aussetze. Im Gegenzug würden nämlich die Zinsen auf die Staatsschuld steigen, die damit teurer würden. Von dem Haushaltsfahrplan abzurücken wäre das falsche Signal an die Finanzmärkte.
Und auch bei der EU stößt der Onkelinx-Vorschlag auf wenig Gegenliebe. "Europa verreißt Onkelinx", titelt De Morgen. An dem Haushaltsfahrplan werde nicht gerüttelt, zitiert das Blatt einen Sprecher der EU-Kommission. Ein nicht genannter hoher Beamter geht noch einen Schritt weiter: "Europa ist für die Sozialisten, was die Wallonie für die N-VA ist: eine ideale Entschuldigung, der perfekte Sündenbock."
"Kling logisch, ist aber falsch"
Auch einige Zeitungen gehen mit dem Onkelinx-Vorschlag hart ins Gericht. Die Krise scheint offensichtlich so manchen in Versuchung zu führen, konstatiert La Libre Belgique. Man könnte etwa vom Sparkurs abweichen, vielleicht sogar die Strukturreformen aufschieben. Das mag vielleicht logisch klingen, ist aber falsch. Nur zur Erinnerung: Die Haushaltssanierung und die Neuausrichtung des Arbeitsmarkts und der Sozialsysteme, das sind nicht nur neo-liberale Schnapsideen. Vielmehr steht hier die Zukunft des Landes und seiner Wirtschaft auf dem Spiel.
Gazet van Antwerpen ist sogar richtig wütend über den Onkelinx-Vorstoß. Das erinnert doch glatt an ein Zitat des berühmt-berüchtigten Guy Mathot. Von ihm stammt der unsterbliche Satz: Das Haushaltsloch ist von alleine gekommen, und es geht auch wieder von alleine. Guy Mathot ist tot, seine Philosophie aber anscheinend nicht.
Zu allem Überfluss hat Onkelinx ihren Vorschlag damit begründet, dass ja schließlich auch Portugal und Spanien ein Jahr Aufschub für ihre Sparauflagen bekommen haben. Jetzt reicht's aber, poltert das Blatt. Jetzt vergleicht eine belgische Vizepremierministerin Belgien schon mit solchen Wackelkandidaten. Onkelinx spielt mit dem Feuer. Folgt man ihrem Vorschlag, dann werden zwangsläufig die Zinsen auf belgische Staatsobligationen steigen. Und das Vertrauen ist erschüttert. Man muss diese Frau aufhalten.
Wie dem auch sei, konstatiert Le Soir, diese Episode zeige anschaulich, wie groß die Spannungen unter den Koalitionspartnern sind. Die Haushaltsberatungen dürften denn auch noch eine Weile dauern. Pessimisten sprechen von zwei Wochen.
Ford Genk - nur Spitze des Eisbergs
Anlass für den Vorstoß von Laurette Onkelinx ist die Krise, die in den vergangenen Wochen mit voller Wucht in Belgien zugeschlagen hat. Het Nieuwsblad präsentiert auf seiner Titelseite die Rechnung: "Gegen Neujahr sind 18.000 Jobs vernichtet". Ford Genk, man ahnt es längst, ist nämlich nur die Spitze des Eisbergs. Die Krise macht längst auch vor kleinen und mittleren Betrieben nicht mehr Halt.
"Wo findet Belgien mit seiner kranken Industrie sein Heil", fragt sich denn auch L'Echo auf Seite eins. Belgien wird wohl an harten Strukturreformen nicht vorbeikommen, meinen jedenfalls Experten. Hilfe von der EU müsse man jedenfalls nicht unbedingt erwarten, zitiert das Blatt den Nestor der belgischen Industriekapitäne, Etienne Davignon. Bislang jedenfalls könne von einer EU-Industriepolitik insbesondere in der Automobilbranche keine Rede sein, sagt Davignon, selbst ehemaliger EU-Kommissar.
"Made in Germany" segelt unterdessen weiter
In seinem Leitartikel empfiehlt L'Echo einen Blick über die Grenze nach Deutschland. Es ist kein Zufall, dass Ford sich für Köln und nicht für Genk entschieden hat. Man muss feststellen: Während viele Länder in den letzten 30 Jahren vor allem den Dienstleistungssektor gestützt haben, hat Deutschland seine Industrie nie fallen gelassen. Dass das Label "Made in Germany" nach wie vor den Wind in den Segeln hat, das ist die Frucht jahrzehntelanger Arbeit. In Belgien hat man das leider zu spät begriffen.
Die Frage nach der Zukunft stellt sich jetzt vor allem in Genk. Dort steht eine Forderung im Raum, die Het Belang Van Limburg auf seiner Titelseite übernimmt, nämlich: "Verkauft doch bitte die Fabrik an einen anderen Autobauer." Gestern hatte der flämische Ministerpräsident Kris Peeters den von der Schließung bedrohten Ford-Werken einen Überraschungsbesuch abgestattet. Dabei versprach Peeters insbesondere, alle Kräfte zu bündeln, um die Provinz wieder aufzurichten. Das kann man nur begrüßen und das freut uns auch, meint Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel. Doch darf es nicht bei warmen Worten bleiben. Eine ganze Provinz erwartet Taten. Und wir werden die politisch Verantwortlichen bei Zeiten daran erinnern.
Die betroffenen Mitarbeiter sorgen sich derweil in erster Linie um ihre eigene Zukunft. Die Gewerkschaften fordern in diesem Zusammenhang insbesondere eine Frühpensions-Regelung für Mitarbeiter ab 50. Der frischgebackene OpenVLD-Pensionsminister Alexander De Croo erteilte dieser Forderung schon eine klare Absage. Die Reaktion der Arbeitnehmer-Organisationen kam postwendend. Der Chef der flämischen FGTB-Metaller, Herwig Jorissen, nennt De Croo in De Standaard einen herzlosen Waldkobold.
In jeder Geschichte gibt es einen Bad Guy, einen Bösewicht. In dem Drama um Ford-Genk hat Alexander De Croo offensichtlich diese Rolle besetzt, meint Het Laatste Nieuws. Zumindest im Augenblick hat De Croo aber hier eine Gelegenheit verpasst zu schweigen. Erst die Emotionen, dann die Analyse. Man sollte den Ford-Mitarbeitern die Zeit geben, den Schock zu verarbeiten. Die zuständigen Regierungen sollten den Betroffenen jetzt erst mal beistehen.
Rendezvous mit der Geschichte
Das mag stimmen, ist aber nur die halbe Wahrheit, meint demgegenüber De Standaard. Man muss nämlich jetzt auch schnellstmöglich die Lehren aus den Dramen ziehen. Von der Politik erwarten wir jetzt Taten. Die Attraktivität des Landes muss verbessert werden. Es darf keinen Zweifel an der Haushaltssanierung geben. Statt zu polarisieren müssen sich alle Akteure zusammenraufen. Hier gibt es keinen Platz für ideologischen Starrsinn und auch nicht für vermeintlich einfache Lösungen. Unser Sozialsystem steht auf dem Spiel. Das Gleichgewicht zwischen Solidarität und Verantwortung stößt an Grenzen. Solidarität, die Menschen in die Abhängigkeit führt, ist aus sozialen Gesichtspunkten falsch und ökonomisch unbezahlbar. Das Land gehört neu ausgerichtet. Auf die Gefahr hin, dass das eine oder andere Tabu fällt. Das Land hat ein Rendezvous mit der Geschichte.
Bild: Nicolas Maeterlinck (belga)