"Ford-Politikerin rüttelt das Parlament wach", titelt De Standaard. "Die Tränen einer Ford-Arbeiterin bringen die Kammer zum Schweigen", schreibt De Morgen auf Seite eins. Auf einigen Titelseiten prangt heute das Foto der SP.A-Politikerin Meryame Kitir. Die arbeitet seit 13 Jahren für Ford Genk und ist bis heute Gewerkschaftsdelegierte. In der Kammer richtete sie einen flammenden Appell an die politisch Verantwortlichen: "Tut etwas." Dabei liefen ihr die Tränen herunter. "Es sind die Tränen einer Nation", so formuliert es Het Nieuwsblad.
Frührente ab 50? Der falsche Weg!
Die Provinz Limburg steht weiter unter Schock. Für den 11. November rufen die Gewerkschaften zu einem "nationalen Marsch" für Ford Genk auf, wie Het Belang van Limburg auf seiner Titelseite hervorhebt. "Die Abfindung wird sich im Durchschnitt auf 77.000 Euro belaufen", weiß indes Het Nieuwsblad zu berichten. Das Blatt beruft sich auf Ford-Verantwortliche. Bleibt die Frage: Was tun für die Betroffenen? Die Gewerkschaften fordern eine Frühpensionsregelung für Mitarbeiter ab 50 Jahre.
Damit allerdings würde man ganz bewusst auf die Qualität und die Erfahrung dieser Leute verzichten, warnt De Morgen. Man kann doch nicht einfach Menschen ab 50 ins Abseits stellen. Dies zumal unser Rentensystem schon jetzt gegen die Wand zu fahren droht. Hoffentlich ist das Drama in Genk der schmerzhafte Schlüsselmoment, der unseren Arbeitsmarkt ins 21. Jahrhundert katapultiert.
Frühpension ab 50, das wäre die einfachste Lösung, aber leider die falsche, bemerkt auch Het Nieuwsblad. Es kann doch nicht sein, dass Menschen, die bis 65 arbeiten sollen, schon mit 50 abgeschrieben werden. Wenn die Regierung konsequent ist, dann lässt sie das nicht durchgehen. Dabei muss sie aber wissen, dass sie den komplizierteren Weg einschlägt. Man muss nämlich dann den Ford-Mitarbeitern eine wirkliche Perspektive geben.
"Sozialer Holocaust"
Das gilt nicht nur für die Betroffenen in Genk. Gestern wurde bekannt, dass unter anderem auch beim Stahlproduzenten Duferco in La Louvière 600 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. "Die Job-Krise verschärft sich", titelt denn auch La Libre Belgique. Die alarmierende Schlagzeile von La Dernière Heure: "20.000 Arbeitsplätze sind bedroht." Das Blatt spricht im Innenteil sogar von einem "sozialen Holocaust".
Dazu die Feststellung auf Seite eins von L'Echo: "Die belgische Wirtschaft kann nicht auf Industrie verzichten." Bestes Beispiel ist Deutschland. Eine reine Dienstleistungsgesellschaft wird die Industrie als wirtschaftlichen Motor nicht ersetzen.
Quasi folgerichtig bringt denn auch Le Soir "zehn Lösungsansätze, damit wir so etwas nicht mehr erleben müssen". Einige Stichworte: Belgien braucht "mehr politische Stabilität", "mehr Rechtssicherheit", man müsse die "Lohnkosten im Auge behalten" und dürfte die "Unternehmen nicht schikanieren".
Keine Reformen = unterlassene Hilfeleistung
"Die OpenVLD fordert niedrigere Lohnnebenkosten", bemerkt Gazet Van Antwerpen. In der Tat: die flämischen Liberalen setzen die Koalition unter Druck: Ohne eine spürbare Senkung der Lohnkosten will die Partei den Haushalt nicht mittragen. Das ist kein Plädoyer, das ist eine Drohung, konstatiert das Blatt in seinem Leitartikel. Nicht vergessen: Die OpenVLD ist geübt darin, den Stecker rauszuziehen. Was nicht heißt, dass die flämischen Liberalen Unrecht hätten. Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit des Landes verbessern. Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung. Ohne gründliche Reformen landen wir mit Belgien und Flandern auf einem wirtschaftlichen Friedhof.
Die Zeichen trügen nicht, warnt auch L'Echo. Innerhalb von zwei Tagen sind fast 12.000 Jobs vernichtet worden. Spätestens jetzt dürfte klar sein, dass die Regierung die erforderlichen Strukturreformen nicht mehr aufschieben kann. Die Frage ist nur, ob Di Rupo und Co. mutig und ehrgeizig genug sind. Die Bürger jedenfalls sind sich der belgischen Probleme bewusst. Allein aus Respekt der Bevölkerung gegenüber muss die Politik jetzt Gas geben.
Schwarzer Peter
Stattdessen zeigen sich unsere Politiker aber von ihrer besten Seite, indem sie mal wieder ein jämmerliches Bild abgeben, poltert Het Belang van Limburg. Sie haben offensichtlich keine Zeit, die brennenden Probleme anzugehen, weil sie mal wieder alle Hände voll damit zu tun haben, sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschustern.
Het Laatste Nieuws wirft dem flämischen Ministerpräsidenten sogar zum wiederholten Mal Untätigkeit vor. "Peeters hat seit Juni nichts mehr für Ford getan", titelt das Blatt. Dabei müssten jetzt alle zusammenstehen und kämpfen.
Europäische oder belgische Lösung?
Ähnlich sieht das La Libre Belgique. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo es ein allgemeines Aufbäumen geben sollte, eine Koalition für Arbeitsplätze. Immerhin haben ja schon die flämische und die föderale Regierung zusammen über das weitere Vorgehen beraten.
Le Soir und L'Avenir suchen derweil ihr Heil in Europa. Die Antwort auf die sozialen Dramen kann nicht aus der Wallonie, nicht aus Flandern und auch nicht aus Belgien kommen. Nur Europa ist groß genug, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Allerdings müsste man dafür mit einer Stimme sprechen.
Was nicht heißt, dass man nicht schon mal zu Hause mit der Arbeit beginnen könnte, meint De Standaard. Ford Genk ist kein Unfall, es ist ein Zeichen der Zeit. Wir müssen uns der neuen Realität anpassen. Klar wird das hart. Noch aber ist es so, dass wir die Wahl haben, unseren Arbeitsmarkt neu auszurichten. Entweder, wir treffen jetzt - vernünftig und ausgewogen - die nötigen Entscheidungen, oder wir bekommen sie irgendwann von Wirklichkeit aufs Auge gedrückt.
Bild: Nicolas Lambert (belga)